© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/12 19. Oktober 2012

„Ohne Gewehr bin ich tot“
Syrien: Gegensätze zwischen Wüsten- und Stadtarabern, die Assad in die Hände spielen
Billy Six

Das ist der richtige Islam.“ Alles war zu erwarten gewesen – nicht jedoch eine deutsche Stimme. Frontstadt Abu Duhur, im Nordwesten Syriens. Mehrere Leute, je nach Gesprächspartner mal neun, mal 27, sollen unter den Trümmern des Mehrfamilienhauses begraben liegen, wo vor drei Wochen die Bomben der syrischen Luftwaffe niedergegangen sind. Im Schutt schreit ein einsames Katzenkind ums Überleben. Daß ihm der deutsche Gast eine Schale Wasser hinstellt, freut Mohamed Abu Islam vom Beduinenstamm der Hadidin.

Abu Islam, der seit Jahren in Leipzig wohnt und aus Gründen der Aufenthaltsverlängerung stets zwischen Brandherd und Bürostube pendelt, unterstreicht „die sanfte Seite des Islam“. Es geht um die Überlieferung, hungrigen Tieren helfen zu müssen. „Glaube mir“, sagt Mohamed, „als ich gehört habe, daß ein deutscher Journalist in Abu Duhur ist, bin ich sofort in mein Auto gestiegen – nicht für mich oder Dich, sondern für Allah!“

Unerwartet kommt aber neben der sanften auch eine aggressive Seite in Mohameds moslemischen Weltbild zum Vorschein: „Paß mal auf, mein Bruder: Ich mag Osama bin Laden. Wenn die Amerikaner Bush wählen, dann darf man sie auch alle angreifen.“ Besondere Abneigung hegt er gegen den jüdischen Staat: „Meine Religion sagt, es kann mir niemand wegnehmen, mein Quds (Jerusalem). Wer Frieden mit Israel macht, ist kein richtiger Moslem.“ Hier im sunnitischen Gouvernement Idlib fällt es schwer, jemanden mit abweichender Einstellung zu finden – gegenüber Feinden von außen ist man sich einig.

Nach innen überwiegen die Unterschiede der arabischen Gesellschaft. So der Dauerkonflikt zwischen Wüsten- und Stadtarabern. Letztere werfen ihren beduinischen „Brüdern“ vor, nicht regelmäßig zu beten, sondern zu stehlen und zu lügen – und obendrein für Geld mit Staatspräsident Baschar al-Assad zu kooperieren.

Doch Beduine Mohamed mag diese Hinweise nicht. Er verweist darauf, daß die meisten Beduinen mittlerweile seßhaft geworden seien und die Menschen in den syrischen Städten ihre historische Stammeszugehörigkeit nur vergessen hätten.

„Wahrheit“ wird unter arabischen Moslems, wo auch immer sie nun leben mögen, anders definiert, als man dies aus Deutschland gemeinhin kennt: Als richtig und korrekt gilt, was der islamischen Sache nutzt. Denn nur über den Glauben an Allah und seinen Propheten Mohamed, „salalla alleihi wassalem“, gebe es Rettung für die Menschheit. Gegen den „Ungläubigen“ Assad befinde man sich derzeit in einem „Heiligen Krieg“, ist immer wieder zu hören.

Im Dorf Tell Sultan, rund fünfzehn Kilometer nördlich von Abu Duhur, mag man sich weder für noch gegen die Regierung positionieren. „Wir sind nur arme Leute vom Land“, heißt es. Den Schauplatz eines überraschenden Hubschrauberangriffs von gestern und die Gräber der Toten zeigen sie dennoch bereitwillig.

Sieben Frauen und zwei Kinder seien dabei ums Leben gekommen. Um die Dramatik zu verstärken, zeigen sie ein Stück Knochen und Haarreste. „Das ist vom zerfetzten Kopf eines der Kinder!“ Andernorts begutachtet ein Arzt die Präparate – wenn auch nur flüchtig. „Also ein Kind hat nicht solch ledrige Kopfhaut. Ohne ein abschließendes Urteil abzugeben: Aber zu 50 Prozent stammen das Knochenstück und zu 90 Prozent das Haarbüschel von einer Ziege.“ Als der junge Mediziner den wahren Hintergrund erfährt, schüttelt er nur mit dem Kopf und spricht es ohne Schnörkel aus: „Beduinen!“

Um die Beständigkeit der Assad-Regierung zu verstehen, muß man nicht unbedingt in die Alawiten-Berge entlang der Mittelmeerküste fahren. Auch hier, inmitten der weiten ländlichen Areale sunnitischer Mehrheitsbevölkerung haben die Herrschenden von Damaskus ihre Abkommen getroffen – mit den Beduinenscheichs der jeweils größten Stämme. Die Polizei habe bei Schmuggelgeschäften stets beide Augen zugedrückt – und auch gern das eigensinnige Rechtsempfinden bei Familienauseinandersetzungen hingenommen.

Wer dann doch hinter Gitter wanderte, sei mit guten Beziehungen zum Scheich recht schnell wieder freigekommen, so Einheimische. Daß dann auch die Beduinen zum Hauptwaffenlieferanten der Aufständischen wurden und somit ein doppeltes Spiel zu führen begannen, soll nicht weiter verwundern. Laut Mohamed Abu Islam hätten schon vor dem Aufstand etwa siebzig Prozent der Landaraber eine Schußwaffe besessen. „Das hier ist nicht Deutschland“ erklärt Mohamed nüchtern, „ohne Gewehr bin ich tot.“

Foto: Mohamed und seine Rebellen-Kameraden in Abu Duhur: Nur gegenüber Feinden von außen ist man sich in aller Regel einig

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