© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  46/12 09. November 2012

Christen im Fadenkreuz
Syrien: Je länger der Bürgerkrieg dauert, desto schwieriger wird es für die christliche Minderheit / Tausende sitzen auf gepackten
Hinrich Rohbohm

Die Nachricht war ein Schock. Fadi Jamil Haddad, ein griechisch-orthodoxer Priester der St.-Elias-Kirche in der syrischen Kleinstadt Qatana, ist tot. „Sie haben ihn geschlachtet“, sagt Sabri Alkan entsetzt. Das Vorstandsmitglied der Assyrischen Demokratischen Organisation in Europa (ADO), die sich für eine Stärkung des Nationalbewußtseins sowie den Erhalt und die Einheit des assyrischen Volkes im „Gebiet Mesopotamien“ (Syrien, Türkei, Irak, Iran) einsetzt, ist noch vollkommen fassungslos angesichts des jüngsten Opfers einer Gewaltwelle gegen Christen in Syrien. Der 49jährige, der inzwischen seit gut 25 Jahren in Deutschland lebt, kann noch immer nicht glauben, daß der Priester tot ist.

Sein lebloser Körper wurde am 25. Oktober im Stadtviertel Jaramana von Damaskus gefunden. Vor seinem Tod sei er skalpiert und seine Augen herausgerissen worden, hatte ein Mitglied der St.-Elias-Gemeinde berichtet. Anschließend habe man ihm die Kehle durchgeschnitten. „Auf diese Weise töten Salafisten“, meint Alkan, der sich sonst jedoch mit vorschnellen Urteilen zurückhält.

„Derzeit gibt es in Syrien zu viele Gerüchte, jede Seite verdächtigt die andere“, verdeutlicht er die unklare Lage in seinem vom Bürgerkrieg gezeichneten Heimatland. Alkan telefoniert derzeit täglich mit seinen Landsleuten, der Volksgruppe der Assyrer. „Die Ereignisse überschlagen sich im Moment“, sagt er. Er spricht von Entführungen. Von Anschlägen, die als warnende Botschaften an die Christen gerichtet seien. Die Assyrer sind Christen. Eine religiöse Minderheit im Land, die zur tragischen Gruppe des Bürgerkriegs zu werden droht. Insgesamt leben gut drei Millionen Christen in Syrien. Das sind knapp 15 Prozent der Gesamtbevölkerung.

Auch Fadi Jamil Haddad war vor seiner Ermordung entführt worden. Am 19. Oktober, sechs Tage vor seinem Tod, hatte man ihn verschleppt. Angeblich sei es um Lösegeld gegangen. 550.000 Euro seien für die Freilassung des Priesters gefordert worden. Von wem, das ist noch unbekannt.

Weil das Terrornetzwerk al-Qaida derzeit zu systematischen Entführungen aufruft, vermuten Syriens Christen islamische Extremisten hinter der Tat. Zudem deute die Art der Ermordung des Priesters darauf hin. Islamistische Kreise verbreiten hingegen, hinter dem Mord stehe in Wahrheit die Assad-Regierung, deren Ziel es sei, den Religionskonflikt zwischen Christen und Moslems zu verschärfen, um das Oppositionsbündnis zu schwächen.

Ein Bündnis mit äußerst bizarrer Zusammensetzung, das sich im vom Westen unterstützten Syrischen Nationalrat (SNC) zusammengeschlossen hat. Denn in dem im August vorigen Jahres mit Sitz in Istanbul gegründeten Gremium sitzt neben Vertretern von Kurden und syrischen Christen auch die radikalislamistische Moslembruderschaft. Und auch Sabri Alkans ADO ist im SNC vertreten.

„Wir haben nur wenig Verbündete gegen das Assad-Regime mit seiner sozialistischen Baath-Partei“, erklärt Alkan die ungewöhnliche Allianz. Vor vier Monaten hatte sich das Bündnis in Kairo auf einen Verfassungsentwurf für eine Ära nach dem Ende der Diktatur der Baathpartei verständigt. „Die Moslembruderschaft hat dabei einem in dem Entwurf verankerten freien und säkularen Staat Syrien zugestimmt“, betont Alkan.

Ob sich die Radikalislamisten jedoch nach einem Sturz der syrischen Regierung auch tatsächlich an diese Erklärung halten werden, daran hat auch er seine Zweifel. „Wir haben aber keine Wahl, wenn wir nicht isoliert sein wollen. Unsere einzige Hoffnung ist der Westen“, nennt er den Grund für das Eingehen des Bündnisses.

Doch die Gleichgültigkeit des christlichen Westeuropas gegenüber seinen Glaubensbrüdern in Nahost macht ihn nachdenklich. Zu spärlich fallen die Berichte in den Medien über das Leid der Christen aus, zuwenig Solidarität sei zu erkennen, wenngleich die Bundesregierung deutschen Hilfsorganisationen erst kürzlich 1,3 Millionen Euro zur Verfügung stellte, um syrische Flüchtlinge im Libanon (JF 37/12) zu unterstützen.

„Das, was jetzt passiert, ist erst der Anfang des Leids“, befürchtet Alkan. „Je länger der Bürgerkrieg dauert, desto schlimmer wird es für uns Christen“, ist er sich sicher. Die ADO hat bereits Spendenaktionen gestartet, um Lebensmittel, Zelte und Schlafdecken für in Not geratene Christen in Syrien zu besorgen.

„Unter Assad hatten wir auch zu leiden, aber durch den Bürgerkrieg ist es jetzt noch viel schlimmer geworden“, beschreibt Alkan die aktuelle Situation vor Ort. Die jüngsten Autobombenanschläge, wie etwa der vom 21. Oktober in der Altstadt von Damaskus, der in unmittelbarer Nähe des Sitzes der christlichen Patriarchen erfolgte, seien als Warnung gedacht. Und als Aufforderung an die als regierungsfreundlich geltenden Patriarchen, die Seite zu wechseln. Damaskus gilt neben den weiter nördlich gelegenen Städten Homs und Aleppo als Hochburg der syrischen Christen.

Auch Entführungen wie die des Priesters Haddad haben inzwischen erheblich zugenommen. Im September etwa wurde Kamme Elyas verschleppt. Ein Arzt und Familienvater. Wer dahinter stecke, wisse man bis heute nicht, sagt Alkan. Die ADO hatte über ihr Kontaktnetzwerk zunächst versucht herauszufinden, in wessen Händen sich der Entführte befindet. Doch der Druck auf die Angehörigen des Mannes lastete zu stark, sie zahlten den Entführern schließlich 25.000 Euro, um seine Freilassung zu erwirken.

Anfang Oktober wurde Georg Dham entführt. Einst war er 15 Jahre lang Ortsvorsteher eines syrischen Dorfes. Doch die Mehrheitsverhältnisse im Ort haben sich inzwischen geändert, die Christen sind zur Minderheit geworden. Dhams Angehörige wandten sich an arabische Familienclans. In der Hoffnung, daß man dort Näheres über seinen Aufenthaltsort in Erfahrung bringen könnte. Mit Erfolg. Die Clans konnten sich noch gut an die Amtszeit des einstigen Ortsvorstehers erinnern, wußten von seinem positiven Wirken auch gegenüber den Arabern. Die Clans erreichten, daß Dham ohne Lösegeldforderung laufengelassen wurde. „Aber er steht noch immer unter Schock und leidet unter Orientierungsschwierigkeiten, weil man ihm während der Entführungszeit stets die Augen verbunden hatte“, erzählt Alkan.

Noch kämen die Leute wieder frei. „Im Irak war das anders“, warnt Alkan jedoch vor Schlimmerem. Neben der Geldbeschaffung für radikalislamistische Organisationen würden die Entführungen auch dazu dienen, Christen dermaßen einzuschüchtern, daß sie ihre Heimat von sich aus verlassen.

„Das Ziel ist die Arabisierung und Islamisierung der christlichen Hochburgen in Syrien“, ist Alkan überzeugt. Die Wirren des Bürgerkriegs seien ein geeigneter Nährboden, um dieses Ziel durchsetzen zu können. „Die öffentliche Sicherheit und Ordnung ist nun praktisch aufgehoben, wir leben momentan in einem rechtsfreien Raum“, sagt Sabri Alkan.

Vor allem islamistische Söldner, die in der Regel außerhalb der oppositionellen Freien Syrischen Armee operieren, seien aufgrund ihrer unkontrollierten Angriffe bei syrischen Christen gefürchtet. Nicht zuletzt deshalb, weil sie bereits in Afghanistan, Jemen und Libyen Angst und Schrecken verbreitet hätten.

„Unsere Leute sitzen wirklich auf gepackten Koffern“, erzählt Alkan. Einige hätten bereits Haus und Hof verkauft, um Schlepperbanden bezahlen zu können, die sie nach Europa bringen sollen. Über die noch unproblematische Einreise in die Türkei würden die Schlepper die Flüchtlinge dann zumeist über die türkisch-griechische Landverbindung oder die nahe am türkischen Festland befindliche griechische Insel Lesbos nach Athen schmuggeln.

Von dort gehe es über die Hafenstädte Patras und Piräus in die wirtschaftlich attraktiveren Länder Nordeuropas. Auch nach Deutschland. „Die Schlepper nehmen den Flüchtlingen ihre Pässe ab und geben ihnen dafür gefälschte mit gültigem Visum. Nach erfolgreicher Einreise müssen sie die gefälschten Pässe den Schlepperbanden zurückgeben und bekommen ihre richtigen Pässe zurück, mit denen sie dann Asyl beantragen“, beschreibt Alkan das System der Schleuser, die auf diese Weise bewirken wollen, daß der Herstellungsort der gefälschten Dokumente verborgen bleibt.

Die Assyrisch Demokratische Organisation sei gegen die Flucht der Christen, stellt Alkan klar, auch wenn er Verständnis für die Flüchtenden hat. Doch durch die Flucht würden die Christen in Syrien weiter marginalisiert. Für ihn ist dies das schlimmste Szenario. „Denn dann wäre unsere Heimat für immer verloren.“

Foto: Bombenanschlag im Christenviertel der Alstadt von Damaskus: Eine Aufforderung an den „regierungsfreundlichen“ Patriarchen, endlich die Seiten zu wechseln

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