© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  44/12 26. Oktober 2012

Schäubles Irrtum
Der Bundesfinanzminister will Brüssel mehr Macht geben. Doch Zentralismus ist kein Weg aus der Euro-Krise
Andreas Mölzer

Seit bald drei Jahren ist die Schulden- und Euro-Krise das beherrschende Thema in der Europäischen Union. Eine Unzahl von EU-Gipfeln hat stattgefunden, ohne daß die Krise auch nur ansatzweise gelöst werden konnte. Das einzige, was sich abzeichnet, ist, daß das EU-Hochestablishment Lösungsansätze in einer weiteren Zentralisierung der Europäischen Union sieht. Immer wieder geistern die „Vereinigten Staaten von Europa“ durch die Debatte, Frankreichs Präsident François Hollande rührt unermüdlich die Werbetrommel für die Einführung sogenannter Eurobonds, also gemeinsamer Anleihen der Euro-Länder, und zuletzt sorgte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble für europaweites Aufsehen. Der CDU-Mann forderte die Einführung eines Super-Währungskommissars, der quasi nach eigenem Gutdünken alle mit dem Stabilitätspakt zusammenhängenden Dinge ohne Zustimmung der anderen EU-Kommissare im Alleingang entscheiden soll. Schließlich müßten wir, so Schäuble, „jetzt einen großen Schritt in Richtung Fiskalunion machen“.

Schäubles Vorstoß hat es in sich: Zum einen zeigt er, welche Gedanken in den Hirnen der EU-Granden gesponnen werden. Zum anderen wird deutlich, daß Brüssel auf Kosten der europäischen Nationalstaaten und der Demokratie die Krise nutzen will, um den schon längst geplanten europäischen Bundesstaat in die Tat umzusetzen. Ein allmächtiger Währungskommissar, aber auch das vom ständigen EU-Ratspräsidenten Hermann Van Rompuy befürwortete Einheitsbudget für alle Euro-Länder bedeutet nämlich in der Praxis nichts anderes, als daß die Haushaltshoheit und damit eine der letzten den Mitgliedstaaten noch verbliebenen nationalstaatlichen Kernkompetenzen an Brüssel abgetreten werden soll.

Pläne wie jene Schäubles und Van Rompuys haben somit auch die Parlamente der Mitgliedstaaten im Visier. Schließlich zählt die Genehmigung der Haushalte zu den wichtigsten Befugnissen der nationalstaatlichen Volksvertretungen, eine Befugnis, die ihnen offenbar entrissen werden soll. Nicht mehr vom Volk gewählte Abgeordnete sollen letztendlich über die Verwendung von Steuergeldern entscheiden, sondern ein Kommissar in Brüssel – der Begriff „Kommissar“ läßt übrigens Erinnerungen an die Sowjetunion unseligen Angedenkens aufkommen, in deren Anfangszeit sogenannte „Volkskommissare“ über das Schicksal von Millionen Menschen entschieden.

Zentralisten wie Schäuble, Van Rompuy und Co. sehen darüber hinaus in der Eurozone den Nukleus für ein Kerneuropa, jedoch für ein völlig falsches und fehlgeleitetes Kerneuropa, weil die in der Vergangenheit gemachten Fehler nicht nur fortgesetzt, sondern geradezu einzementiert werden sollen. Insbesondere wird der Grundsatz, daß Länder wie Griechenland ungeachtet ihrer fehlenden Teilnahmevoraussetzungen Mitglieder der Wirtschafts- und Währungsunion bleiben müssen, fast in den Rang eines quasireligiösen Dogmas erhoben. Einmal getroffene Entscheidungen werden also beibehalten, mögen sie sich im Nachhinein als noch so falsch erweisen. Schließlich war es der gravierendste Konstruktionsfehler der Währungsunion, daß Staaten unabhängig von ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und finanzpolitischen Ethik zusammengefaßt wurden.

Das Kerneuropa, das Schäuble und seinen Brüdern und Schwestern im Geiste vorschwebt, wäre aber nicht nur eines, in welchem Länder wie die Bundesrepublik Deutschland, Österreich oder die Niederlande bis in alle Ewigkeit die südeuropäischen Pleitestaaten zu alimentieren hätten, sondern wegen der weitgehenden Ausschaltung der nationalen Parlamente auch ein undemokratisches. Offenbar haben Fälle wie die Ablehnung der EU-Verfassung bei den Volksabstimmungen in Frankreich und in den Niederlanden im Jahr 2005 das Mißtrauen der Brüsseler EU-Nomenklatura gegenüber den Bürgern so verstärkt, so daß nun reiner Tisch gemacht werden muß. Der erlauchte Kreis der Brüsseler Kommissare soll vom gemeinen Volk unbehelligt bleiben, letzteres soll mit zahnlosen nationalen Parlamenten und dem Europäischen Parlament, das in Wirklichkeit nichts anderes als eine pseudodemokratische Fassade ist, abgespeist werden.

Natürlich wird kein vernünftig denkender Mensch bestreiten, daß es in Europa eine enge Zusammenarbeit geben muß. Aber mit der Rasenmähermethode wird es – in welchem Bereich auch immer – mit Sicherheit nicht funktionieren, sondern nur zu Unbehagen führen. Vielmehr muß ein vielschichtiges, organisch wachsendes und dafür die Menschen, die Völker und ihre Kulturen miteinander verflechtendes System der europäischen Integration geschaffen werden. Dabei müssen, frei von der bisherigen Politik der Zwangsbeglückung, verschiedene Stufen der Integration möglich sein, die wie konzentrische Kreise um ein Kerneuropa angeordnet sind.

Ein solches Kerneuropa könnte sich wiederum aus einem europäischen Hartwährungsverbund herausbilden, der dieselben Mitglieder hat wie jener Währungsverbund, der sich früher um die D-Mark gebildet hat, also Deutschland, die Benelux-Staaten und Österreich. Wesentlich für das Funktionieren eines solchen Kerneuropas ist, daß es Staaten umfaßt, die aufgrund ihrer ähnlichen Kultur, Geschichte oder Denkweisen Gemeinsamkeiten aufweisen, weshalb wirtschaftlich überaus leistungsfähige Regionen wie etwa Oberitalien, Frankreich, Polen, Tschechien, die Slowakei, Ungarn, Slowenien, die baltischen und die skandinavischen Staaten dazustoßen könnten. So wünschenswert ein anderes, richtiges Kerneuropa auch ist, zu dessen Umsetzung fehlt leider der politische Wille.

 

Andreas Mölzer, FPÖ, ist seit 2004 Mitglied des Europäischen Parlaments. Für die JUNGE FREIHEIT schrieb er zuletzt in der Ausgabe 29/12. www.andreas-moelzer.at

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen