© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  46/12 09. November 2012

Hände hoch, Paßwort her!
Bürgerrechte: Die Bundesregierung will sämtliche Paßwörter der Deutschen wissen
Ronald Gläser

Jetzt also die Paßwörter. Der deutsche Staat trifft Vorbereitungen, sich Zugang zu den sorgsam gehüteten Paßwörtern von Millionen Deutschen zu sichern. Egal ob Handy-Pin, E-Mail-Paßwort oder PC-Zugangscode. Alle diese Daten sollen, wenn es nach der Bundesregierung geht, staatlichen Behörden – also Polizei, Justiz, Geheimdiensten und sogar Ordnungsämtern – über eine „elektronische Schnittstelle“ zugänglich gemacht werden. Die Kosten dafür sollen die Anbieter der entsprechenden Dienste tragen, also die Telekom, GMX, Vodafone und wie sie alle heißen. Letztlich die Kunden selbst. Auf Nachfrage seien Paßwörter, die dazu dienen, „den Zugriff auf Endgeräte oder Speichereinrichtungen zu schützen“, mitzuteilen. So ist es im Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur Neufassung des Telekommunikationsgesetzes (TKG) vorgesehen.

Aber ist dieser Eingriff in unsere Privatsphäre nicht berechtigt? Müssen wir nicht einen Teil unserer Freiheit opfern, um Sicherheit zu erlangen? Immer wieder wird auf den Terrorismus verwiesen, der eine stärkere Bedrohung für die Bürger sei als die Staatsbeamten im Sicherheitsapparat. Schließlich leben wir in einem Rechtsstaat. Da wird niemand einfach so verfolgt. Willkür wie im Stalinismus? Bei uns undenkbar.

So ungefähr lautet die Argumentation der Befürworter der Eingriffe in die Privatsphäre in Form von Vorratsdatenspeicherung, Trojanern, immer neuen Verbunddateien und Abwehrzentren. Es lohnt sich, die Fakten zu untersuchen: Weder Anders Breivik noch die Zwickauer Terrorzelle sind dank abgehörter Telefone, verwanzter Räume oder mitgelesener E-Mails aufgeflogen. Die Polizei hat bei ihren Ermittlungen zur „Dönermordserie“ 20 Millionen Funkzellendatensätze untersucht, 14.000 Namen ermittelt – und doch keinen Täter gefunden. Nun unterstellen Linke der Polizei zu Unrecht latenten Rassismus und argumentieren, die Ermittler hätten bei diesen fremdenfeindlichen Tätern nicht genau hingeschaut, aber das ist Quatsch. Auch linke oder ausländische Terroristen wurden nicht durch den Überwachungsstaat dingfest gemacht. Denken wir nur an die unaufgeklärte Brandanschlagswelle in Berlin oder an Mohamed Merah, den Todesschützen von Toulouse. Der Algerier wurde nach einer Mordserie an Soldaten und Kindern ganz klassisch durch den Tip eines Automonteurs überführt.

Entweder handelt es sich bei Terroristen um Einzelgänger; da nutzt es wenig, die Kommunikation zu überwachen. Oder sie sind so gewieft und vernetzt, daß sie Wege finden, die Kontrollen des Staates zu umgehen. Auf einschlägigen Netzseiten kann sich schon jetzt jeder Anfänger informieren, wie er anonym surfen oder kommunizieren kann. Al-Qaida-Terroristen haben lange Zeit Nachrichten ausgetauscht, indem sie E-Mails im Yahoo-E-Mailkonto nur abgespeichert haben, die dann im Entwurfsordner von ihren Kollegen auf anderen Kontinenten aufgerufen wurden. So billig konnten sie die Sicherheitsnetze von CIA, NSA, FBI und Co. umgehen.

Und genau so wird es jetzt auch sein. Die Kriminellen wandern ab. Zum Beispiel zu kleinen E-Mail-Anbietern mit weniger als 100.000 Kunden, die keine solche elektronische Schnittstelle einrichten müssen, um die Daten an Behörden weiterzugeben. Kleine Firmen sind nicht betroffen, aber Millionen unschuldige Deutsche stehen unter Generalverdacht und leben mit dem beklemmenden Gefühl, daß ihre E-Mails von Fremden gelesen, die Bilder ihrer Familie oder Freunde angeschaut werden. Und das alles, weil jemand einen arabischen Vornamen hat oder einmal auf eine „rechte“ Netzseite gesurft ist, was ihn zum Terrorverdächtigen macht. Daher muß es gegen diesen neuen Vorstoß zur Abschaffung des Rechtes der Bürger auf Privatheit ein klares Nein als Antwort geben.

Wenn wir heute jedes Paßwort dem Staat gegenüber offenlegen, fertigen wir dann als nächstes auch einen Nachschlüssel unserer Wohnungstür an? Nur zur Sicherheit, versteht sich. Oder besser noch: Alle Deutschen werden gezwungen, statt eines antiquierten Metallschlosses ein modernes Pin-Code-gesichertes High-Tech-Schloß anzubringen, für das wir das Paßwort – nur zur Sicherheit – unserer örtlichen Polizeidienststelle und allen anderen Behörden mitteilen. Falls mal was ist.

Neben den E-Mail-Konten oder den externen Speicherplätzen (Cloud) kann der Staat mit den Paßwortinformationen auch auf die auf ein Kindle oder iPad heruntergeladenen Bücher zugreifen. Davon haben Potentaten aller Art auch schon immer geträumt: zu wissen, welche Bücher ihre Bürger lesen. An das Ende dieser Entwicklung können sich Mitteldeutsche gut erinnern: Ihnen war es in der DDR nicht einmal möglich, ein vertrauliches Gespräch in den eigenen vier Wänden zu führen, und sie mußten, wann immer es in der Leitung knackte, damit rechnen, daß ihr Telefongespräch abgehört wird. Wollen wir wirklich dahin zurück?

Es scheint völlig egal zu sein, ob wir von rechten oder linken Parteien regiert werden – der Überwachungsstaat wird immer weiter ausgebaut und hat schon jetzt bald Ausmaße erreicht, die Erich Mielke vor Neid erblassen lassen würden. Es bleibt nur, an das Gewissen der an Bürgerrechten interessierten Teile von FDP und Grünen zu appellieren, damit dieses Gesetzesvorhaben gekippt wird.

Andererseits: Wenn das Paßwort-Auslieferungs-Gesetz tatsächlich Realität würde, ist sehr wahrscheinlich, daß es vom Bundesverfassungsgericht wieder kassiert wird. Nach dem sogenannten Luftsicherheitsgesetz und der Vorratsdatenspeicherung wäre es das dritte Mal, daß das oberste deutsche Gericht einen massiven Eingriff in die Rechte der Bürger vereiteln muß.

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