© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  45/12 02. November 2012

Lichnowsky-Denkschrift: Vieles liegt im dunkeln
Analyse eines Propaganda-Coups
(wm)

Die im März 1918 in Schweden ohne Wissen des Autors veröffentlichte „Lichnowsky-Denkschrift“ konnte wie der berühmt-berüchtigte „Dolchstoß“ in den Rücken der gerade zur letzten Großoffensive angetretenen deutschen Westfront empfunden werden. Denn blitzschnell nutzten britische Experten für psychologische Kriegführung die Einlassungen des ehemaligen Botschafters Karl Max Fürst von Lichnowsky, um aus dem Erfahrungsbericht über dessen „Londoner Mission 1912–1914“ die alleinige Kriegsschuld des Kaiserreichs abzuleiten. In vier Millionen Flugschriften verteilten die Entente-Propagandisten Lichnowskys „Denkschrift“ über den deutschen Linien. Tatsächlich ließ sich aus dem Text des Diplomaten zwar nur der Vorwurf einer deutschen „Mitverantwortung“ für die Eskalation der „Julikrise“ von 1914 begründen, aber das unglückliche Agieren der deutschen Gegenpropaganda habe, wie Christian Kochs Studie über den Umgang mit dem „Landesverräter“ Lichnowsky darlegt (Militärgeschichtliche Zeitschrift, 2/2011), der Entente-Agitation durchschlagenden Erfolg beschert. Kochs Aufsatz schließt fast 100 Jahre nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges mit dem bemerkenswerten Hinweis auf ein Forschungsdesiderat, da viele Umstände der Publikation und Rezeption der „Denkschrift“ heute noch „im dunkeln bleiben“.

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