© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/12 12. Oktober 2012

Liebesgrüße von Mielke
Regine Igel enthüllt brisante Zusammenhänge zwischen dem DDR-Geheimdienst, der terroristischen RAF und rechtsradikaler Gewalt in den achtziger Jahren.
Georg Thiele

Steuerte die Stasi während des Kalten Krieges den Terrorismus in der Bundesrepublik Deutschland? Betraf dies auch „rechten“ Terrorismus? Förderte Minister Erich Mielke alles, was zur Destabilisierung des Klassenfeindes beitragen konnte? Welche Rolle spielte die CIA? Gab es Interessengleichheiten zwischen Stasi und CIA?

Auffällig betrafen die Morde der sogenannten dritten Generation der RAF Personen, die unmöglich als Freunde der USA gelten konnten, weil ihre selbstbewußte, im Zweifel gar nationale Interessenlage bekannt war. Ein mächtiger und einflußreicher Mann wie Alfred Herrhausen, der Chef der Deutschen Bank, patriotisch gesonnen und zudem für einen Schuldenerlaß der Dritten Welt eintretend, muß für jede US-Administration eine Provokation gewesen sein. Die verfügbaren Stasi-Akten – was CIA (Stichwort Rosenholz-Dateien) und KGB davon übriggelassen haben – sind für den wissenschaftlich interessierten Leser nochmals „ausgedünnt“ und lassen den Verdacht aufkommen, daß hier diejenigen geschont werden sollen, die heute den „neuen Herren“ dienen. „Will man sich hochqualifizierter geheimdienstlicher Diener auch der zweiten deutschen Diktatur im Inneren des Staates bedienen? Ist das so viel wert, um dafür Spielregeln der Demokratie außer Kraft zu setzen?“

Die Publizistin Regine Igel, langjährige Autorin der Süddeutschen Zeitung, der Zeit und der Neuen Zürcher Zeitung, fand einen Ausweg, derartige Aktivitäten glaubhaft zu dokumentieren. Bei der „Überarbeitung“ der Akten sind die Verantwortlichen mit den Spesen-abrechnungen weniger gründlich vorgegangen, so daß heute dokumentiert ist, daß die sogenannte zweite Generation der RAF in der DDR – seit 1980 bzw. 1982 angeblich am friedlichen Aufbau der Arbeiter- und Bauernmacht beteiligt – häufig Reisen in den Westen unternommen haben. Wenn immer wieder behauptet wird, das Studium der Stasi-Akten würde keine grundsätzlich neuen Erkenntnisse bereithalten, ist hier der Gegenbeweis erbracht. Inge Viett verließ zwischen 1985 und 1989 etwa 150mal die DDR, häufig über Dänemark und die Fährverbindung Rødby–Puttgarden oder über den vom Westen nicht zu kontrollierenden Berliner Übergang Bahnhof Friedrichstraße.

Auffällig dabei ist der zeitliche Zusammenhang zu Anschlägen in der Bundesrepublik Deutschland. Das war bereits damals kein Geheimnis, denn die Welt wußte 1986 zu berichten: „Inge Viett hält sich zu 95 Prozent im Ausland auf. Auch die RAF-„Aussteigerin“ Silke Maier-Witt rechnete zwischen 1983 und 1989 mehrfach Beträge für „Ausgaben für politisch-operative Zwecke“ ab. Reisen lassen sich hier indessen nicht nachweisen. Hier taucht die Frage nach einer Vernichtung der Akten auf.

Aber Stasi-Kontakte zum bundesrepublikanischen Terrorismus entdeckte Regine Igel schon viel früher als bisher angenommen. Selbst Kontakte zur RAF-Ikone Ulrike Meinhof sind dokumentiert. Merkwürdigkeiten und offene Fragen benennt Igel auch zu anderen Personen – um nur einige zu nennen: Horst Mahler, Andreas Baader oder Dieter Kunzelmann. Der US-Historiker John C. Schmeidel will gar von 450 Metern Stasi-Akten im US-Gewahrsam wissen.

Der vierte Teil des Buches befaßt sich mit den Kontakten und Einflüssen der Stasi zu „rechten“ Terroristen wie Odfried Hepp oder der Wehrsportgruppe Hoffmann. Von letzterer stammten viele Mitglieder aus der DDR. Das Studium von Hepps Akte ist besonders interessant, weil von den 15 Aktenordnern die Bände 10 und 11 erst gar nicht ausgehändigt werden. Der Ordner 1 für die Zeit von 1978 bis 1982 beginnt auf Blatt 24/25 geht weiter mit Blatt 62/63, um dann erst auf Seite 125 fortzusetzen. Hepp wird der Sprengstoffanschlag auf das Münchner Oktoberfest 1980 zugeschrieben. „Der sprunghafte Anstieg rechtsradikaler Gewaltdelikte ereignete sich genau in der Zeit, in der West- und insbesondere Ostgeheimdienste mit Rechtsradikalen verstärkt ins Geschäft kamen“, mutmaßt Igel.

Der damalige bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß erwähnte dies mehrfach, und auch der Chef des Verfassungsschutzes, Gerhard Boeden, wies 1982 in einer Rede darauf hin, daß „eine Anzahl ehemaliger DDR-Bürger heute in der Bundesrepublik als Neonazis wirken“. Sein Chef, der damalige Bundesinnenminister Gerhard Baum von der FDP, wollte indessen davon nichts wissen. Igel stellt fest: „In der Tat ähnelten von da an die Anschläge der sogenannten ‘dritten Generation’ der RAF denen der Rechtsterroristen. Mit Sprengstoff gegen amerikanische Soldaten oder Einrichtungen.“ In diesem Zusammenhang gibt es sogar Hinweise auf Kooperationen zwischen der RAF und „rechten“ Terroristen – womit sich der Kreis schließt.

Daß Kritiker Igel vorwerfen, bei ihr verschwimme „die Grenze zwischen seriöser Aktenrecherche und Verschwörungstheorien manchmal stark“ (Die Welt), ist natürlich nicht zu verhindern, wenn das Fehlen von entscheidenden Nachweisen gewisse Vermutungen anregt und auch das „Zusammenzählen von eins und eins“ letztlich doch kein verbindliches Ergebnis zuläßt. Dennoch ist ihr allein mit den im aktuellen Werk dargebotenen Enthüllungen ein großer Wurf gelungen.

 

Regine Igel: Terrorismus-   Lügen. Wie die  Stasi im Untergrund agierte.  Herbig Verlag, München 2012, gebunden,  336 Seiten,   22,99 Euro

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