© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/12 19. Oktober 2012

Er nimmt, was er kriegt
Filmkritik: „Underground“ bastelt weiter an der Julian-Assange-Legende
Ronald Gläser

Der Journalist und Dokumentarfilmer John Pilger kennt seinen australischen Landsmann Julian Assange genau. Bei einem Schriftstel-lertreffen auf Bali hat sich Pilger in der vergangenen Woche lautstark für seinen Freund, den Gründer von Wikileaks, eingesetzt. „Seine Festnahme ist ein Angriff auf uns alle und unsere Freiheit“, so der frühere Kriegsberichterstatter.

Und dann erinnerte er an eine Unterredung des britischen Premierministers David Lloyd George, der 1917 zum Herausgeber des Manchester Guardian gesagt hat: „Wenn die Leute die Wahrheit wüßten, dann wäre der Krieg morgen vorbei.“

Diese Rede hätte Assange gefallen, sieht er sich doch als einsamer Held, der der Wahrheit und dem Frieden dient und sich dafür mit den Mächtigen anlegt. Deswegen ist er seit Monaten eingesperrt in der Botschaft Ecuadors in London, als „Gefangener im Zwischenreich“, wie ihn die FAZ kürzlich zutreffend charakterisierte. Von dort aus führt er derzeit eine harte Anti-Obama-Kampagne, um dem Präsidenten seine Wiederwahl zu vermiesen.

Julian Assange bastelt auch fleißig weiter an seiner eigenen Legende. Im November kommt sein neues Buch „Cypherpunks“ über den Kampf um die Freiheit im Netz. Und vor einer Woche wurde „Underground: The Julian Assange Story“ bei einem Filmfest in Toronto uraufgeführt. Der Streifen schildert, wie Assange 1991 Kriegsverbrechen der Amerikaner im zweiten Golfkrieg auf die Schliche kommt.

Was nach einer fiktiven Vorgeschichte à la „Die Abenteuer des jungen Indiana Jones“ klingt, basiert tatsächlich auf seinen Jugenderlebnissen, festgehalten in dem Buch „Underground“ (1997) von der australischen Journalistin Suelette Dreyfus.

Der Film von Robert Connolly, bei dem Assange – anders als an dem Buch – nicht mitgewirkt hat, spielt sich vor dem Hintergrund seiner Familiengeschichte ab: Die Mutter war in zweiter Ehe mit einem Bösewicht verheiratet, vor dem Christine, Julian und sein kleiner Halbbruder stets auf der Flucht sind. Auf der Flucht: eines der fast überstrapazierten Hauptmotive des Films, das natürlich auf sein Leben ab 2010 gemünzt ist.

Eines Nachts steht der ehemalige Stiefvater vor der Tür, und Mutter Christine will die Flucht ergreifen. „Ich will nicht mehr weglaufen“, beschließt der kaum Volljährige heldenhaft und wirft sich dem körperlich Überlegenen entgegen. Julian Assange im Kampf gegen mächtige Gegner, noch so ein Narrativ des Films.

Die anderen zwei Determinanten in seinem Leben sind Computer und Frauen. Nach sechs Minuten und vierzig Sekunden hackt er sich erstmals in ein Rechnersystem. Hundert Sekunden später lernt er Electra kennen. Die Siebzehnjährige wartet mit ihm auf den Bus. Sie ist gekleidet wie Madonna und trägt einen Walkman. Wenig später liegt sie in seinem Bett.

Was romantisch beginnt, hat seinen Höhepunkt, als Julian in einem nahe gelegenen Stadtviertel alle Lichter ausgehen läßt. Mit seinem Commodore, der neben einem Achtziger-Jahre-Ghettoblaster auf seinem Schreibtisch steht, hat er alle Stromleitungen lahmgelegt. Wie der junge Anakin Skywalker, der seine Jedikräfte noch nicht genau einzusetzen weiß, begeht Assange solche Dummheiten.

Und es geht weiter. Zusammen mit Electra und seinen Hackerfreunden bricht Assange in Unis ein und hackt sich durch die Computernetze der Welt. Er will die Anti-Atom-Proteste seiner Mutter zum Erfolg bringen und die Welt vor den Kriegsplänen der Amerikaner im Irak warnen. Deswegen wird er von der australischen Polizei gejagt, die ihn am Schluß hochgehen läßt. Assange wird von einer Spezialeinheit zu Hause überrumpelt. Auch das eine Analogie zu der umstellten Botschaft, in der Assange seit Juni ausharrt.

Für sich genommen ist „Underground“ ein zweitklassiger Hackerfilm à la „23“. Kein Wunder, daß Hagbard auch erwähnt wird. Allerdings ist er schon wegen der Telekom- und Computertechnik aus den Achtzigern sehenswert. Alles sehr detailgetreu, eine Reminiszenz an längst vergessene C64-Tage.

Als Coming-of-age-Geschichte und Zeitdokument ist der Film mehr: ein Zeugnis von der gekonnten Selbstvermarktung Assanges und davon, wie er die USA sieht, auch wenn kein einziger Amerikaner in persona in dem Film auftaucht. Nur im Zwiegespräch zwischen dem australischen Polizisten Ken Roberts und seiner Mutter werden „die Amerikaner“ erwähnt: „Was passiert wohl, wenn sie ihn zuerst kriegen?“

Diese Frage stellt sich heute erst recht. Die Amerikaner wollen seinen Kopf, weil er ihre Kriegsverbrechen dokumentiert hat. Assange hat sich durch die Veröffentlichung der geheimen Diplomatendepeschen 2010 in Washington sehr unbeliebt gemacht. Kritiker werfen ihm Antiamerikanismus vor. Zu Unrecht. Er hat nicht gezielt US-Dokumente „geleakt“. Es war reiner Zufall, daß ihm so viele amerikanische Staatsgeheimnisse zugespielt worden sind. Zu den von Wikileaks veröffentlichten Dokumemen gehören beispielsweise auf unzählige Dateien des syrischen Regimes. Und 2009 hat er die Brisanz der Climategate-Emails erkannt und diese auf seiner Seite publik gemacht.

Assange lebt nach einem Viel-Feind-viel-Ehr-Prinzip. Er hat immer alles genommen, was er kriegen konnte. Das gilt für die Geheimnisse wie für die Frauen.

Underground: The Julian Assange Story www.matchboxpictures.com

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen