© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/12 12. Oktober 2012

Als die Welt den Atem anhielt
13 Tage Kubakrise: Im Oktober 1962 spitzte sich der Konflikt zwischen den USA und der Sowjetunion zu / Ein atomarer Weltkrieg drohte
Mario Kandil

Nach dem Sturz des von den USA unterstützten Diktators Batista durch Fidel Castro am 1. Januar 1959 strebte Kuba engere Beziehungen zum Mutterland der Werktätigen, der UdSSR, an. Da die US-Amerikaner das kommunistische Kuba unter Fidel Castro unter Druck setzen wollten, verhängten sie ein Handelsembargo gegen Kuba (19. Oktober 1960). Ab diesem Zeitpunkt unterstützten die Sowjets die Kubaner ganz offen, wofür diese ihnen die Stationierung von Militär einräumten. Letzteres betrachteten die USA als provokativen Akt (JF 39/12). Die Sowjets sahen diesen Schritt als berechtigte Reaktion, zumal seit Anfang der sechziger Jahre die Stationierung von Mittelstreckenraketen in Italien und der Türkei erfolgte, welche die UdSSR bedrohten.

Ende Oktober 1960 starteten die USA Aufklärungsflüge über Kuba. Von den dort stationierten Flugabwehrraketen und Kampfflugzeugen der UdSSR machten U2-Aufklärungsflieger im September 1961 erstmals Fotos. Schon vorher, am 2. Januar 1961, brachen die USA ihre diplomatischen Beziehungen zu Kuba ab, und der aus dem Amt scheidende US-Präsident Dwight D. Eisenhower informierte am 19. Januar 1961 seinen Nachfolger John F. Kennedy über eine vorbereitete Invasion Kubas. Sie sollte durch von der CIA geschulte Exilkubaner von Miami aus ohne sichtbare US-Beteiligung versucht werden. Kennedy gab am 14. Mai 1961 seine Einwilligung für die Invasion, und so landeten etwa 1.500 Exilkubaner in der „Schweinebucht“ auf Kuba. Aber die Invasion schlug fehl – nicht zuletzt deswegen, weil die USA in dieser spannungsgeladenen Phase des Kalten Krieges eine direkte militärische Unterstützung der Exilkubaner scheuten.

US-Kongreß gab Vollmacht für Militärinvasion auf Kuba

Kuba, für Chruschtschow „ein unsinkbarer Flugzeugträger“, wurde ab dem 12. Juli 1962 zum Schauplatz der „Operation Anadyr“, der heimlichen Stationierung von Mittelstreckenraketen mit den zugehörigen Atomsprengköpfen. Zudem schaffte die UdSSR unter anderem 42.000 „Militärberater“ nach Kuba. U2-Luftaufnahmen wiesen im August 1962 definitiv Raketenbasen auf Kuba nach. Am 4. September 1962 warnte Kennedy die UdSSR vor der Stationierung offensiver Waffen auf Kuba und drohte mit „schwersten Folgen“. Pläne für eine Invasion der Insel und für Luftangriffe auf die Raketenbasen wurden ausgearbeitet. Der US-Präsident berief zudem 150.000 Reservisten ein und erhielt am 26. September vom Kongreß die Vollmacht für eine Militärinvasion auf Kuba. Indes behaupteten die Sowjets weiter die rein defensive Natur der nach Kuba gelieferten Waffen.

Diskussionen innerhalb der US-Führung, welche Maßnahmen konkret zu ergreifen seien, brachten am 16. Oktober eine Einigung auf die Idee Verteidigungsministers Robert McNamara, eine Seeblockade gegen Kuba zu verhängen. Ohne sofortige Anwendung kriegerischer Gewalt zeigte diese militärische Stärke und konnte bei Bedarf gesteigert werden, während die militärische Lösung als Option im Spiel blieb. Entscheidend war: Die Sowjets durften nicht erfahren, daß die USA von den Raketen auf Kuba wußten. Darüber war sich das ExComm (Executive Committee of the National Security Council) einig, das den Präsidenten während der Kubakrise beraten, unterstützen und für alle Szenarien Pläne ausarbeiten sollte.

UdSSR-Außenminister Andrej Gromyko verlor am 18. Oktober gegenüber Kennedy über die Raketen auf Kuba erneut kein Wort, und am Tag darauf demonstrierten die Sowjets ihre Stärke durch Zündung einer Wasserstoffbombe. So ordnete Kennedy am 20. Oktober die Seeblockade gegen Kuba an, obwohl General Maxwell Taylor einen Luftangriff auf die dortigen Raketenstellungen für erfolgversprechend erklärt hatte. Neben höchster Alarmbereitschaft für das US-Raketenpersonal gab es den Befehl an etwa 180 Schiffe der US-Marine, sich in der Karibik zu verteilen. Zudem wurden US-Truppen nach Florida verlegt.

Nach Unterrichtung der US-Verbündeten und Verhinderung verfrühter Berichte durch die US-Zeitungen hielt John F. Kennedy am 22. Oktober eine Fernsehansprache „von höchster nationaler Dringlichkeit“. Vorher war das strategische US-Luftkommando (Atombomber und -raketen) in die Alarmstufe DefCon II (Defense Condition II) versetzt und UdSSR-Botschafter Anatoli Dobrynin ins US-Außenministerium zitiert worden. Dieser erfuhr erst jetzt von der Entdeckung der stationierten Raketen auf Kuba. Letzteres versetzte seine Streitkräfte in volle Gefechtsbereitschaft. Moskau verkannte den Ernst der Lage und meinte, die USA hätten sich mit den Raketen auf Kuba abgefunden. Chruschtschow fand, man müsse gegenüber Kennedy Härte beweisen.

Es wurde dramatisch: Die US-Seeblockade (Kennedy: „Quarantäne“) startete am 24. Oktober. Bei der Sitzung des UN-Sicherheitsrats tags darauf in New York kam es zum Schlagabtausch zwischen den UN-Botschaftern Walerian Sorin (UdSSR), der aus Moskau keine Anweisungen erhalten hatte, und Adlai Stevenson (USA), der der Welt erstmals eindeutige Fotos von den Raketenbasen auf Kuba zeigte und so die Sowjets bloßstellte. Am 27. Oktober wurde eine U2 von Kubas Luftabwehr abgeschossen, wobei der US-Pilot umkam.

Hätten die USA diesen Akt offener Aggression am „schwarzen Samstag“ mit einem Militärschlag gekontert, wäre der Atomkrieg Realität geworden. Daß es in der explosiven Stimmung jenes Moments nicht zu einem Angriff auf Kuba kam, war John F. Kennedys Verdienst, der seine Militärs davon abhielt. Erst später wurde offenbar, wie dicht der atomare Konflikt vor dem Ausbruch stand. Dies belegt auch das Beispiel des sowjetischen U-Boots U 59, das nukleare Waffen an Bord hatte und von einem US-Zerstörer zum Auftauchen genötigt worden war. Doch einer der drei Offiziere von U 59 weigerte sich, ohne weitere Order aus Moskau einen Torpedo abzufeuern.

So folgte statt einer Kriegserklärung in einer neuen Fernsehansprache Kennedys ein erneutes Ultimatum an Chruschtschow. Parallel dazu begann US-Justizminister Robert Kennedy mit Dobrynin Geheimgespräche zwecks Lösung der Kubakrise und Abwendung der Kriegsgefahr. Dabei wurde klar, daß Chruschtschow bis spätestens 29. Oktober einlenken mußte, weil der US-Angriffsbeginn gegen Kuba für diesen Tag festgesetzt war. Sowjetische Agentenberichte verstärkten bei Chruschtschow den Eindruck, daß der US-Präsident zum Kampf entschlossen war.

In der Tat lenkte der starke Mann im Kreml per Rundfunkbotschaft am 28. Oktober ein und sagte den Abzug seiner Raketen aus Kuba zu. Doch er wollte eine Gegenleistung: Die USA sollten von einer Invasion Kubas ablassen und ihre Raketen aus der Türkei und Italien entfernen. John F. Kennedy ging auf den Handel ein, ließ aber den Raketenabzug aus der Türkei erst später vornehmen – so konnten sich die USA als Sieger der Kubakrise präsentieren. Die „Quarantäne“ gegen Kuba wurde aufgehoben, Schiffe an der Blockadelinie wurden danach nicht mehr gestoppt.

Im Laufe des November 1962 wurden alle Raketen auf Kuba abgebaut und in die Sowjetunion zurückgeschafft, weil Chruschtschow diese nicht in den Händen des zu allem entschlossenen Castro lassen wollte. Dafür bauten im April 1963 die USA ihre Raketen in der Türkei ab. Formell legten USA und UdSSR ihren Konflikt durch eine gemeinsame Note an den UN-Generalsekretär Sithu U Thant bei. Der „Deal“ zwischen den Supermächten erregte Castros Zorn gegen Chruschtschow, von dem er sich glatt verraten fühlte. Und die Sowjets sahen sich nach dem Abzug ihrer Raketen von Kuba wieder mit ihrer strategischen Unterlegenheit konfrontiert: Bis zur Entwicklung nuklearer Langstreckenraketen einige Jahre später konnten sie mit ihren Geschossen die USA erneut nicht erreichen. Das veranlaßte sie zwar in der Folge zu verstärkter Rüstung, doch ein atomarer Krieg war abgewendet.

Foto: US-Präsident Kennedy unterzeichnet die Kuba- „Quarantäne“-Proklamation im Weißen Haus, Washington am 23. Oktober 1962: Militärische Stärke zeigen, ohne sofort kriegerische       Gewalt zu wagen

Foto: Kinder proben in US-Schulen das Verhalten bei atomaren Angriffen nach Empfehlungen der US-Zivilverteidigungsbehörde, indem sie sich unter den Bänken ducken: Während der angespannten 13 Tage der Kubakrise herrschte weltweite Angst vor dem Atomkrieg

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