© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  44/12 26. Oktober 2012

Lockerungsübungen
Erleichterung für den Wähler
Karl Heinzen

Die Chancen stehen sehr gut, daß die Bürger nun doch auf der Grundlage eines grundgesetzkonformen Wahlrechts über die Zusammensetzung des nächsten Deutschen Bundestages entscheiden dürfen. Das Bundesverfassungsgericht hatte das von der Regierungskoalition durchgepaukte verworfen, da es der Verzerrung des Wählerwillens durch Überhangmandate keinen Riegel vorschob. Diese zusätzlichen Parlamentssitze kommen zustande, wenn eine Partei in einem Bundesland mit so vielen Direktkandidaten erfolgreich ist, daß sie mehr Mandate erringt, als ihr nach dem Zweitstimmenproporz eigentlich zustehen. Dank der Erosion der Volksparteien, dem Erstarken der Grünen und wachsender Zersplitterung der Parteienlandschaft hat sich das Phänomen verstärkt, da nun immer häufiger Direktmandate mit Stimmenanteilen weit unterhalb der 50-Prozent-Marke erobert werden.

Das neue Wahlrecht soll dieses Manko beheben, indem es Überhangmandate der einen Partei mit Ausgleichsmandaten für die anderen Parteien kompensiert. Der Preis für diese Lösung ist eine Aufblähung des Bundestages. Statt der vorgesehenen 620 Abgeordneten ist in Zukunft mit etwa 670 zu rechnen. Dies stößt auf Kritik der veränderungsscheuen Linken, die meinen, daß mehr Parlamentarier nicht für mehr Demokratie sorgen würden. Tatsächlich ist aber das Gegenteil der Fall. Das Repräsentativsystem ist bloß ein pragmatischer Kompromiß zwischen der bedauerlichen Wirklichkeit, daß nicht alle Bürger gemeinsam über alle öffentlichen Fragen entscheiden können, und dem Ideal, daß eben genau dies wünschenswert wäre. Je größer die Zahl der Abgeordneten ist, um so näher kann man dem Ideal aber kommen.

Zudem wird das neue Wahlrecht die Parteien entlasten. Bislang waren sie dazu verdammt, sich um populäre Direktkandidaten zu bemühen und diesen im Wahlkampf ein Profil zu geben. Die Anbiederung an den Bürger vor Ort mit seinen regionalen Partikularinteressen kann nun entfallen, da nur noch die Zweitstimme den Ausschlag gibt.

Auch für den Wähler bringt dies eine Erleichterung mit sich. Er kann sich auf die Überlegung beschränken, welche Parteipräferenz er denn eigentlich hat und muß sich nicht auch noch eine Meinung über ihm zumeist unbekannte Direktkandidaten bilden.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen