© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  45/12 02. November 2012

Weihnachten im November
Koalitionsrunde: Schwarz-Gelb bereitet rechtzeitig zum Wahljahr finanzielle Geschenke an die Bürger vor
Paul Rosen

Weihnachten rückt näher – und die Politiker bereiten den Gabentisch vor. Das Volk soll beschenkt werden. Ein Anfang ist gemacht: Die Senkung des Rentenversicherungsbeitrages von 19,6 auf 18,9 Prozent ab 2013 wurde bereits vom Bundestag beschlossen und soll sechs Milliarden Euro Entlastung bringen. Um weitere Wohltaten soll es bei der Koalitionsrunde am Sonntag gehen. Ein Kuhhandel erscheint fast sicher: Gibst du mir mein Betreuungsgeld, wird die Union zur FDP sagen, kriegst du die Abschaffung der Praxisgebühr. „Der Koalitionsbasar ist eröffnet“, spottete das Hamburger Abendblatt.

Man wird sich schon einigen – irgendwie. Der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Michael Grosse-Brömer (CDU), ist sich sicher, daß die Koalition ihre „Fähigkeit zum Kompromiß“ unter Beweis stellen wird. Und FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle bemüht die Jahreszeit: „Wir haben einen schwarz-goldenen Oktober.“ Er prophezeit, daß rechtzeitig vor Weihnachten alle Probleme gelöst sein werden: „Es wird Sie überraschen.“

Konkret geht es um das von der CDU und besonders der CSU geforderte Betreuungsgeld für Eltern, die ihre Kinder zu Hause betreuen. Die FDP vermißt hier die ordentliche Finanzierung – als ob Politiker sich jemals darum ernsthaft gesorgt hätten. Seit Monaten blockieren die Liberalen die Einführung dieser sozialpolitischen Wohltat, um Verhandlungsmasse für ihre Lieblingsprojekte zu bekommen. „Wahr ist: Nichts braucht Rösler dringender als irgendeinen Erfolg“, stellte die Westdeutsche Allgemeine über den FDP-Vorsitzenden und Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler fest. Der hatte sich im Vorfeld mit dem Fraktionsvorsitzenden Rainer Brüderle gestritten, der geneigt schien, den Forderungen der Union vorschnell nachzugeben,

Die FDP sucht ihr Heil in einer Abschaffung der Praxisgebühr, die Kassenversicherte jedes Quartal beim Arzt und Zahnarzt bezahlen müssen. Die zehn Euro Selbstbeteiligung sind bei den Patienten unbeliebt. Die Gebühr erschwert das Arzt-Hopping, weil man entweder in der nächsten Praxis wieder zehn Euro auf den Tisch legen oder sich einen Überweisungsschein besorgen muß. Zudem ist die Praxisgebühr als Kostendämpfungsmittel durch Selbstbeteiligung (kennt jeder aus der Autoversicherung) ein uraltes liberales Identifikationsmerkmal. Und genau das will die FDP abschaffen. Das zeigt, daß die Rösler-Partei nur noch eine entleerte Hülse ist, die auf Wählerschichten schielt, die sie früher nie im Blick hatte. Da interessierte sie sich vor allem für Privatversicherte, aber nicht für die Wählerstimmen von Kassenpatienten.

Zur schwarz-gelben Balance gehören noch der Mindestlohn und die Zuschußrente. Die Zuschußrente, das Lieblingsprojekt von Sozialministerin Ursula von der Leyen (CDU), stößt selbst in der CDU/CSU auf Kritik. Wähler protestieren, daß jemand mit wenig Beitragsleistung Rentenzuschüsse bekommen soll, die seine Altersbezüge so aufstocken, als hätte er 45 Jahre lang ununterbrochen gearbeitet. Eine Mindestlohnregelung könnte kommen, auch wenn sie anders heißen würde. Kanzlerin Angela Merkel ist daran gelegen, möglichst viele Themen der Opposition rechtzeitig durch eigene Übernahme abzuräumen und damit einen polarisierten Wahlkampf zu vermeiden.

Zu den FDP-Forderungen gehört noch ein Vorziehen des ausgeglichenen Bundeshaushalts. Einnahmen und Ausgaben sollen nach den bisherigen Planungen erst 2016 in Einklang gebracht werden, so daß auf Bundesebene keine Neuverschuldung mehr notwendig werden soll. Die FDP will das Ziel auf 2014 verkürzen, wogegen sich die Union kaum sträuben dürfte. Denn jeder weiß: Eine neue Krise, und Politiker werden wieder Schulden machen. Im Euroraum grassiert die Verschuldung – aber das ist für die Koalitionäre kein Thema. Röslers Feststellung, Griechenland könne aus der Währungsunion austreten, ist auf rätselhafte Weise der Vergessenheit anheimgefallen. Und die CSU legt inzwischen eine Griechenliebe an den Tag, daß der Beobachter nur noch staunt. Aber hier gilt: Die Schuldenkrise löst sich nicht von allein auf. Emotional hochgeladen ist ein anderes Thema: die Energiewende und ihre Kosten. Die Umlage, die die Stromverbraucher wegen des Erneuerbare- Energien-Gesetzes (EEG) zu zahlen haben, steigt in astronomische Höhen. Die FDP spielt sich als Kostensenker auf und will vergessen machen, daß während ihrer Zeit der Regierungsbeteiligung die Energieversorgung von einem marktwirtschaftlichen auf ein teilweise planwirtschaftliches System umgestellt wurde. Zum Teil enteignet wurden die Aktionäre der großen Energiekonzerne, die nach dem Abschalten einiger Atomkraftwerke Kursverluste von 50 Prozent erlitten. Es wird der FDP nicht helfen, jetzt Subventionskürzungen bei Wind- und Solarstrom durchzusetzen. Ihren Ruf hat sie ruiniert.

Und dem Wahlbürger sei angesichts des größer werdenden Gabentisches ein Satz aus der griechischen Mythologie empfohlen: Ich traue den Danaern nicht, auch wenn sie Geschenke bringen. Soll heißen: Die nächste Steuererhöhung kommt bestimmt.

Foto: Angela Merkel, Philipp Rösler und Horst Seehofer (v.r.n.l.) im Kanzleramt: „Gibst du mir das Betreuungsgeld, kriegst du die Abschaffung der Praxisgebühr“

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