© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  46/12 09. November 2012

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Private Krankenversicherung: Euro-Krise und Niedrigzinspolitik der Zentralbanken gefährden Kapitalstock
Markus Brandstetter

Wer privat krankenversichert ist, kennt Wartezeiten beim Facharzt nur vom Hörensagen und die Chefarztbehandlung im Krankenhaus gehört meist auch zum Leistungsumfang. Bei einem solchen Rundum-sorglos-Paket denkt wohl kaum jemand daran, daß die Fianz- und Euro-Krise auch auf die Privaten Krankenversicherungen (PKV) negative Auswirkungen hat, aber genau das ist der Fall. Jede kapitalgedeckte Versicherung, auch die PKV, beruht auf dem Prinzip, daß die einbezahlten Prämien und Beiträge vom Versicherer gewinnbringend auf dem Kapitalmarkt angelegt werden.

Doch derzeit gibt es wegen der Niedrigzinspolitik der Zentralbanken kein Geld mehr zu verdienen, also bringen auch die PKV-Anlagen nicht mehr viel ein. 2010 hatte die PKV nach Angaben ihres Spitzenverbandes Alterungsrückstellungen in Höhe von fast 135,5 Milliarden Euro. Ähnlich wie in der privaten Renten- und Lebensversicherung wird das Kapital überwiegend in Geldmarktpapieren angelegt. Deren Rendite liegt unter der Inflationsrate. Die privaten Versicherer kalkulieren mit einem internen Zinsfuß, dem sogenannten Rechnungszins. Der lag bislang bei 3,5 Prozent, aber dieser Satz läßt sich auf dem Kapitalmarkt längst nicht mehr verdienen. Also werden die Assekuranzen den Rechnungszins absenken müssen – auf 2,75 Prozent, wie Versicherungsexperten annehmen. 2011 haben dies bereits zwei PKV-Gesellschaften getan. In diesem Jahr nun werden die meisten anderen der 43 privaten Versicherer nachziehen müssen. Man muß kein Versicherungsmathematiker sein, um zu wissen, welche Folgen eine flächendeckende Herabsetzung des Rechnungszinses hat: Die Beiträge werden steigen müssen.

Nun werden die PKV wegen Beitragserhöhungen bei älteren Versicherten seit Jahren kritisiert. Den Versicherern ist klar, daß sie Bestandskunden und Senioren, die in den letzten zehn Jahren eine Beitragserhöhung nach der anderen verkraften mußten, nun nicht auch noch wegen der Finanz- und Euro-Krise belasten können. Also müssen vor allem jüngere Versicherungsnehmer und Neueinsteiger ab Dezember 2012 mit höheren Beiträgen rechnen. Kritische Beobachter der PKV halten das für vollkommen gerechtfertigt, bestand doch das Geschäftsmodell der PKV lange darin, junge, gesunde und gutverdienende Menschen mit günstigen Einstiegstarifen zu locken. Jahrelang wurden sie mit Beiträgen deutlich unter denen der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) verwöhnt. Waren aber erst einmal die Haare grau, die Zähne locker und die Beschwerden erheblich geworden, dann lagen die PKV-Beiträge oft weit über denen der GKV.

Und genau dann, wenn viele Ältere nun gerne in die GKV zurückgewechselt wären, war dies gesetzlich nicht mehr möglich. Zudem konnten sie bis 2009 ihre Altersrückstellungen bei der PKV bei einem Versichererwechsel nicht mitnehmen. Berücksichtigt man dann noch, daß zukünftig immer mehr ältere Menschen, die nicht mehr arbeiten, immer weniger jüngeren, die zwar Arbeit haben, aber immer höher besteuert werden, gegenüberstehen, dann ist klar, daß auch das PKV-System von allen Seiten her unter Druck steht.

Was liegt da näher, als gleich ganz die Abschaffung der PKV zu fordern? Für Linke, SPD und Grüne sind die privaten Kassen seit jeher ein Stein des Anstoßes. Aber auch für manche in der Union sind die Privatversicherten unsolidarische Wohlstandsbürger, die sich von Armen, Dauerkranken, Drogen-, Alkohol- und Nikotinsüchtigen abschotten wollen, um – in Einzelzimmern und von Chefärzten betreut – gesund zu altern. Das rot-grüne Zauberwort heißt daher „Bürgerversicherung“. Das klingt nach Solidarität und Gesundheit für alle, dabei fällt die Bilanz in anderen Ländern ziemlich gemischt aus. In Großbritannien gibt es seit 1948 die staatliche Einheitsversorgung, den National Health Service, der nicht über Beiträge, sondern komplett über Steuermittel finanziert wird. Die Resultate sind bekannt: Vier Millionen Briten stehen auf Wartelisten für medizinische Leistungen, Tausende Patienten warten ein halbes Jahr und länger auf notwendige chirurgische Eingriffe. Kaum besser sieht es in Kanada, Australien und Neuseeland aus, wo mehr als die Hälfte aller Bürger mit dem staatlichen Gesundheitssystem unzufrieden und Wartezeiten auf Standardoperationen ebenfalls lang sind.

In den Niederlanden wurde das duale System, das dem deutschen sehr ähnlich war, 2007 zugunsten einer obligatorischen Bürgerversicherung aufgegeben. Jeder Holländer muß seitdem bei einer gesetzlichen Krankenversicherung zumindest eine Basisversicherung abgeschlossen haben. Trotz anfänglich guter Erfahrungen häufen sich inzwischen die Klagen über eine ausufernde Bürokratie und ebenfalls lange Wartezeiten auf Facharzttermine und Operationen.

Die Befürworter einer allgemeinen Bürgerversicherung ohne PKV unterschlagen überdies gerne die Vorteile, die die „reichen“ privaten Zahler dem ganzen deutschen Gesundheitssystem bringen. Bei den niedergelassenen Ärzten bringen die etwa zehn Prozent Privatpatienten, die eine Praxis im Durchschnitt aufweist, rund 30 Prozent der Einnahmen. Die PKV-Kunden finanzieren damit teure Apparate überproportional, die auch für die GKV-Versicherten eingesetzt werden. Die zwei bis dreifach höhere Ärztevergütung aus der PKV entlastet so faktisch die GKV.

Eine umlagefinanzierte Bürgerversicherung wäre – wie die Gesetzliche Rentenversicherung (GRV) – auf Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt angewiesen. Dies würde die Steuerlast noch mehr nach oben treiben. Wie man es also auch dreht und wendet: Das deutsche duale Krankenversicherungssystem hat seine Berechtigung und dient im Endeffekt dem Wohle aller Bürger.

Foto Duale Krankenversicherung: Die fast neuen Millionen Privatversicherten zahlen überproportional in das deutsche Gesundheitssystem ein

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