© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  46/12 09. November 2012

Ganz locker konservativ
CDU/CSU: Der Berliner Kreis rät der Union, sich wieder mehr um die Stammwähler zu kümmern
Marcus Schmidt

Thomas Dörflinger hat ganz genau hingeschaut. Wahllokal für Wahllokal hat der Bundestagsabgeordnete aus Baden-Württemberg nach der Wahl 2009 die Ergebnisse in seinem Wahlkreis im Schwarzwald analysiert. Und was der 47 Jahre alte Politiker herausgefunden hat, gefällt ihm gar nicht. Deshalb sitzt Dörflinger jetzt im Konferenzraum „New York“ eines Berliner Hotels, das so heißt wie die Stadt, und erläutert ein acht Seiten umfassendes Positionspapier, in dem steht, was die Union anders, nein besser machen sollte. Denn der direkt gewählte Abgeordnete hat bei seinem Blick in die Statistik herausgefunden, daß die CDU überall dort verliert, wo sie traditionell besonders stark ist, oder besser, war. Mit anderen Worten: Vor allem Stammwähler gehen der CDU von der Fahne und wandern zumeist zu den Nichtwählern ab.

Der ruhig und überlegt sprechende Dörflinger ist so etwas wie der Vordenker des Berliner Kreises, zu dem sich konservative Bundes- und Landtagsabgeordnete der Union zusammengschlossen haben. Er hat das Positionspapier verfaßt, mit dem das aus bis zu 30 Mitgliedern bestehende Netzwerk in der vergangenen Woche erstmals an die Öffentlichkeit getreten ist. Welche Botschaft von diesem Treffen ausgehen soll, macht der hessische Fraktionsvorsitzende Christean Wagner gleich zu Anfang deutlich. Man wolle keine Personaldiskussion anzetteln und fordere auch kein neues Grundsatzprogramm. „Das Hauptziel des Berliner Kreises ist es, den Erfolg der Union bei den nächsten Wahlen sicherzustellen“, sagte Wagner, der als Initiator der Gruppe gilt. Seiner Ansicht nach müsse sich die Union auf die Stammwähler fokussieren, um wieder Ergebnisse von 40 Prozent plus x zu erreichen. Denn die Lage ist erschreckend: „In den vergangenen drei Jahren hat die Union bei elf Landtagswahlen zum Teil erhebliche Stimmenverluste hinnehmen müssen“, ziehen die Mitglieder des Kreises in ihrem Papier Bilanz. Zudem verliere die Union Monat für Monat 1.000 Mitglieder. Während die Parteiführung angesichts dieser Zahlen über eine weitere Modernisierung der CDU diskutiert, rät der Berliner Kreis dazu, sich auf die Wurzeln zu besinnen. „Wir wollen die Stammwähler ansprechen und die zurückgewinnen, die zu den Nichtwählern abgewandert sind“, sagte Wagner: „Stammkundschaft geht vor Laufkundschaft.“ Daher dürfe die Union ihre Überzeugungen nicht nach den aktuellen Umfragen ausrichten.
Der Vorsitzende des Innenausschusses des Bundestages, Wolfgang Bosbach (CDU), appellierte an seine Partei, keine Angst vor inhaltlichen Diskussionen zu haben. „Wir sind keine Selbsthilfegruppe für enttäuschte Konservative, sondern wir wollen Einfluß nehmen und uns einmischen.“ Man verstehe sich nicht nur als Zusammenschluß konservativer Mitglieder, sondern setze sich dafür ein, daß die drei Wurzeln der Union, die konservative, die christsoziale und die liberale, gleichberechtigt zur Geltung kommen.

Das Treffen des Kreises am vergangenen Freitag war bereits der zweite Anlauf der Unions-Konservativen. Im Sommer hatte eine absurde Posse um eine zunächst angekündigte, dann nach einigem Hin und Her abgesagte Präsentation für Verwirrung gesorgt. Hinter den Kulissen hatte damals das Konrad-Adenauer-Haus die Muskeln spielen lassen und die Initiatoren eindrücklich davor gewarnt, mit der Schaffung fester Strukturen, etwa durch die Berufung eines Geschäftsführers, eine „rote Linie“ zu überschreiten. Die Botschaft kam an, einige CDU-Politiker wie JU-Chef Philipp Mißfelder suchten das Weite. Vielleicht war diese Vorgeschichte der Grund für den fast überfallartigen Auftritt des Kreises in der vergangenen Woche. Erst am Vorabend hatten einige wenige Journalisten die Einladung erhalten. So sollte es der Parteiführung erschwert werden, ein wirkungsvolles Störfeuer zu entfalten. Vielleicht auch weil Wagner das Positionspapier bereits vor dem Treffen dem Fraktionsvorsitzenden Volker Kauder zugeschickt hatte, blieb eine Maßregelung durch die Parteiführung diesmal aus – ebenso wie jede andere Reaktion.

Inhaltlich vertritt der Kreis in seinem Papier einen moderaten Konservatismus. So ist von der „christlich-abendländischen Kulturtradition“, der „Liebe zum eignen Land“ und von „Ehe und Familie als Grundlage der Gesellschaft“ die Rede. An einigen wenigen Stellen ist ein schärferer Ton zu vernehmen, den man in der Union mittlerweile nur noch selten vernimmt. Etwa wenn es mit Blick auf die Integration heißt, daß „die Scharia nichts in unserem Kulturkreis zu suchen“ habe. Vorsichtige Kritik an der Parteiführung klingt bei der Energiewende an. Diese sei „politische Realität“, heißt es kurz angebunden, wenig später wird dann „eine „ideologiefreie Energieversorgung“ für Deutschland eingefordert.

Der Verzicht auf feste Strukturen kann und wird dem Kreis, der noch keine eigene Internetseite hat, als Schwäche ausgelegt werden. Doch könnte sich dies auch als Vorteil erweisen. Denn ein solch loser Zusammenschluß senkt die Hemmschwelle für andere Abgeordnete, einmal in den Kreis „hineinzuschnuppern“, und beispielsweise an dem regelmäßig in den Sitzungswochen Dienstag in Berlin zusammenkommenden Gesprächskreis teilzunehmen, den der Abgeordnete Thomas Bareiß organisiert. Bereits auf dem CDU-Bundesparteitag Anfang Dezember wird sich zeigen, wie stark der Berliner Kreises tatsächlich ist, und ob es ihm gelingt, eigene Akzente zu setzen.

Kontakt: info@berlinerkreisinderunion.de

Foto: Konservative CDU-Politiker Thomas Dörflinger (v.l.n.r.), Thomas Bareiß, Christean Wagner, Wolfgang Bosbach und Steffen Flath: „Wir sind keine Selbsthilfegruppe für enttäuschte Konservative“

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