© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/12 19. Oktober 2012

Propaganda-Fabrik geschlossen
Chile: Die konservative Regierung schließt die staatliche Zeitung „La Nación“ wegen Erfolglosigkeit – und Opportunismus
Michael Ludwig

Die Begründung von Präsident Sebastián Piñera war klar: La Nación habe sich in den letzten 20 Jahren, in denen eine Mitte-Links-Koalition an der Macht war, „in eine Propaganda-Fabrik verwandelt.“ Außerdem sei es nicht „die Aufgabe des Staates, sich eine eigene Zeitung zu halten, um die Opposition zu disqualifizieren.“

Damit war das Schicksal eines der traditionsreichsten chilenischen Blätter besiegelt. La Nación wurde 95 Jahre alt. Da der Staat 69 Prozent der Gesellschafteranteile hielt, konnte er seinen Willen gegenüber den Minderheitsgesellschaftern kompromißlos durchsetzen.

Mit La Nación verschwindet eine sehr umstrittene Tageszeitung vom Markt. Herausgeber und Redakteure haben sich in der Vergangenheit nicht mit Ruhm bekleckert. 1917 wurde das Blatt von dem Journalisten und Politiker Eliodoro Yáñez gegründet. Seine Richtschnur lautete: „Wir widmen unsere Aufmerksamkeit den sozialen Problemen der Bevölkerung, dem Arbeitsleben und dem Fortschritt.“

Wegen heftiger innenpolitischer Auseinandersetzungen ging Yáñez 1927 ins Exil, und der Staat übernahm La Nación. Von nun an wechselte das Blatt seine redaktionelle Meinung wie ein Chamäleon die Farbe. Es nahm stets die an, die von der jeweiligen Regierung vorgegeben wurde. 1973, als sich Augusto Pinochet an die Macht putschte, vertrat es die Interessen des Militärs. Mehr noch: Bis zum Ende der Diktatur verteidigte es verbissen dessen Kurs. Als 1990 eine Mitte-Links-Koalition regierte, änderte La Nación über Nacht seine politische Einstellung und glich sie stromlinienförmig der neuen parlamentarischen Mehrheit an. Die Leser verweigerten jedoch zunehmend die Gefolgschaft. 2010 dürfte das Blatt nur noch eine Auflage von unter 15.000 Exemplaren gehabt haben. Es folgte die Einstellung der Druckausgabe. Nun ist auch Schluß mit dem Internetauftritt.

117 Mitarbeiter verlieren mit dem Aus von La Nación ihren Arbeitsplatz. Die Minderheitsgesellschafter und die Gewerkschaft haben angekündigt, gegen die Schließung juristisch vorzugehen.

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