© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  45/12 02. November 2012

Im Angstsystem der gutmenschlichen Welt
Kritik mit der Handbremse: Matthias Dusinis und Thomas Edlingers politisch korrekte Analyse der Political Correctness
Wolfgang Kaufmann

Während uns die galoppierende Inflation beim Euro erst noch bevorsteht, hat die inflationäre Verwendung von Anführungszeichen bereits ein kaum mehr steigerungsfähiges Maß erreicht. Dies liegt daran, daß die Gänsefüßchen das Markenzeichen der Politischen Korrektheit sind: Sie dienen der Entschärfung all der semantischen Tretminen, welche im Angstsystem der gutmenschlichen Welt lauern; es wird zunehmend riskanter, Dinge einfach beim Namen zu nennen, also müssen sämtliche potentiell gefährlichen Begriffe unter interpunktionelle Quarantäne gestellt werden. Nur dann hat der weiße Westler aus dem Mittelstand, der schlimmstenfalls auch noch männlich und heterosexuell ist, eine Chance, sich ein stückweit aus seiner Täterrolle herauszuwinden. Insofern hat das politisch korrekte Geschwafel etwas beschwörend Rituelles – bloß daß hier kein Opfertier sein Leben lassen muß, sondern nur die Sprache an intendierter Blutarmut verendet.

Verantwortlich für diesen tödlichen Unsinn ist eine Gesellschaft, in der jedes noch so kleine und unbedeutende Grüppchen seinen ganz eigenen Narzißmus ausleben darf. Was das konkret bedeutet, schildern die Wiener Journalisten Dusini und Edlinger in ihrem Essay über „Glanz und Elend der Political Correctness“: „Je aufmerksamer die Antidiskriminierungswächter agieren, desto lauter wird der Chor der Viktimisierten.“ Dies nicht zuletzt deshalb, weil „die Reklamierung des Opferstatus zu einem einträglichen Geschäft geworden“ sei und sich zudem auch immer neue „weiße Flecken der Betroffenheit“ auftun: „Das spezifische Leid des transgender Sinto im Nationalsozialismus etwa ist noch unerinnert.“ Andererseits freilich schütten Dusini und Edlinger aber das Kind mit dem Bade aus, wenn sie eine Person wie Thilo Sarrazin zum larmoyanten „Tugendterroropfer im Nadelstreifen“ erklären das keinen Deut weniger pathologisch reagiere als die Bevölkerungsgruppen, welche er kritisiert habe.

Ebenso versuchen die beiden Wiener, Anhänger und Gegner der „politisch korrekten“ Sprache auf eine Stufe der moralischen Empfindlichkeit beziehungsweise Verlogenheit zu heben. Und sie unterstellen den „angeblich tabubrecherischen, dandyesken Anti-PC-Heroen“, „im Urteil über die Aussagen anderer sich über die Definition des eigenen Standortes hinwegzuschwindeln“. Das freilich gilt auch für die Verfasser selbst, die ihre streckenweise sehr gelungene Bloßstellung der hyperkorrekten Sprachverhunzung immer wieder relativieren, indem sie zum Beispiel lobend anmerken, daß diese „das Augenmerk auf bislang unterbelichtete Sprach- und Wirklichkeitsverhältnisse richtet“.

Und irgendwie scheint die Beschäftigung mit dem Gegenstand der „Political Correctness“ auch zu einer schleichenden partiellen Identifikation geführt zu haben. Wie anders lassen sich sonst Passagen erklären, in denen von „der Ausbreitung einer antiislamischen Paranoia“ und der Übertriebenheit der Furcht vor der „angeblichen“ Islamisierung Europas die Rede ist? Nur zur Erinnerung: Zwischen Atlantik und Ural leben mittlerweile bereits an die fünfzig Millionen Moslems! Aber die Verfasser halten sich lieber an den FAZ-Journalisten Patrick Bahners, der von der „semiotischen Vergiftung des Kopftuchs“ und schmutzigen Projektionen fabuliert, wenn er den Fall Fereshta Ludin ausbreitet – als ob es hier nicht um eine konzertierte und wohlkalkulierte Aktion deutscher Konvertiten (allen voran Ludins Ehemann) gegangen wäre. Regelrecht dreist ist darüber hinaus die Erklärung des Widerstandes gegen Burkas und andere moslemische Ganzkörperverhüllungen der Frau: „Für den altmodischen Playboy ist es ein Affront, wenn das Fleisch nicht appetitlich verpackt ist.“

Das alles hinterläßt den Eindruck, als ob Dusini und Edlinger mit ihrem Versuch, sowohl die Politische Korrektheit zu demaskieren als auch ihre Gegner bloßzustellen, selbst in die Narzißmusfalle getappt sind: Das Gefühl schrankenloser individueller Größe und Vollkommenheit kann sich ja auch dann einstellen, wenn Autoren glauben, klarer blicken zu können als sämtliche Objekte ihrer Betrachtungen.

Das Fazit aus all dem lautet: „In Anführungszeichen“ bietet eine vermeintlich kritische Analyse des Phänomens der Politischen Korrektheit, ist aber selbst derart mit politisch korrektem Gedankengut kontaminiert, daß Verwirrung und Frustration vorprogrammiert sind. Ausgenommen von dieser Einschätzung ist lediglich das ausführliche Glossar, welches einen fast ungetrübten Lesegenuß bietet und das eine oder andere zutiefst komische Kabinettstückchen enthält.

Matthias Dusini & Thomas Edlinger: In Anführungszeichen. Glanz und Elend der Political Correctness. Suhrkamp Verlag, Berlin 2012, broschiert, 297 Seiten, 16 Euro

Foto: „Schere im Kopf“ als Massenphänomen: Wenn narßistische Grüppchen die freie Rede behindern dürfen

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