© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/12 12. Oktober 2012

Trübe Aussichten
Konjunkturprognosen: Die Euro-Krise erreicht die deutsche Realwirtschaft / Stellenabbau und Produktionsrückgänge
Bernd-Thomas Ramb

Uns geht’s ja noch gold“ betitelte einst Walter Kempowski den Teil seiner Familienchronik, die im Anschluß daran schwersten Zeiten entgegen ging. Auf die heutige Situation Deutschlands im internationalen Vergleich bezogen, drängt sich eine ähnliche Beurteilung auf. Nicht nur verglichen mit den wirtschaftlichen Katastrophenstaaten Griechenland, Portugal und Spanien, sondern auch gegenüber den anderen Euro-Ländern genießt Deutschland augenblicklich noch ein Wirtschaftswachstum, das erkennbar über dem Durchschnittswert der gesamten Euro-Zone liegt.

Der Vergleich mit den anderen Ländern der gemeinsamen Euro-Währung ist vor allem deshalb bedeutsam, weil die elende Wirtschaftslage in Griechenland, Portugal und Spanien stets mit der Krise der Euro-Währung in Verbindung gebracht wird. Für diese These spricht die Warnung der Euro-Kritiker vor den negativen realwirtschaftlichen Auswirkungen, die eine einheitliche Währung für uneinheitliche Wirtschaftsräume zwangsläufig nach sich ziehen muß. Die eitle Hoffnung der Politiker, über gemeinsames Geld einheitlich hohe Wirtschaftsleistungen erzwingen zu können, hat sich nun als fatale Fehleinschätzung herausgestellt.

Die gemeinsame Währung diente allein der Verringerung der Zinssätze, zu denen die wettbewerbsschwachen Staaten ihre Haushaltsdefizite finanzieren konnten. Demzufolge starb der Anreiz, den Wettbewerbsrückstand insbesondere zu Deutschland zu verringern. Im Gegenteil, er wurde größer. Die Quittung erhalten diese Länder jetzt mit einer schrumpfenden Wirtschaft und steigender Arbeitslosigkeit – vereint mit dem Verlust der Kreditwürdigkeit auf dem Kapitalmarkt.

Für das Jahr 2011 verzeichnete Griechenland laut Eurostat ein Schrumpfen der Wirtschaft um 7,1 Prozent. Auch in diesem Jahr wird ein Rückgang um weitere 4,7 Prozent erwartet, es ist das fünfte Rezessionsjahr in Folge. Natürlich ist Griechenland ein Extremfall, aber auch in Portugal (-3,3), Spanien (-1,8) und Italien (-1,4) wird ein Wirtschaftsrückgang erwartet. Selbst die Niederlande müssen eine negative Wachstumsrate von -0,9 Prozent aushalten. Das schwache Wirtschaftswachstum in Frankreich (0,5) und Deutschland (0,7) kann die Gesamtstatistik nicht ins Positive drehen. Die Wirtschaftsleistung des Euro-Raums sinkt in diesem Jahr um -0,3 Prozent.

Entsprechend desolat fallen die Arbeitslosenzahlen aus. In Griechenland notiert Eurostat die zuletzt dort im Juni erfaßte Arbeitslosenquote mit 24,4 Prozent. In Spanien liegt der August-Wert bei 25,1 Prozent. Portugal (15,9), Irland (15,0) und Italien (10,7) komplettieren die Liste der Spitzenreiter in der Arbeitslosenstatistik, allesamt Pleitekandidaten des Euro-Währungssystems. Frankreich trägt mit einer Arbeitslosenquote von 10,6 Prozent auch nicht dazu bei, den Euroländer-Durchschnittswert von 11,5 Prozent weiter zu senken.

Nur in Deutschland scheint der Arbeitsmarkt relativ gut ausgelastet zu sein: 5,5 Prozent Arbeitslosigkeit. Allein in den Niederlanden (5,3) und in Österreich (4,5) liegt die Arbeitslosenquote noch niedriger. Deutschland also einsame Spitze? Nach Ansicht der Empfängerländer von Hilfszahlungen zur Rettung ihrer Staatsfinanzen schon. Das reiche Deutschland soll sich nicht so anstellen, nicht so kaltherzig und knauserig sein. Doch der oberflächliche Blick trübt. Auch in Deutschland stehen die wirtschaftlichen Anzeichen auf Rezession.

Gemessen an den Frühjahrsprognosen, mußten die deutschen Wachstums­erwartungen bereits deutlich zurückgenommen werden. Die Forschungsinstitute samt Internationaler Währungsfonds (IWF) erwarten auch für die kommenden Jahre praktisch nur noch ein Nullwachstum. Der Schritt zur Rezession ist in Deutschland kleiner geworden. Die pessimistischen Erwartungen der Institute bestätigen die anhaltend schwachen Werte der Unternehmensbefragungen. Der Ifo-Konjunkturtest zum Geschäftsklima weist seit mehr als einem Jahr tendenziell fallende Werte auf. Dabei sinken nicht nur die Beurteilungen der aktuellen Geschäftslage, sondern auch und mit noch geringeren Werten die der künftigen Geschäftserwartungen.

Die negativen Aussichten sind keine Alptraumphantasien, wie die sinkende Auftragslage beweist, nicht nur bei den so wichtigen Maschinenbaufirmen, sondern auch im Bauhauptgewerbe, dem klassischen Frühindikator der Konjunktur. Folgerichtig werden erste Entlassungswellen und Stellenstreichungen auch in Deutschland angekündigt: Der Autobauer Opel mit 1.000, der Pharmakonzern Merck mit 1.100 und die Commerzbank mit mehr als 1.000 Stellen zeigen als vorläufige Spitze des Eisbergs: Der Arbeitsplatzverlust trifft die gesamte Spannweite der deutschen Wirtschaft.

Selbst VW wappnet sich vor drohenden Absatzrückgängen und kündigte vorige Woche Freischichten im Passat-Werk Emden an. Auch das Familienfahrzeug Touran soll weniger als ursprünglich geplant von den Wolfsburger Bändern laufen. Statt mit 9,7 Millionen rechnet der VW-Konzern in diesem Jahr nur noch mit bestenfalls 9,4 Millionen gebauten Fahrzeugen – was den Abstand zu den Weltmarktführern Toyota und General Motors anders als erhofft, wieder vergrößert.

Die wirtschaftlichen Aussichten trüben sich in Deutschland immer mehr ein. Um so unbegreiflicher wirkt das Haushaltsgebaren der Bundesregierung, in diesem wohl für lange Zeit letzten starken Steuerjahr dennoch keinen ausgeglichenen Etat vorzulegen. Künftig stehen noch weniger Steuereinnahmen für sozialpolitische Wohltaten und teure Euro-rettende Experimente zur Verfügung. Letzteres ist ein schwacher Trost.

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