© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  44/12 26. Oktober 2012

Kleider machen Leute
Stilkunde: Wer sie sind und was sie tragen. Ein kleiner Streifzug durch die Welt der Mode
Christian Vollradt

Wir können anziehen, was wir wollen. Im Prinzip. In der Freizeit sowieso, aber auch im Beruf – sieht man zum Beispiel vom Bau- (Helmpflicht) oder Bankgewerbe (Anzug mit Krawatte) einmal ab – werden uns kaum noch Kleidervorschriften gemacht. Vorbei die Zeiten, als noch Familienstand, Berufsgruppe oder der gesellschaftliche Rang diktierten, was zu tragen ist und was nicht. Und längst prägt auch die Jugend nicht mehr einen bestimmten „Look“. Von politischen Kategorisierungen einmal ganz abgesehen, seit selbst bei den Grünen der klassische Dreiteiler das Batikhemd und den Norwegerpulli abgelöst haben.

Die Deutschen nutzen diese (ästhetisch manchmal herausfordernde) Freiheit und sind weniger uniform gekleidet als andere Völker, meint etwa Stilpapst Bernhard Roetzel (siehe Interview Seite 3); dennoch gibt es auch bei uns immer noch gruppenbezogene Kleidungsstile, die in jeder mittelgroßen Stadt anzutreffen sind. Doch zur Mode gehört noch mehr, denn nicht allein der Kleiderschrank, sondern auch Accessoires verraten, wer wir sind oder wenigstens, zu welcher Gruppe wir uns zugehörig fühlen. Einige Beispiele dieser Typen sind im folgenden aufgeführt, freilich ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Selbstverständlich treten uns die diversen Typen nur sehr selten in Reinform gegenüber, selbstverständlich gibt es noch immer genügend Individualisten und Nonkonforme, die sich – nicht nur optisch – in kein Schema pressen lassen.

Die Auswahl erfolgte betont willkürlich, strikt wertungsfrei – und unter Aufbietung größtmöglicher Ernsthaftigkeit.

 

Preppy

Baumwollhose mit Bundfalte, Polo- oder Oxfordhemd, V-Ausschnittpullover oder Blazer sowie Segelschuhe sind noch immer die wesentlichen Zutaten für den Preppy-Stil. Der Begriff leitet sich ab von den privaten prep (preparatory) schools an der amerikanischen Ostküste, in denen der Nachwuchs der Elite-Universitäten Neuenglands herangezogen wird. Die etwas abfällig auch als Snobs bezeichneten Absolventen bildeten in den vierziger und fünfziger Jahren einen stark vom Segelsport beeinflußten lässig-schicken Kleidungsstil heraus, der dann auch diesseits des Atlantiks seine Anhänger fand.

Da in Deutschland insbesondere Angehörige studentischer Verbindungen diesem Stil folgen, nennt man den Preppy hierzulande auch gern „Burschi“-Stil, seine weibliche Form etwas abfällig „Perlen-Paula“ wegen der besonders gern zur Bluse (mit hochgestelltem Kragen) getragenen Perlenkette oder -ohrringe. Neben sogenannten Chinos (aus meist beiger Baumwolle) erfreut sich die Breitcordhose großer Beliebtheit; klassisch kombiniert mit einer Wachsjacke der britischen Marke Barbour. Vor allem die amerikanischen Modemacher Ralph Lauren und Tommy Hilfiger haben den Preppy-Stil geprägt.

Verbreitung: in Hanse- sowie Universitätsstädten (Juristische Fakultäten)

www.lady-blog.de

 

Tussi

Die Absätze zu hoch, der Rock zu kurz, das Oberteil zu eng, das Make-up zu dick aufgetragen, die Haare zu stark gefärbt und die Ohrringe zu groß. So läßt sich in aller Kürze die Tussi charakterisieren.

Dabei ist die Zuordnung durchaus schichtenübergreifend. Grelle Kleidung mit großen Schriftzeichen und viel Glitzer gibt es nicht nur bei Miss Sixty und H&M, sondern auch für mehr Geld. TV-Sternchen Daniela Katzenberger widerlegt zudem die Legende, die typische Tussi heiße Mandy oder Chantalle und sei nur mitteldeutscher Provenienz.

An den Füßen trägt die Tussi aktuell gerne eine Kombination aus Keilabsatz und Turnschuh. Die männliche Tussi gibt es auch; sie ist etwas zu gebräunt, gern muskelbepackt und trägt gern Kleidung der Marken Ed Hardy oder Camp David.

Manche sehen in diesem „Proll-Stil“ den bewußten Gegenentwurf zum intellektuellen Szenemenschen.

Verbreitung: im Vorabendprogramm privater Fernsehsender – und vor allem in billigen Klischees

www.mysvenja.blogspot.de

 

Nerd

Ein Motto-T-Shirt mit „lustigem“ Spruch, eine verwaschene, schwarze Cargo-hose, lange strähnige Haare: Der Nerd (aus dem Englischen für Sonderling, Streber, Fachidiot) verkörpert authentisch, womit der Hipster eher spielerisch kokettiert. Von daher legt er auf sein Äußeres eher wenig Wert. Wenn er mit seiner Kleidung doch einmal ein Statement abgeben will, dann muß darin auf jeden Fall der ganz eigene Humor der „digital natives“ oder aber etwas aus der Erfahrungswelt graphischer Benutzeroberflächen zum Ausdruck kommen.

Beliebte Beigabe des Nerds ist neben dem obligatorischen Computer auch der Pizzakarton, mit dem in durchaus selbstironischer Absicht die Affinität der Nerds zu „junk food“ symbolisiert wird.

Verbreitung: in der ganzen binären Welt, auf Lan-Partys sowie auf Parteitagen der Piraten

www.piratenpartei.de

 

Outdoor

Kleidung muß bequem sein und „funktionieren“, also in erster Linie ihren Träger warm- sowie Wind und Wasser von ihm fernhalten. Dies ist das Credo der Outdoor-Fans. Sie schwören auf Artikel aus dem Hause Jack Wolfskin oder bevorzugen Marken wie Vaude, Mammut oder Fjällräven. Kombiniert wird das ganze nach dem Zwiebelprinzip, das heißt je nach Witterung in mehreren Schichten übereinander. Dazu werden gerne Trekkingstiefel getragen, und auch das passende Fahrrad ist geländegängig.

Damit man weder am Pol noch im Personennahverkehr verlorengeht, sind die Jacken meist mehrfarbig. Wie es unsere Vorfahren einst ohne Gore Tex, Texapore und mikroporöser Membrane je in hochalpine Gefilde (und wieder zurück) geschafft haben, ist angesichts dessen fast unglaublich.

Verbreitung: im Lehrerzimmer

www.outdoor-show.de

 

Hipster

Er trägt knallig-bunte Röhrenhosen, ein weit ausgeschnittenes T-Shirt plus Flanellhemd, die eine spärlich behaarte Brust offenlegen, eine Wollmütze, Vollbart und eine zu große Hornbrille, für die man vor 20 Jahren auf jedem Schulhof noch Klassenkeile bezogen hätte. Er ißt veganen Döner und trinkt „Club-Mate“ und hat in seiner etwas ranzigen Umhängetasche ein Mac-Book (oder jedenfalls ein internetfähiges Gerät aus dem Hause Apple). Sein liebstes Fortbewegungsmittel ist ein sogenanntes Fixie (fixed gear, also Eingangrad), ein Fahrrad, dem Gangschaltung, Licht, Schutzbleche und gelegentlich sogar Bremsen fehlen. So präsentiert er sich, der Hipster. Er zählt sich zur digitalen Boheme, schreibt ein Blog oder macht sonst irgendwas „in Medien“.

Verbreitung: nicht nur, aber vor allem in Berlin-Mitte und ganztägig überall dort, wo es für wenig Geld einen Chai Latte und kostenloses W-Lan gibt.

www.hipster-olympiade.de/

 

Lady & Gentleman

Es gibt sie noch, die guten Dinge. Das ist nicht nur das Motto des Edelversandhauses Manufactum, sondern auch Leitlinie der Freunde gediegen-klassischer Mode. Die guten Dinge müssen in Zeiten umfassender Konfektionierung allerdings erst gesucht und finanziert werden. Hier geht es nicht um Marken, sondern um Material und Maßanfertigung: rahmengenähte Schuhe, dreiteiliger Anzug aus feinstem Zwirn, Kamelhaarmantel oder gar ein „Covert Coat“. Für die Dame darf es gerne der Flanell-Faltenrock oder ein Etuikleid sein. Den Begriff „Nachhaltigkeit“ muß der Anhänger des Gediegenen nicht im Munde führen, um ihn zu leben. Er investiert nicht in die Menge, sondern in Qualität, was sich durch eine längere Haltbarkeit langfristig auszahlt.

Verbreitung: auf dem – tatsächlichen oder gefühlten – Herrensitz

www.manufactum.de

 

Streetwear

Einen einheitlichen Jugend-Stil gibt es nicht (mehr). Dazu sind die Szenen und ihre jeweilige Mode zu vielfältig. Dennoch ist rein quantitativ der von der amerikanischen Hip-Hop-Kultur beeinflußte Kleidungsstil noch immer tonangebend bei deutschen „Teens“.

Zwingend sind dazu ein „Hoody“ (Kapuzenpullover) und „Sneaker“, also Sportschuhe, die ausdrücklich nicht zum Sport bestimmt sind. Entgegen landläufiger Meinungen ist die sogenannte „Baggy“ (Schlabberhose) derzeit nicht mehr angesagt. Von seiner Herkunft aus dem Milieu der Bildungsfernen (mit und ohne Migrationshintergrund) hat sich der Stil bereits emanzipiert. Beliebte Marken sind neben den „Klassikern“ wie Adidas, Puma und Nike auch die preisgünstigeren Alternativen Fishbone, H&M oder New Yorker.

Verbreitung: „Isch geh Schulhof!“

www.kapatcha.com/

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