© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/12 19. Oktober 2012

„Ich möchte nicht in einer DDR leben“
Tom Drake war „Top Secret“-Mann des US-Geheimdienstes NSA. Dann erkannte er, in welchem Ausmaß seine Regierung die eigenen Bürger bespitzelt, und wandte sich heimlich an die Presse: Die USA entwickeln einen Überwachungsstaat, schlimmer als die Stasi.
Ronald Gläser

Herr Drake, sind Sie ein Patriot?

Drake: Auf jeden Fall.

Warum haben Sie dann Ihr Land verraten?

Drake: Der Vorwurf ist absurd. Die US-Regierung hat vielmehr die Verfassung verraten.

Der Fernsehsender CBS nennt Sie „einen Feind der USA“.

Drake: Sehen Sie, nach Abschluß des Verfassungskonvents in Philadelphia 1787 wurde Benjamin Franklin gefragt: „Was habt ihr da geschaffen?“ Daraufhin antwortete er: „Eine Republik, wenn es euch gelingt, sie zu erhalten.“ Genau das habe ich versucht!

Durch Verrat?

Drake: Ist es wirklich Verrat, wenn man entdeckt, daß die eigene Regierung die Verfassung bricht und versucht, das öffentlich zu machen?

Schließlich versuchte man, Sie als Staatsfeind vor ein US-Gericht zu stellen.

Drake: Ich wurde zum Staatsfeind gemacht. Angeklagt auf der fragwürdigen Grundlage eines Anti-Spionage-Gesetzes aus dem Ersten Weltkrieg, das eigentlich für richtige Spione gemacht wurde. Tatsache dagegen ist, daß ich es war, der überwacht und bespitzelt wurde, ja es war fast soweit, daß sie Kameras in meinem Schlafzimmer plaziert hätten!

Die US-Regierung wollte Sie hinter Gittern sehen, weil Sie Ihre Position als Geheimnisträger mißbraucht haben sollen.

Drake: Wenn ich jemanden verraten habe, dann nicht mein Land, sondern ein paar inkompetente Bürokraten. Nicht ich, sondern die Errichtung eines Polizeistaat-Leviathans und eines Sicherheitsregimes sind die gegenwärtige Bedrohung für die amerikanische Verfassung.

Die US-Administration wirft Ihnen vor, geheime Regierungsinformationen an die Medien weitergegeben zu haben.

Drake: Ja – es waren allerdings keine Geheimdokumente –, und zwar nachdem ich herausfand, daß der 11. September 2001 von meiner Regierung als Begründung dafür benutzt wird, die Verfassung zu umgehen. Der Überwachungsstaat weitet seine Macht immer weiter aus und dringt in das Privatleben der Bürger ein und verschleiert dies durch den Deckmantel der nationalen Sicherheit – diese Vorgänge werden dann als Staatsgeheimnis klassifiziert.

Konkret?

Drake: Es gibt eine Erosion der verfassungsmäßig geschützten Rechte, insbesondere des ersten und vierten Verfassungszusatzes.

Wonach Rede- oder Pressefreiheit nicht eingeschränkt und die Privatsphäre nicht ohne gesetzliche Grundlage verletzt werden darf.

Drake: Eben. Tatsächlich aber mußte ich miterleben, wie die Privatheit für die Regierung immer mehr zum Freiwild geworden ist.

Sie waren damals immerhin Leitender Beamter der „National Security Agency“, der Nationalen Sicherheitsbehörde.

Drake: Ja, die NSA ist der größte Nachrichtendienst der USA und für die weltweite Überwachung, Entschlüsselung und Auswertung elektronischer Kommunikation zuständig. Aber genau die dafür entwickelte Überwachungstechnologie schlüpft wie ein großes Monster in unser aller Leben. Vor meiner Tätigkeit für die NSA war ich an der Aufklärung gegenüber Warschauer-Pakt-Staaten beteiligt. Konkret war ich Kryptolinguist und Sprachexperte für die DDR. Damals wurde mir die Struktur eines Überwachungsstaates bewußt und seine tiefgreifenden Fähigkeiten, die eigenen Bürger zu finden, zu überwachen und zu kontrollieren.

Sie vergleichen die NSA mit der Stasi?

Drake: Sehen Sie, die Stasi war wirklich sehr effektiv: Sie wußte fast alles über ihre Bürger. Und dabei hatten sie damals noch kein Internet. Heute sind die USA eine sowohl kabelgestützte als auch drahtlos vernetzte Nation. So viel von unserem Leben wird durch elektronische Transaktionen und viele, viele digitale Spuren bestimmt. Vieles davon ist persönlich eindeutig zuzuordnen. Heute – in der Nachwendezeit – frage ich mich: Wie kann eine offene und dynamische Demokratie neben einem geheimen Polizeistaat existieren?

Wie konnte die NSA sich dazu entwickeln?

Drake: Nach dem 11. September 2001 wurde die NSA vom Weißen Haus zum ausführenden Organ bei einer streng geheimen Operation Namens „Stellar Wind“ gemacht. Der Trick dabei war, daß aus den Vereinigten Staaten so etwas wie ein ausländischer Staat gemacht wurde, um die dauerhafte Überwachung zu ermöglichen. Dieses Programm aber umging und verletzte in krimineller Weise den „Foreign-Intelligence-Surveillance-Act“, das Gesetz zum Abhören in der Auslandsaufklärung.

Dieses wurde 1978 vom Kongreß aufgrund von geheimen Rechtsverstößen der Regierung in den fünfziger, sechziger und siebziger Jahren gegen amerikanische Bürger verabschiedet.

Drake: Verglichen mit den heutigen Maßnahmen waren diese Dinge aber nur Kinderkram. Ich fragte damals meine Vorgesetzten und Kollegen nach der Legalität der Bespitzelung von Amerikanern ohne richterlichen Beschluß. Denn es wurde noch nicht einmal versucht, so eine Anordnung zu erlangen.

Die Antwort war?

Drake: „Tom, Sie verstehen das nicht, wir leben in außergewöhnlichen Zeiten!“

Das heißt, es war „legal“, weil das Weiße Haus gesagt hat, es sei „legal“?

Drake: Ja, so in etwa. Und dabei wußten sie gar nicht, was sie mit all den Daten überhaupt konkret anfangen sollten.

Inwiefern?

Drake: Sie sagten mir: „Wir brauchen die Daten, auch wenn wir noch nicht wissen, wann wir sie mal wirklich brauchen werden.“ Sie wollen einfach immer mehr Daten, eine gewaltige Menge. Die Überwachung besteht aus einer pauschalen Rasterfahndung im ganz großen Stil, so daß mehr Daten gesammelt werden, als dies im Falle ausländischer Geheimdienste und Bedrohungen zulässig wäre. Faktisch werden damit Millionen Amerikaner ohne ihr Wissen und ohne ihre Zustimmung unter Verdacht gestellt. Ihr Leben wird von dem geheimen, digitalen Datenkraken des Überwachungsstaates ohne ernsthaften Grund leergepumpt.

In der Wüste von Utah bauen die NSA nun ein neues Datensammelzentrum – nicht nur für die USA, sondern zur Sammlung von Daten weltweit.

Drake: Warum bitte brauchen sie so eine Einrichtung? Und warum brauchen sie soviel Platz dafür? Eben weil die digitalen Daten immer mehr werden: Terabytes, Petabytes, Exabytes. Das zeigt, daß es ein Erfassungsproblem gibt und daß sie nicht schnell genug hinterherkommen mit der Auswertung. Es sind ja nicht mehr nur die Verbindungsdaten, die sie sammeln und speichern, es ist auch der Inhalt. Zum Beispiel der Text einer E-Mail oder der Inhalt eines Telefongesprächs. Die Frage lautet: Was können sie mit all den Informationen anfangen? Sie können sie sich immer dann anschauen, wenn sie sie brauchen. Ich als US-Bürger habe hingegen keinen Zugriff auf meine Daten. Sie aber wissen, mit wem ich gesprochen oder wem ich eine Nachricht geschickt habe, kurz: Sie haben eine digitale Signatur und ein Profil von mir.

Ihr Fazit?

Drake: Das ist das Äquivalent zu einer universellen Abhör- und Durchsuchungsgenehmigung für jedermann durch die Erstellung eines digitalen Archivs unseres Lebens.

Als offenbar wurde, daß ein hochrangiger Beamter wie Sie ein Whistleblower – also ein Medieninformant – war, reagierte man mit einer Razzia gegen Ihr Haus.

Drake: Etwa ein Dutzend bewaffnete Beamte kamen am Morgen des 28. November 2007 zu meinem Anwesen. Sie blieben den ganzen Tag, durchsuchten alles. In Wirklichkeit war es aber eine Vergeltungsmaßnahme, weil ich zum Whistleblower geworden war – ich wurde deswegen kriminalisiert. Sie gingen alle meine Papiere und Bücher durch, nahmen alle meine Computer und ebenso praktisch alle meine elektronischen Speichermedien mit.

Haben Sie die Rechner zurückerhalten?

Drake: Nur einen Teil der älteren Geräte, einige CDs und persönliche Papiere. Die Masse dessen, was sie konfisziert haben, befindet sich weiter in ihrer Hand, was einer unbefristeten Aufbewahrung gleichkommt. Ich bin Nebenkläger in einem Zivilprozeß, um die Dinge zurückzuerhalten. Die Regierung behauptete aber, alles, was sie einbehalten habe, sei Schmugglerware, obwohl ich kein solches Verbrechen begangen habe. Sie weigert sich, es zurückgeben, und argumentiert, daß alle Regierungsinformationen und Informationen mit Regierungsbezug, egal wie diese erlangt worden sind, im Besitz der Regierung zu bleiben hätten. Ferner hätten die Gerichte nicht das Recht, auf Rückgabe zu entscheiden, nur die Exekutive habe dieses Recht, egal ob es sich dabei um Konterbande auf Computern, Festplatten oder in Papieren handelt. Sie meinen schließlich gar, dem Gericht sei es untersagt, die Unterlagen zurückzugeben, weil wir nicht berechtigt seien, sie entgegenzunehmen. Verstehen Sie? Das war kafkaesk!

Unter diesem Druck beschlossen Sie notgedrungen, mit der Regierung zusammenzuarbeiten.

Drake: Ja, für fünf Monate. Ich habe den Behörden alle erforderlichen Informationen gegeben. Die Ironie der Geschichte ist, daß der Kern der Vorwürfe gegen mich, die übrigens alle in sich zusammengefallen sind, auf Informationen beruhte, die ich als Whistleblower zu der Zeit weitergab, als ich an den offiziellen Untersuchungen der NSA beteiligt war.

Falls Sie verurteilt worden wären, hätten Ihnen bis zu 35 Jahre Haft gedroht. Haben Sie bereut, was Sie getan haben?

Drake: Whistleblowing ist sehr gefährlich, das wußte ich. Aber es war meine Pflicht als Beamter, auf diese Weise die Gesetze gegen Verletzung durch die Regierung zu schützen, somit ist mein Handeln verfassungstreu. Neben meinem Fall gibt es noch die Verfolgung von Bradley Manning, der durch die Wikileaks-Affäre berühmt geworden ist, und vielen anderen Whistleblowern wie etwa John Kiriakou, Stephen Kim, Shamai Leibowitz oder Jeffrey Sterling. Außerdem sieht es so aus, als wären die USA sehr daran interessiert, Julian Assange und Wikileaks zu verfolgen.

Wie reagieren die Amerikaner auf diese Entwicklung ihres Staates?

Drake: Unter dem Deckmantel der Terrorgefahr nach dem 11. September haben sich viele Bürger dazu entschlossen, einige unserer Freiheiten zugunsten unserer Sicherheit zu opfern. Aber de facto wurde ein Polizeistaat geschaffen, der weit über die Grenzen der verfassungsmäßigen Ordnung hinausgeht. Ich habe bislang zwei Arten von Reaktionen bei meinen Mitbürgern erlebt: Die einen können nicht glauben, daß die Regierung all diese Dinge wirklich tut. Die anderen ignorieren es, weil es eine so unangenehme Wahrheit ist. Wenn aber die Bürgerschaft weiter eine Vogel-Strauß-Politik betreibt, dann wird der Polizeistaat auch immer weiter ausgebaut. Aber eigentlich wollen wir Amerikaner nicht in einem Land wie der DDR leben.

Was fürchten Sie in naher Zukunft?

Drake: Neben der Angst um die Zukunft unserer Republik fürchte ich vor allem eine universelle Bespitzelung wie in George Orwells Roman „1984“. Die ständige Sammlung aller elektronischen Transaktionen durch ein geheimes, überragendes, alles wissendes Überwachungsregime; Drohnenangriffe rund um den Globus, autorisiert durch geheime Todeslisten unserer Regierung; Überwachung unserer Bürger durch GPS-Ortungssysteme und die Verwendung von Cyberwaffen wie „Stuxnet“ und „Flame“ gegen andere Nationen. Die Art von Dystopie, die eine drakonische, digitale Mauer um uns baut und uns zu Gefangenen des Staates macht. Ich kann mir sehr gut vorstellen, wie die Stasi wohl vor Freude sabbern würde, wenn sie die gleichen Mittel gehabt hätte, über die heute die NSA verfügt.

 

Thomas Drake, war Leitender Angestellter des US-Nachrichtendienstes „National Security Agency“ (NSA), bevor er von der US-Regierung der Spionage angeklagt wurde. Geboren 1957 in Louisiana, diente Drake als Kryptolinguist während des Kalten Krieges an Bord von RC-135-Aufklärungsflugzeugen der US-Luftwaffe. Danach war Drake unter anderem im „National Military Joint Intelligence Center“ des Pentagon sowie als Analyst für die CIA tätig, bevor er zur NSA wechselte, wo er die Geheimhaltungsstufe „Top Secret“ erhielt. Zeitweilig lehrte er zudem als Professor an der National Defense University in Washington D.C., der Universität des US-Verteidigungsministeriums. Während der Ermittlungen zu den Terroranschlägen vom 11. September 2001 sagte Drake vor der Kommission des US-Kongresses zum Versagen der NSA aus, die nicht gewarnt hatte. Ab 2005 gab er heimlich interne Papiere an die Presse weiter, legte nach eigener Ausage aber Wert darauf, daß es sich nicht um als geheim klassifizierte Dokumente handelte, bis er schließlich aufflog. Alle wichtigen amerikanischen Medien berichteten über seinen Fall.

Foto: Satellitenanlagen der „National Security Agency“ in Fort Meade (Maryland): „Die NSA ist der größte Nachrichtendienst der USA und für die weltweite Überwachung, Entschlüsselung und Auswertung der elektronischen Kommunikation zuständig. Aber genau die dafür entwickelte Überwachungstechnologie schlüpft wie ein großes Monster in unser aller Leben.“

 

weitere Interview-Partner der JF

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen