© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  46/12 09. November 2012

„Bildet einen Schutzschild“
Einwanderung: Asylbewerber und deutsche Sympathisanten protestieren seit Wochen vor dem Brandenburger Tor
Henning Hoffgaard

Oliver Höfinghoff tobt. „Ich finde diesen rechtsradikalen Flügel der Berliner CDU sehr bedenklich“, twittert der antifaschistische Sprecher der Berliner Piraten im Abgeordnetenhaus und ergänzt wenig später, die Partei habe eigentlich „nur diesen Flügel“. Seit Tagen kennt die Empörung der linken Szene in der Hauptstadt kaum noch Grenzen. Von „Polizeistaat“ und „SS-Methoden“ ist die Rede. Üble Schikanen und bösartiger Rassismus seien im Spiel. Wer sich, wie einige CDU-Politiker, nicht unverzüglich mit einer Gruppe vor dem Brandenburger Tor demonstrierender Asylbewerber solidarisiert, gerät schnell ins Fadenkreuz.

Seit dem 24. Oktober stehen bis zu zehn Asylanten aus ganz Deutschland vor dem Wahrzeichen Berlins und machen vor allem eines: Forderungen stellen. Mal soll das Versammlungsgesetz geändert werden, mal soll der Bundestag einen Vertreter stellen. „Alle Asylbewerber in Deutschland müssen als politisch Verfolgte dauerhaften Aufenthalt bekommen“, sagt ein Iraner und berichtet davon, wie er sich seine Unterkunft mit zwei anderen Antragstellern teilen muß. Um ihn herum steht eine Reihe von Unterstützern und protokolliert eifrig mit.

Besonders auf dem Kurznachrichtendienst Twitter tobt die Empörung: „Bildet einen Schutzschild um die Flüchtlinge“, „Cops drehen durch“ und „neue Übergriffe auf Demonstranten“. Es klingt mitunter, als ob aus dem syrischen Bürgerkrieg berichtet wird. Vor Ort ist davon kaum etwas zu spüren. Ein paar Polizeiwagen stehen um das „Camp“. Einige Beamte nutzen die Chance für Erinnerungsfotos vor dem Brandenburger Tor. Kritisch wird es vor allem dann, wenn die Asylbewerber und ihre Unterstützer wieder gegen die Auflagen der Versammlungsbehörde verstoßen. Sie versuchen Zelte und Schlafsäcke zur Demonstration zu bringen. Dies will die Polizei allerdings nicht tolerieren. Die Ordnungshüter konfiszieren die Gegenstände und werden dabei attackiert. „Es kommt regelmäßig zu Rangeleien“, sagt Polizeisprecher Stefan Redlich der JUNGEN FREIHEIT. „Es gibt ein Recht auf Meinungsäußerung, kein Recht zum Kampieren“, stellt er klar und berichtet, wie einer seiner Kollegen von einem Asylbewerber gebissen wurde. Anzeigen gegen den Täter laufen. Festgenommen wurde allerdings niemand. Auch untereinander kommt es zunehmend zu Konflikten. So geraten am vergangenen Wochenende zwei Demonstranten in Streit. Als eine Polizistin dazwischengeht, schlägt einer der Streithähne auf sie ein.

Je nach Wetter werden die Asylbewerber von 20 bis 100 Anhängern aus dem linken Spektrum unterstützt. Vor allem die Piratenpartei macht Stimmung. Von einem „Kälteeinbruch in der deutschen Politik“, spricht Parteichef Bernd Schlömer: „Menschen auf der Flucht vor Krieg und Verfolgung haben ein Recht auf Zuflucht und eine menschenwürdige Behandlung.“ Um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen, kündigen die Protestler schließlich medienwirksam einen „Hungerstreik“ an. Weiter gegessen wird trotzdem. Besonders wenn Politiker den Demonstranten ihre Aufwartung machen, werden die sich angeblich – wie der Bezirksbürgermeister von Berlin Mitte, Christian Hanke (SPD), berichtet – in einem „schlechten Zustand“, befindenden Asylbewerber plötzlich munter. Hanke macht ihnen zwar zahlreiche Zugeständnisse, trifft damit bei seiner eigenen Verwaltung aber auf wenig Gegenliebe. Der SPD-Politiker habe seine Befugnisse überschritten, moniert das Ordnungsamt. Schließlich bekommen die Demonstranten für einige Tage einen „Wärmebus“ für die Nacht. Von denen gibt es einige in der Hauptstadt. Sie sind eigentlich für Obdachlose gedacht.

Auch die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer (CDU), beschäftigt das Schicksal der Demonstranten. Nur mit der Verständigung hapert es noch. „Sprechen Sie Deutsch?“ fragt Böhmer wild gestikulierend. Die ahnungslosen Blicke der Kurden geben ihr die Antwort. Nachdem die Pressefotos gemacht sind, will sie allein mit ihnen sprechen. Kurz darauf beenden die Asylsuchenden ihren Hungerstreik, wollen ihre Kundgebung vor dem Brandenburger Tor jedoch fortsetzen.

Dagegen regt sich auch Widerstand. Besonders in Teilen der Berliner CDU ist man mit dem Verhalten und der politischen Vereinnahmung der Demonstranten nicht einverstanden. „Wer in seinem Herkunftsland wirklich politischer Verfolgung ausgesetzt ist, der hat andere Probleme, als sich unter dem Beifall der Linken über eine anfängliche Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften und die Begrenzung seiner Bewegungsfreiheit in Deutschland zu beschweren“, sagt der integrationspolitische Sprecher der CDU, Burkard Dregger. „Diese sozialromantische Gefühlsduselei der Linksparteien ist fern jeder Realität.“ Eigentlich sei das deutsche Asylgesetz noch zu großzügig.

Noch härter geht sein Fraktionskollege Kurt Wansner mit den Forderungen der Asylbewerber ins Gericht: „Es ist ein Unding, daß Asylanten meinen, uns Bedingungen für ihren Aufenthalt in Deutschland stellen zu können.“ Wem es hier nicht gefalle, der könne Deutschland auch wieder verlassen, sagt der Abgeordnete aus Kreuzberg. Auch gegenüber der Integrationsbeauftragten wird er deutlich: „Frau Böhmer muß sich fragen, ob sie noch CDU-Positionen vertritt.“

Die zehn Demonstranten vor dem Brandenburger Tor prüfen derzeit, ob sie nicht nach Kreuzberg in ein vom grünen Bezirksbürgermeister Franz Schulz seit Wochen geduldetes „Asylcamp“ umziehen wollen. Strom und Wasser stellt ihnen die Verwaltung dort zur Verfügung. Für Wansner ein Unding. Er klagt gegen Schulz. Sein Verdacht: Für das Zeltlager werden öffentliche Gelder des klammen Bezirkes verschwendet. Auch die Berliner Polizei muß sich mit neuen Vorwürfen auseinandersetzen. Nachdem es angeblich Drohungen gegen die Mahnwache im Stadtzentrum gegeben hat, monieren die Demonstranten plötzlich die Polizeipräsenz als zu gering.

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