© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  45/12 02. November 2012

CD: Justin Bieber
Abgefeimte Harmlosigkeit
Sebastian Hennig

Believe“ (Glaube) heißt das neue Album von Jungstar Justin Bieber. Da er unlängst achtzehn geworden ist, muß nun sein Erwachsenwerden zum Thema werden. In dem Lied „Thought of You“ soll das Stimmchen dann folgerichtig etwas schwer wiegen, bedeutungsvoller klingen. Das hört sich an, wie in den größten Kochtopf hineingesungen, der in Mamas Küche zu finden war. Der Versuch, ein ruhigeres Lied darzubieten, wird vom Uhrwerk eines gnadenlos präzisen synthetischen Taktschlages in kleinste Teile geschnitten.

Um das Phänomen um den sittsam wirkenden Knaben zu fassen, muß weit zurückgegangen werden, bis zu Shirley Temple, dem Kinderstar der dreißiger Jahre des vorigen Jahrhunderts. Die hatte 1932 einen ihrer ersten Auftritte im Kurzfilm „War Babies“ aus der „Baby Burlesk“-Reihe. Als süße Truppenbetreuerin wird die Dreijährige von den gleichaltrigen Soldaten-Knirpsen umworben, die ihre Gunst mit Lutschern zu erkaufen suchen. Franklin Roosevelt bescheinigte ihr, das Land „mit ihrem Lächeln aus der Depression geführt zu haben“. Aber wohin wurde nach dem New Deal weitermarschiert und wo soll uns nun der Justin hinlächeln?

Dem Jungen selbst geht es zuweilen um eher schwer bestimmbare Zeiträume: „As long as you love me“. Das zarte Stimmchen, umtost von gnadenlosen Drum-Beats – diese Melange aus Roheit und Sentiment markiert die zwei längst leer gereizten Hauptsignale der Popmusik. Das zuckrige Gekringel wird dann im Refrain elektroakustisch verzittert: „....lololololove me“. Sirenenartig süßes Knabengesäusel wird vom Geschepper eines Banditen-Sprechgesangs kontrastiert. Stereotypen afroamerikanischer Musik werden bemüht, um die Klangsuppe mit etwas männlicher Virilität zu würzen. Insgesamt ist eine ganze professionelle Laborbesatzung damit beschäftigt, die Reinheit und verborgene Kraft des guten Jungen bemerkbar zu machen.

Die Legende berichtet, daß der Produzent Scott „Scooter“ Braun auf ein selbstproduziertes Internet-Video des Teenagers aufmerksam wurde. Die Erziehungsberechtigte war zunächst skeptisch, konnte aber überzeugt werden. Daraufhin rollte der Bieber-Plan ab. Der Junge soll sich heimlich das Spiel vieler Instrumente beigebracht haben. Auf der Rückseite der aktuellen Platte ist er als Straßenmusiker mit Klampfe zu sehen. Zu Beginn von „Catching feelings“ klimpert es auch kurz. Das muß er also sein.

Wenn irgend etwas echt war an diesem Produkt, dann ist es inzwischen durch die perfekten Versuche, es zu konservieren, multiplizieren und reproduzieren, ganz und gar zerdrückt worden. An der Musik kann der Widerhall kaum liegen. Es ist die inszenierte Präsenz der kleinen Person mit dem aufgeräumten Gesicht, welche einnimmt. Justin Bieber äußert ungewöhnliche Bekenntnisse zu Schwangerschaftsabbruch als Kindstötung und Keuschheit vor der Ehe. Aus dem Beiheft blickt ein nachdenklicher Knabe entgegen, mit der Hand im Haar. Zu diesen Botschaften gesellt sich der Klang der Musik nur als Attribut und Illustration. So ist es nicht Urteil, sondern Glauben oder Unglauben, die über die Qualität von „Believe“ entscheiden. Denn statt diese CD einzulegen kann auch ein beliebiger Dudelsender im Radio eingestellt werden.

Justin Bieber: Believe Island (Universal) 2012 www.islandrecords.com

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