© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/12 19. Oktober 2012

Mikroaugen im Magen-Darm-Trakt
Deutsche Forschungsgemeinschaft: Verklemmt kosmopolitisch, aber primär pragmatisch
Dirk Lübbers

Internationale Zusammenarbeit gehört seit über hundert Jahren zum Alltag von Wissenschaftlern. Trotzdem bekundet die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) mit jedem neuen Jahresbericht eine schier kindliche Freude über beglückende Fortschritte Richtung „Weltoffenheit“, die den Bonner Verwaltern eines milliardenschweren Etats bei ihrer „Kooperation mit den besten internationalen Partnern“ wieder einmal gelungen seien.

Dieser kosmopolitische Enthusiasmus sollte vielleicht selbst einmal Gegenstand eines DFG-Projekts zur deutschen Wissenschaftsideologie des 21. Jahrhunderts werden. Am besten zusammen mit einer Analyse der Förderungsstrategie in den Geistes- und Sozialwissenschaften, die sich seit langem auf „Multikulturelles“ und „Gender“ konzentriert: auf Untersuchungen über „kulturelle Heterogenität“ und deren Auswirkungen auf Mädchen in Duisburg-Marxloh, Sprachentwicklung bilingual aufwachsender Kinder, „transkulturelle Verflechtungsprozesse“ in der Kunstgeschichte oder „Nomadismus im Zeitalter steigender Mobilität“. Bei derartigter Weltanschauungsproduktion liegen Frauen inzwischen vorn. 2011 stellten sie fast 53 Prozent der Promovierenden in den DFG-finanzierten kulturwissenschaftlichen Graduiertenkollegs.

Hingegen bleibt der Anteil der Nachwuchsforscherinnen in den Natur- (26 Prozent) und Ingenieurwissenschaften (21,3 Prozent) auf unverändert niedrigem Niveau. Diese „harten“ Disziplinen sind zumeist auch straff „anwendungsbezogen“ auf praktische Umsetzung ausgerichtet. Nur vordergründig betrachtet treibt man dabei hohen Aufwand für begrenzte Effekte. So fließen Steuergelder an Forschergruppen in Halle, Magdeburg und Graz, die optimale mikromechanische Bedingungen erkunden, um Partikel von weniger als fünf Mikrometern Durchmesser in die Alveolen der Lunge zu transportieren.

Medizinisch wäre dies zunächst allein für eine verbesserte Asthmatherapie von Bedeutung, wo mit derzeitiger Technik nur 20 Prozent des Wirkstoffs eines Medikaments in den Lungenbläschen ankommt. Erst auf den zweiten Blick ist erkennbar, daß diese Studien auf größere Anwendungskreise zielen, da das Hallenser Institut für Pharmazie synthetische Objekte entwickelt, die als polymere Träger Arzneien in den Körper befördern und exakt an Ort und Stelle einsetzen sollen. Passend zu diesem Trend, Chirurgie durch minimalinvasive Heilungsmethoden abzulösen, starten Schwerpunktprogramme in den Ingenieurwissenschaften, die das medizintechnische Instrumentarium verfeinern.

So forscht das Fraunhofer-Institut für Angewandte Optik (IOF) in Jena an endoskopischen „Mikroaugen“, die sich etwa im Magen-Darm-Trakt entfalten. Sie würden die medizinische Diagnostik revolutionieren. Einen Schritt weiter geht eine Forschergruppe um Alexander Meining (München), die bald über ein Multifunktionsendoskop verfügen will, das drei Operationsinstrumente vereint. Damit soll sich Meinings Vision realisieren, Tumore binnen 15 Minuten entfernen und die Patienten anschließend nach Hause entlassen zu können.

Während die DFG mit diesen Zukunftsprojekten medizinischer Spitzentechnologie den Weg ebnet, melden sich fast vergessene Krankheiten wie Malaria und Tuberkulose zurück. In Afrika und Asien sind die Infektionskrankheiten auf dem Vormarsch. Da herkömmliche Arzneimittel gegen die neuen, multiresistenten Erreger versagen, finanziert die DFG einen Würzburger Sonderforschungsbereich, wo man die Suche nach wirksamen Antibiotika gegen „alte Bekannte“ derzeit allerdings noch bescheiden mit einem Griff nach den Sternen vergleicht.

Jahresberichte der DFG: www.dfg.de

Foto: Beschichtung optischer Kunststoffe: Die deutsche Fraunhofer-Gesellschaft mit ihren mehr als 80 Instituten und Einrichtungen ist die größte Organisation für anwendungsorientierte Forschung in Europa

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen