© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  44/12 26. Oktober 2012

„Die Leute lieben das“
Bernhard Roetzels Handbuch der klassischen Herrenmode ist eine konservative Oase. Still und leise avancierte es zum Standardwerk und internationalen Bestseller. Warum läßt sich die Welt ausgerechnet von einem Deutschen über Stil belehren?
Moritz Schwarz / Andreas Ferber

Herr Roetzel, genaugenommen machen Sie doch Bücher zum Träumen?

Roetzel: Das erste Mal, daß ein Journalist diese Feststellung macht – aber genau so ist es!

Dabei klingt Ihr Klassiker und Bestseller „Der Gentleman. Handbuch der klassischen Herrenmode“ so nüchtern.

Roetzel: Nach Ratgeber meinen Sie?

Eben.

Roetzel: Für manchen ist es das auch, viele aber lesen es in der Tat eher als ein Buch über eine Traumwelt ...

... in die man sich immer wieder gerne entführen läßt.

Roetzel: Sie haben das Buch?

Seit es 1999 erstmals erschienen ist.

Roetzel: Dann kaufen Sie sich mal die Neuauflage, die im September erschienen ist, es lohnt sich.

Über rund 750.000 verkaufte Exemplare weltweit. Was ist das Geheimnis seines Erfolges?

Roetzel: Ich glaube, daß sich viele von den Begriffen „Gentleman“ und „klassische Herrenmode“ angezogen fühlen: Das hat einfach Klang. Dabei sollte das Buch eigentlich „International Style“ heißen, weil es ein Panorama des international gültigen klassischen Bekleidungsstils entfaltet. Aber unter diesem Titel hätte es wohl kaum ein Mensch gekauft – was für ein Glück, daß ich mich damals nicht durchsetzen konnte.

Es kann nicht nur der Titel sein, immerhin schreiben Ihre Leser Ihnen Sätze wie: „Ihr Buch hat mein Leben verändert.“

Roetzel: Das sind meist jene, die nicht nur praktischen Nutzen daraus ziehen wollen, sondern die es einfach als wunderbar empfinden, sich in diese Welt zu versenken – die Welt der feinen Schneider und edlen Stoffe, der legendären Schuhmachermeister und berühmten Krawattenmacher, der Dandys, Trendsetter, kurz des gediegenen Lebensstiles. So wie die Leute sich Bücher über Ferraris kaufen – und selber vielleicht gar kein Auto haben. Ach übrigens, was den Erfolg angeht: Da wären noch die Frauen.

Die Frauen?

Roetzel: So mancher bekommt das Buch von einer Frau geschenkt, wohl in der Hoffnung, daß es ihm ein wenig auf die Sprünge hilft. Obwohl die wahren Liebhaber nach meiner Erfahrung fast ausschließlich Männer sind, Frauen ist nämlich im Grunde der Kern der Sache schnuppe.

Inwiefern?

Roetzel: Frauen meinen zwar, sie hätten Ahnung von Männermode, doch in der Regel haben sie das nicht. Allerdings gelingt es ihnen, Männern das Gefühl zu geben, daß diese unbedingt ihrer Beratung bedürfen. Darum sind auch viele Männer so schlecht angezogen.

Modeschöpfer Jerry Hackett meint, es liegt daran, „daß Mode Männern Angst macht“.

Roetzel: Ich sage, viel mehr Männer als wir glauben, werden von Mutti oder Gattin schlecht angezogen.

Warum?

Roetzel: Zum Beispiel, um sie für andere Frauen unattraktiv zu machen.

Aber ...

Roetzel: Ich weiß, was Sie jetzt einwenden: Frauen wünschen attraktive Partner als eine Art Statussymbol.

Ja.

Roetzel: Ich habe das lange auch geglaubt, aber inzwischen festgestellt, daß jene Männer am besten angezogen sind, die sich selbst anziehen.

Dann wäre Ihr Buch ja schon fast subversiv: eine Art heimliche Anleitung zur Männer-Emanzipation.

Roetzel: Auf jeden Fall. Ich sage bei jeder Gelegenheit: „Meine Herren, nehmen Sie das selbst in die Hand! Sie lassen sich ja von Ihren Müttern und Ehefrauen auch nicht die Felgen für Ihr Auto aussuchen!“ Gut, der Vergleich hinkt, aber, wie ich immer wieder feststelle, er beeindruckt. Wenn auch oft zum Verdruß der Frauen, denn wenn Männer etwa einen Schuhtick entwickeln, dann fürchten Frauen, daß nun ihr Budget schrumpft. So einfach ist das.

Sie haben selbst einen Schuhtick. Mit 25 Jahren besaßen Sie bereits zwanzig Paar.

Roetzel: Ich kann es nicht leugnen, ich habe wohl schon mehr Schuhe ausgesondert, als die meisten Menschen je in ihrem ganzen Leben kaufen werden.

In einem Interview haben Sie eingeräumt: „Ich bin verrückt.“

Roetzel: Ja, aber hier die gute Nachricht: Mein Schuhtick läßt langsam nach. Zuletzt habe ich vier Jahre durchgehalten, bevor ich wieder schwach geworden bin.

Was ist der Grund, ist es Eitelkeit?

Roetzel: Mag sein, aber ich glaube, der Grund ist echte Begeisterung. Anwälte rufen mich an, nur um mir von den bestellten Hemden vorzuschwärmen, die eben geliefert worden sind. Oder von neuen Manschetten – die auf dieser Seite hier einen Tick zu eng sind, aber die ja auch nicht zu weit sein sollen. In Köln sprach ich einen Schuhhändler ob der schönen Kappnähte an den Ärmeln seines Anzugs an, es entspann sich eine Konversation über seine Bekleidungsleidenschaft, und am Schluß gestand er mir: „All das habe er noch nie zuvor jemandem so gesagt.“ Kurz: Diese Leute sind Liebhaber, sie pflegen eine Leidenschaft und sie können damit großartig entspannen. Und dabei höre ich oft: „Wenn das meine Kollegen wüßten!“ Also, Teile der Szene sind sehr diskret.

Haben Sie eigentlich geerbt?

Roetzel: Sie meinen wohl: Wie kann der Schnösel das sonst finanzieren?

Äh, nein ...

Roetzel: Oh doch, ich kenne das! Aber: Ich habe alles mit eigener Arbeit finanziert. Da kommen natürlich keine Reichtümer zusammen, letztlich ist es eine Frage der Prioritäten: Mein Auto etwa ist bescheiden, und mein Fahrrad stammt noch aus meiner Studentenzeit. Was geben Jugendliche heute für ein Paar modische Turnschuhe aus? Gute Lederschuhe kosten zwar um die vierhundert Euro, aber die halten dann auch zehn bis fünfzehn Jahre. Im Schnitt ist das nicht teurer. Sicher, gute Garderobe kostet. Wichtig ist deshalb, die Sachen gut zu pflegen, damit sie lange halten.

Die allermeisten Leute interessieren sich allerdings nicht im geringsten für klassische Herrenmode. Fühlen Sie sich manchmal als Kämpfer für eine verlorene Sache?

Roetzel: Es stimmt, man kann sich tagelang an die Straße setzen und die Leute beobachten und wird tatsächlich niemanden entdecken, dessen Äußeres den Verdacht nahelegt, daß er von all dem auch nur ansatzweise inspiriert ist. Andererseits hat das aber nicht allzuviel zu sagen, denn das Buch ist bei uns über 200.000mal verkauft worden, und ich wette, daß während wir dieses Interview führen, mindestens einer hier mit uns im Biergarten sitzt, der es zu Hause hat. Neulich saß da ein Punker, sah mich und bemerkte: „Hey cool, Humphrey Bo-gart!“ Die Leute sehen also immerhin etwas darin, und wenn sie sich auch selbst nicht trauen, solche Kleidung anzuziehen, finden sie sie aber eigentlich toll.

Sie wollen die Welt zu einem besseren Ort machen?

Roetzel: Nein, ich habe da keinen missionarischen Eifer.

Immerhin sagen Sie aber Sätze wie: „Wenn in einer Stadt ein Mann mit Covert Coat geht, dann gibt es auch noch Hoffnung.“

Roetzel: Da war natürlich ein guter Schuß Ironie dabei. Aber sehen Sie, ich erinnere mich etwa an einen Vortrag, den ich bei einer Versicherung gehalten habe. In der ersten Reihe saßen lauter Herren, die exakt so aussahen, wie man sich klischeehaft Versicherungsvertreter vorstellt: Aufgerollte Sakkoärmel, Kettchen am Arm, weiße Socken. Schließlich kam ich darauf, daß es von Vorteil ist, Kniestrümpfe zu tragen, um das „Milk-Bottle-Leg“ – wie die Briten es nennen –, also die nackte Wade, die so weiß wie eine Milchflasche ist, zu vermeiden. Und die Kurzsockenträger in der ersten Reihe? Auch sie nickten beifällig. Ich stelle immer wieder fest, daß manche Männer ihr eigenes Äußeres komplett ausblenden und fest daran glauben, etwas ganz anderes darzustellen als das, was tatsächlich zu sehen ist. Daran werde ich auch nichts ändern. Aber selbst wenn: Ob die Welt besser wäre, wenn alle nach den klassischen Maßstäben gekleidet wären, möchte ich bezweifeln. Im übrigen wäre das auch sehr eintönig. Die Italiener etwa sind dadurch, daß sie mehr Wert auf Kleidung legen, viel uniformer. Die Deutschen sind da wesentlich weniger gleichförmig, einfach weil sie nicht so an Mode interessiert sind.

Mal Hand aufs Herz, Herr Roetzel, ein Gentleman allerdings, der kauft Ihr Buch doch gar nicht.

Roetzel: Ja, wohl eher nicht. Schon deshalb, weil der echte Gentlemen im englischen Sinne kein Mensch der Bücher ist.

Inwiefern?

Roetzel: Das Wort Gentleman hat verschiedene Bedeutungen, eine meint den britischen Aristokraten, der nicht arbeiten muß und statt dessen seinen Hobbys nachgeht, die alle unintellektuell sind: Jagen, Fischen, Landwirtschaft, Sport. Der Gentleman ist nicht ungebildet oder dumm, schließlich liest er in seinem Club die Zeitung, aber er ist auch kein Intellektueller. Prinz Charles ist da die Ausnahme, und dafür wurde er in seinen Kreisen ja auch lange fast belächelt. Außerdem: Ein echter Gentleman weiß natürlich schon, wie er sich kleidet und muß sich nicht mehr darüber informieren. Mein Buch kauft er sich höchstens zum Amüsement: „Mal gucken, ob alles stimmt, was da drinsteht.“

Ihr Buch wurde bereits in zwanzig Sprachen übersetzt.

Roetzel: Ja, ehrlich gesagt erstaunt mich das selbst, denn man würde doch vermuten, daß ein Engländer oder Italiener und nicht ausgerechnet ein Deutscher den Lesern weltweit die Grundlagen klassischer Herrenmode nahebringt.

Wie lautet Ihre Erklärung?

Roetzel: Ich habe keine, es bleibt ein Kuriosum. Andererseits – vielleicht mußte es eben jemand sein, der nicht aus Großbritannien kommt, der das alles einmal zusammenfaßt.

Warum eigentlich Großbritannien?

Roetzel: Weil es das Ursprungsland der klassischen Herrenmode ist – dabei ist der größte Teil der Briten heute wohl schlechter angezogen als die übrigen Europäer. Das heißt übrigens nicht, daß es nicht auch anderswo phantastische Herrenmode gab und gibt, aber in England wurde eben das meiste erfunden. Die Italiener etwa sind die größten Fans der Engländer, das wissen die meisten Deutschen gar nicht. Aber wenn sie in Italien eine Marke für einen Pullover kreieren, dann ist der bevorzugt englisch. Das ist dort etwa so wichtig wie für uns, daß Mode einen italienischen Namen hat.

Warum?

Roetzel: Das hat wohl damit zu tun, daß die Deutschen sich gerne als Europäer verkleiden, in der Mode natürlich als Italiener oder Engländer.

Was ist der Grund dafür?

Roetzel: Na ja, dafür gibt es viele Gründe. Einer, den ich für offensichtlich halte, ist unser Trauma wegen der Weltkriege. Seitdem haben die Deutschen ja bekanntlich ein Problem mit ihrer Identität, und das zeigt sich auch hier. Es gibt ja Deutsche, die komplett italienisch leben, ich kenne da einige Beispiele. Natürlich liegt das nicht nur am deutschen Trauma, unsere Italienbegeisterung hat natürlich auch ältere Wurzeln. Das gleiche gilt für diese komische Affinität der Deutschen für die Engländer. Auch die hat bei uns Tradition und hat unbeschadet sogar beide Weltkriege überstanden. Der Engländer, das ist für den Deutschen gern der Gentleman oder der Exzentriker mit der Pfeife, das gediegene Landleben, die herrliche Tradition, diese wunderbare Monarchie – all das, was uns abhanden gekommen ist. Da kann der Deutsche konservativ sein, ohne sich verdächtig zu machen. Es ist ein harmloses, nettes England, mit dem man sich gerne identifiziert, so wie mit dem Italien der Kunst und des guten Essens. Die Deutschen lieben diese Traumbilder – und das ist wohl auch ein Geheimnis des Erfolgs meines „Gentleman“.

 

Bernhard Roetzel, seit über einer Dekade ist „Der Gentleman. Handbuch der klassischen Herrenmode“ (H. F. Ullmann Verlag) mit etwa 750.000 verkauften Exemplaren weltweit – eins davon im Besitz von Altbundeskanzler Gerhard Schröder –, und inzwischen übersetzt in 18 Sprachen, Stilberater Nummer eins für alle, die sich für das begeistern, was den Mann zum Herrn macht. Mittlerweile hat Autor Bernhard Roetzel einen ganzen Kanon zum Thema geschrieben: „Mein wunderbarer Kleiderschrank“, „Betrachtungen eines Unmodischen“, „Die Lady. Handbuch der klassischen Damenmode“, „Der gute Stil: 500 Styling-Tips für sie“, „Men‘s Health: Der Style-Guide“ – zuletzt erschien aus seiner Feder im April 2012: „Mode Guide für Männer“. Außerdem berät der 1966 in Hannover geborene ehemalige Werbetexter und PR-Fachmann auf seinem Stil-Blog formvollendet in Deutsch und Englisch.

www.bernhardroetzel.de

 

weitere Interview-Partner der JF

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen