© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  44/12 26. Oktober 2012

Perspektiven auf das Böse
Doppelporträt von Hans Jonas und Paul Raphaelson
Hans-Bernhard Wuermeling

Zwei Juden aus Mönchengladbach, beide Söhne reicher Fabrikanten, hat das Schicksal der NS-Judenverfolgung geschlagen. Der eine, der zum weltberühmten Philosophen wurde, Hans Jonas, wanderte 1933 als junger Mann nach Palästina mit dem Vorsatz aus, deutschen Boden erst als ein gegen Hitler siegreicher Soldat wieder zu betreten. Der andere, Paul Raphaelson, wurde in Ghettos und Arbeitslagern als Mitglied der jüdischen Selbstverwaltung zum gefürchteten Kapo, der um des eigenen Überlebens willen Mithäftlinge quälte und in den Tod schickte. Er endete 1947 zwei Stunden nach einem deswegen gegen ihn verhängten tschechischen Todesurteil in Prag am Galgen.

Die beiden kannten einander flüchtig als Knaben und nach dem Krieg von gemeinsamen Mittagessen, zu denen Raphaelson eingeladen hatte. Diesem war es nach dem Kriege gelungen, Ratsherr seiner Heimatstadt zu werden. Hans Jonas besuchte seine Heimatstadt wie erhofft in einer Uniform der Siegermächte, nicht ahnend, mit wem er dort Mahl halten sollte. Bald darauf endete Raphaelsons Nachkriegskarriere mit dem aus Prag eingetroffenen Haftbefehl.

Jede dieser beiden Biographien erscheint vor dem Hintergrund der anderen höchst erstaunlich, denn in beiden geht es um das Geheimnis des Bösen. Der Philosoph denkt darüber nach und zieht in den Krieg. Der andere, Raphaelson, gerät in die Hölle des Bösen und wird dort, um überleben zu können, selbst zum Teufel. Ihn moralisch deswegen zu verurteilen, scheut sich aber der Autor der vergleichenden Biographien, weil er sich die Frage stellt, wie man sich unter jenen Bedingungen verhalten hätte, die in den NS-Vernichtungslagern geherrscht haben, deshalb gesteht er sogar zu „noch viel mehr Gnade walten zu lassen als unter gewöhnlichen Umständen“.

Versuche des Autors, dieses Geheimnis zu lösen, bleiben vergeblich. Um so wichtiger ist es, die Wirklichkeit und Wirksamkeit des mysterium iniquitatis zu kennen – oder ungeschützt ganz einfach ausgedrückt: an Hölle und Teufel zu glauben. Denn nur dann wird das einzig wirksame Mittel gegen das furchtbare Geheimnis des Bösen nützen, das Hintzen so benennt: „Am moralischen Urteil müssen auch in der Hölle keine Abstriche gemacht werden.“

Holger Hintzen: Paul Raphaelson und Hans Jonas.Ein jüdischer Kapo und ein bewaffneter Philosoph im Holocaust. Greven-Verlag, Köln 2012, gebunden, 362 Seiten, 19,90 Euro

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