© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/12 19. Oktober 2012

Spuren russischer Kultur
Ausstellung: Das Militärhistorische Museum der Bundeswehr in Dresden präsentiert fotografische Erinnerungen an den Abzug der russischen Streitkräfte
Paul Leonhard

Die Zigarette hat der junge Rotarmist in den Mundwinkel geschoben. Die Fellmütze sitzt keck auf dem Kopf. Breit grinst er den Fotografen an. Es geht ja in die Freiheit, in eine neue Zeit. Mit beiden Händen stützt er sich ab, ein Bein hat er schon auf der Betonmauer, gleich wird das andere folgen. Und am Bildrand sieht man den sorgsam auf der Mauerkrone abgestellten, gepackten Koffer. Zurück läßt er eine verfallene Welt: schwarze Fensterhöhlen einer Kaserne, eine davon ist schon grob zugemauert.

Falls die Aufnahme nicht gestellt wurde, ist Martin Hertrampf mit ihr ein hervorragender Schnappschuß gelungen, ein fotografisches Zeugnis des größten Abzugs fremder Besatzungstruppen aus Deutschland. Das erste Foto der noch bis zum 4. Dezember im Militärhistorischen Museum der Bundeswehr in Dresden zu sehenden Ausstellung „Otkuda? Kuda? – Woher? Wohin?“ über den Abzug der russischen Streitkräfte zwischen 1990 und dem Spätsommer 1992 aus dem Großraum Dresden ist aber ein anderes. Es zeigt einen Jüngling mit seinem prächtigen Roß und gehört, so die Ausstellungsmacher, zu „Spuren uralter russischer Kultur“, die einen weiten Zeithorizont öffnen sollen. Gemeint ist damit offensichtlich das Selbstverständnis der in Deutschland stationierten sowjetischen Weststreitkräfte, auf deren Bajonetten allein die DDR existieren konnte.

Der von Bundeskanzler Helmut Kohl und dem sowjetischen Staatspräsidenten Michail Gorbatschow ausgehandelte Truppenabzug war die eigentliche Voraussetzung für die deutsche Wiedervereinigung und das Entstehen eines souveränen Deutschlands. Vor allem auf lokaler Ebene war der Abzug von Mißverständnissen geprägt. Die russischen Militärs legten großen Wert darauf, als Freunde zu scheiden, während die deutschen Politiker und große Teile der Bevölkerung jetzt unverhohlen zeigten, wie sehr ihnen die Besatzungsmacht verhaßt war.

In Dresden hat Hertrampf den Abzug der 1. Gardepanzerarmee fotografisch festgehalten. Hertrampf, 1964 in Gotha geboren, war damals Fotografie-Student an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig. Er fotografierte auf eigene Faust, ohne offiziell Kontakte zu den Militärs herzustellen. Deswegen sind es vor allem Außenansichten, wie sie sich jedem DDR-Bürger boten: auf den Dächern ihrer verfallenen Kasernen hockende, gelangweilte Soldaten, zwischen großen Umzugscontainern spielende Kinder von Offizieren oder zivilen Militärangehörigen, für ein Gruppenbild posierende Soldaten, durch Dresdens Straßen fahrende Militärlastwagen, ein verlassener Appellplatz, Reifenspuren im verschlammten Boden.

Zu sehen sind ebenfalls die Hinterlassenschaften der abgezogenen Militärs: Ruinen mit rostigen Treppenläufen, verblaßte revolutionäre Wandmalereien wie die Darstellung von T-55-Panzern auf Tauchfahrt. Namen wie Kolanow, Kasakow und Trofimow stehen in kyrillischen Buchstaben auf Papierstreifen unter denen rostige Nägel hängen – eine Garderobe russischer Art. Ein ähnliches Bild, am gleichen Ort aufgenommen, entdeckt der aufmerksame Besucher ein Stück weiter. Und das kommt mehrfach vor. Als müßte die Ausstellung künstlich gestreckt werden, sind Fotos desselben Motives auf verschiedene Tafeln gehängt.

Auch das von dem deutschen Künstler Otto Rost (1887–1970) geschaffene Siegesdenkmal für die Rote Armee (er konnte dabei auf seine im Auftrag der Wehrmacht entstandenen Entwürfe zurückgreifen), das einst am Platz der Einheit (heute und früher Albertplatz) stand, taucht in Gesamt- und Detailaufnahmen mehrfach auf, was sicher nur Einheimischen auffällt, aber von der Lieblosigkeit zeugt, mit der die Fotoschau zusammengestellt wurde. Das verwundert, weil die meisten Fotos schon einmal im November 1992 im Militärhistorischen Museum zu sehen waren und die Bundeswehr eine Auswahl der Aufnahmen für ihre Sammlung erworben hat.

Trotzdem sind die 84 Schwarzweiß-Aufnahmen beeindruckend. Die Bilder würden „den Schwebezustand zwischen dem ‘Woher’ und dem ‘Wohin’ spürbar werden lassen, der die Zeit des Abzugs der ehemaligen sowjetischen Streitkräfte aus Ostdeutschland prägte“, heißt es im Kalatog. Die Fotos geben einen kleinen Eindruck von der Welt des streng abgeschotteten sowjetischen Militärs.

Auch verdeutlichen sie symbolisch die Gefahr, die von dieser Militärmaschine ausging: Ein Foto zeigt Stacheldraht und einen mit Tarnnetz überzogenen Wachturm. Wie auf einem Schattenriß sticht ein sowjetischer Soldat hervor, den Stahlhelm auf dem Kopf und die Maschinenpistole mit aufgepflanztem Bajonett in der Hand.

Die Foto-Ausstellung ist bis zum 4. Dezember im Militärhistorischen Museum Dresden, Olbrichtplatz 2, täglich außer mittwochs von 10 bis 18 Uhr, montags bis 21 Uhr, zu sehen. Der Eintritt kostet 5 Euro (ermäßigt 3 Euro). Telefon: 03 51 / 8 23 28 03

www.mhmbw.de

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