© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/12 19. Oktober 2012

Unheilige Allianz gegen das Leben
„Marsch für das Leben“: Wie ein Berliner Träger für Schwangerschaftsberatung die Abtreibungslobby unterstützt
Bernward Büchner

Während des „Marsches für das Leben“, den der Bundesverband Lebensrecht kürzlich mit mehr als 3.000 Teilnehmern in Berlin veranstaltet hat (JF 40/12), haben zeitgleich Abtreibungslobbyisten lautstark „Für Vielfalt und sexuelle Selbstbestimmung in Deutschland“ demonstriert. Aufgerufen zu dieser Kundgebung hatte neben anderen Organisationen das Berliner Familienplanungszentrum „Balance“.

Dies ist bemerkenswert, wenn man sich das Zentrum genauer anschaut.Wie auf dessen Internetseite nachzulesen ist, versteht sich „Balance“ als eine Einrichtung, in der sowohl Beratung als auch medizinische Hilfe angeboten wird. „Besondere Synergien ergeben sich aus unserer engen Kooperation mit der Schwangerschaftsberatungsstelle, die sich unter dem Dach von Balance im gleichen Haus befindet.“ Die räumliche Nähe und Zusammenarbeit von Familienplanungszentrum und Schwangerschaftsberatungsstelle ermögliche unkomplizierte Beratungen und medizinische Leistungen.

Träger des Familienplanungszentrums, zu dessen Angebot der „medikamentöse und operative Schwangerschaftsabbruch“ gehört, ist der Verein Familienplanungszentrum Berlin e. V., dessen Träger die Berliner Ärztekammer, Pro Familia und Frau und Familie e. V. sind. Dieser Verein ist zugleich Träger der Schwangerschaftsberatung Balance, die auch die Schwangerschaftskonfliktberatung nach Paragraph 219 des Strafgesetzbuches beinhaltet.

Das Team der hierfür anerkannten Beratungsstelle, so die Internetseite, stehe für einen fürsorglichen Umgang mit dem Wunsch zum Schwangerschaftsabbruch. Unterstützt würden Frauen und Männer darin, ihre Sexualität selbstbestimmt zu leben und frei und verantwortlich sich selbst und anderen gegenüber zu entscheiden, wann und wie viele Kinder geboren werden.

Angesichts dieses Selbstverständnisses hat der Trägerverein Frau und Familie mit Forderungen anscheinend keine Probleme, wie sie im Aufruf zur Kundgebung „Für Vielfalt und sexuelle Selbstbestimmung in Deutschland“ erhoben werden. Beim Eintreten ungewollter Schwangerschaften müßten „Frauen und Paare sich ohne bürokratische Hürden und ohne Bevormundung entscheiden können, ob sie eine Schwangerschaft austragen wollen oder einen Schwangerschaftsabbruch vorziehen.“ Die Verortung des Pargraphen 218 Strafgesetzbuch (StGB) und die seit 1993 bestehende Pflichtberatung vor einem Schwangerschaftsabbruch stelle eine Entmündigung und Diskriminierung von Frauen dar. Offenbar ist dies die Auffassung des diesen Aufruf unterstützenden Familienplanungszentrums Balance und damit auch des Vereins Frau und Familie als Träger der Beratungsstelle und institutioneller Mitträger des Familienplanungszentrums Berlin e. V.

Eine solche Auffassung verträgt sich keineswegs mit den Aufgaben der Schwangerschaftskonfliktberatung nach Paragraph 219 StGB und mit den Voraussetzungen der Anerkennung einer Beratungsstelle hierfür. Wer nämlich die vor einer Abtreibung gesetzlich vorgeschriebene Beratung als bürokratische Hürde, Bevormundung, Entmündigung und Diskriminierung von Frauen versteht, ist zu einer dem Schutz des ungeborenen Lebens dienenden Beratung, die der Frau das Bewußtsein vermitteln soll, „daß das Ungeborene in jedem Stadium der Schwangerschaft auch ihr gegenüber ein eigenes Recht auf Leben hat“, offenbar nicht bereit und bietet nicht die für die Anerkennung einer Beratungsstelle erforderliche Gewähr für eine verfassungs- und gesetzeskonforme Beratung.

Einen Träger mit einem solchen Beratungsverständnis als legitimen Teil eines pluralen Angebots zu verstehen, wäre ein Mißverständnis von Pluralität. Nach dem Schwangerschaftskonfliktgesetz darf eine Beratungsstelle für die Konfliktberatung zudem nur anerkannt werden, wenn sie mit keiner Einrichtung, in der Abtreibungen vorgenommen werden, derart organisatorisch oder durch wirtschaftliche Interessen verbunden ist, daß hiernach ein materielles Interesse der Beratungseinrichtung an Schwangerschaftsabbrüchen auszuschließen ist. Auszuschließen ist dies bei dem Verein, der Träger der Beratungsstelle und zugleich institutioneller Mitträger des Familienplanungszentrums ist, sicher nicht.

Im August konnte Balance auf sein zwanzigjähriges Bestehen zurückblicken. In einem Grußwort sprach der Berliner Senator für Gesundheit und Soziales, Mario Czaja (CDU), dem Zentrum seine herzlichen Glückwünsche aus und dankte den Mitarbeitern für das „große Engagement“. Diesem „Engagement“ dürfte in den vergangenen zwanzig Jahren eine sechsstellige Zahl ungeborener Kinder zum Opfer gefallen sein.

Der Autor ist Vorsitzender der Juristen-Vereinigung Lebensrecht e. V. und Vorsitzender Richter am Verwaltungsgericht a. D.

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