© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/12 19. Oktober 2012

CD: Jake Heggie
Death Opera Walking
Jens Knorr

Kann Oper für Beibehaltung und Abschaffung der Todesstrafe zugleich werben? Seit eh und je wird auf der Opernbühne gestorben, daß es eine Lust hat. Ohne Tod keine Verklärung. Das war im 19. Jahrhundert Allgemeinplatz, bis Komponisten der klassischen Moderne damit brachen – der europäischen Moderne.

Jake Heggie bricht damit nicht! Für seine erste Oper, ein Auftragswerk der San Francisco Opera aus dem Jahr 2000, hat sich der US-amerikanische Komponist den Bestseller der Ordensschwester Helen Prejean „Dead Man Walking“ von 1993, der auch dem gleichnamigen Film von 1995 mit Susan Sarandon in der Hauptrolle zugrunde liegt, von dem Broadway-Autor Terrence McNally zu einem Libretto formen lassen und mit einer Melange aus klassischer Moderne, illustrativer Film- und folkloristischer Musik, insbesondere Gospel, unterlegt. Der Hörer bekommt sein Deputat an moderner Musik, ohne vor den Kopf gestoßen zu werden, allerdings auch, ohne daß in seinem Kopf etwas an-, geschweige denn umgestoßen würde, was nicht längst schon angestoßen gewesen wäre.

Der Erfolg der Oper in den USA hält an, so daß dem Zusammenschnitt von Vorstellungen der Uraufführungsserie von vor elf Jahren (bei Erato) einer der Neuproduktion der Houston Grand Opera vom vorigen Jahr nachgeschoben werden konnte (bei Virgin). Dirigent der alten und der neuen Produktion ist Patrick Summers. Den Mörder Joseph de Rocher singt Philip Cutlip (damals John Packard, der diesmal den Vater des ermordeten Mädchens singt), die Primadonnenrolle der Sr. Helen singt Joyce DiDonato (damals Susan Graham), die Mutter des Mörders Frederica von Stade (wie damals), die sich mit der Rolle von der Opernbühne verabschiedete. Die Aufführungen und Einspielungen unterscheiden sich lediglich in Nuancen, der Persönlichkeit der jeweiligen Sänger zuzuschreiben. Ein neuer Interpretationsansatz mußte nicht gesucht werden und würde im übrigen das Stück wohl überfordern.

Das Thema „Todesstrafe“ bewegt nach wie vor, und wo sich Gegner und Befürworter im Leben unversöhnlich gegenüberstehen, da dürfen sie zu Heggies Oper innerlich bewegt beisammensitzen. Hier ist der Todeskandidat zweifellos auch der Mörder, Justizirrtum und Strafausschließungsgründe liegen nicht vor. Läßt die Wandlung des Mörders zum reuigen und liebenden Sünder einerseits am Sinn der Todesstrafe zweifeln, weil diese denjenigen trifft, der er ist, wo sie doch demjenigen gilt, der er war, so liegt andererseits der Sinn der Todesstrafe gerade eben darin, seine Wandlung in Gang zu setzen. Sein Tod erlöst ihn wie uns, womit alle gut leben können – bis auf einen.

Um mehr als nur das einspurig erzählte Psychodrama zu erzählen, langen die verwandten dramaturgischen und musikalischen Mittel eines Zu-spät-Verismo nicht hin. Die musikalische Abbildung einer Hinrichtung ergibt beinahe nichts über eine Hinrichtung. Doch mit Musik geht alles besser, und sei’s der letzte Gang. Die Musik von Heggie ist Teil der Todes- und Hinrichtungsindustrie, über die sie nichts verlauten läßt.

Glücklich das Land, das Buch, Film und Oper dieser Thematik nicht nötig hat, Norwegen zum Beispiel.

Jake Heggie: Dead Man Walking Virgin Classics, 2012 CD 50999 60246325 www.emiclassics.com

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