© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  46/12 09. November 2012

Der Wunsch zu verstehen
Vordenker der Konservativen: der Schriftsteller Arthur Koestler / JF-Serie, Teil II
Alain de Benoist

Arthur Koestler ist das erstaunliche Beispiel eines Menschen, der durch alle großen Stürme des 20. Jahrhunderts ging, als begeisterter Anhänger der großen, verführerischen Ideen, mit denen er schließlich radikal abrechnete, um sich einer Art von ruhelosem Konservatismus zuzuwenden.

Geboren in Ungarn als Sohn einer deutschsprachigen jüdischen Familie, studierte er ab 1922 Ingenieurswissenschaften, Philosophie und Literatur in Wien, wo die Familie seit 1920 lebte. Dort entdeckte er das Judentum und wurde nach seiner Bekanntschaft mit Wladimir Jabotinsky zum leidenschaftlichen und radikalen Anhänger des „zionistischen Revisionismus“, der mit allen Mitteln einen jüdischen Staat in Palästina errichten wollte. Als junger Präsident einer schlagenden zionistischen Studentenverbindung war er sogar einer der Mitbegründer der bis heute bestehenden jüdischen Jugendorganisation „Betar“.

Brennend auf praktische Umsetzung seiner Ideen, reiste er nach Palästina, wo er sich als Landarbeiter einem landwirtschaftlichen Kollektiv anschloß. Er führte in der Folge eine ärmliche Existenz in den Straßen von Haifa, Tel Aviv und Jerusalem. Diese Erfahrung verarbeitete er viel später in seinem Buch „Diebe in der Nacht“ (1946). Die Enttäuschung kam schnell: „Ich fand mich an einem verlorenen Ort in der Mitte des Nichts wieder, einem unheilvollen und elenden Ort.“ Es folgte der definitive Bruch mit dem Zionismus. 1948 erklärte er im Jewish Chronicle anläßlich der Staatsgründung Israels, daß die Juden von nun an keine andere Wahl haben sollten, als nach Israel einzuwandern oder sich vollständig zu assimilieren, wie er selbst es getan habe.

Anfang der dreißiger Jahre arbeitete Koestler in Deutschland für die Ullstein-Verlagsgruppe, vor allem für die Vossische Zeitung, deren wissenschaftliche Abteilung er leitete, und für die Berliner Zeitung am Mittag. Im Dezember 1931 schloß er sich der KPD an, reiste mehrfach in die Sowjetunion und ging schließlich nach Paris, wo er für den Propagandachef der Komintern, Willi Münzenberg, arbeitete.

Als Berichterstatter der englischen Zeitung News Chronicle wurde er 1937 während des Spanischen Bürgerkriegs in Málaga von franquistischen Truppen verhaftet, zunächst zum Tode verurteilt, dann aber gegen die Gattin eines Fliegerasses der Nationalen ausgetauscht, die von den Republikanern gefangengehalten wurde. Diese Episode inspirierte ihn zu den fesselndsten Seiten seines großen autobiographischen Buches „Ein spanisches Testament“ (1937). Ein Jahr später brach er endgültig mit der kommunistischen Partei, als Zeichen des Protestes gegen die Moskauer Schauprozesse.

Als der Zweite Weltkrieg ausbrach, befand sich Koestler in Frankreich, wo er von den französischen Behörden als „unerwünschter Ausländer“ eingestuft und im Lager von Vernet interniert wurde. Auf Druck der britischen Behörden wurde er entlassen, trat der Fremdenlegion bei, wechselte seine Identität, desertierte in Nordafrika und floh nach London, wo er eine Tätigkeit im Propagandaministerium annahm.

1940 erschien der Roman „Sonnenfinsternis“, in dem er einen stalinistischen Prozeß gegen einen hohen sowjetischen Funktionär beschreibt, der derart indoktriniert ist, daß er seine eigene Hinrichtung akzeptiert, obwohl ihn keinerlei Schuld trifft. Das Werk wurde schnell als Klassiker des Antitotalitarismus vom Range von Orwells „1984“ anerkannt, führte aber zum Zerwürfnis mit den Intellektuellen der Linken, allen voran Jean-Paul Sartre. Nach dem Krieg arbeitete Koestler mit dem vom CIA organisierten und diskret finanzierten „Kongreß für kulturelle Freiheit“ zusammen.

Das Werk dieses großen Verführers (über dessen Frauengeschichten viel Tinte vergeudet wurde), das unablässig zwischen den Extremen schillert, teilt sich in Romane, Essays und autobiographische Schriften. 1972 wurde er mit dem „Order of the British Empire“ ausgezeichnet. 1976 behauptete er in „Der dreizehnte Stamm“, daß das heute in der Diaspora lebende Judentum nicht von den Juden des antiken Palästina abstamme, sondern von dem Turkvolk der Chasaren, das im 13. Jahrhundert zum Judentum konvertiert sei. Diese umstrittene These wurde von der modernen genetischen Forschung nicht bestätigt, nichtsdestotrotz dreißig Jahre später von dem israelischen Historiker Shlomo Sand aufgegriffen.

Koestler ließ sich dauerhaft in London nieder, wo er sich seit den frühen fünfziger Jahren leidenschaftlich der Parapsychologie und anderen „unorthodoxen“ wissenschaftlichen Strömungen widmete. Er kritisierte den klassischen Darwinismus und alle Arten des Reduktionismus innerhalb der Kognitivwissenschaften wie der Psychologie, der Neurophysiologie, der Biologie und der Wirtschaftswissenschaft. Ihm ist die Erfindung des Begriffes „Holon“ (das „ganzheitlich Seiende“) zu verdanken, der jenseits der simplen Gegenüberstellung der Teile und des Ganzen die Fähigkeit von lebenden Organismen beschreibt, emergente Eigenschaften zu entwickeln.

1969 gab er zusammen mit J. R. Smythies die Aufsatzsammlung „Das neue Menschenbild“ (Beyond Reductionism) heraus, die Vorträge eines großen internationalen Kolloquiums enthält, das in Alpbach (Österreich) abgehalten wurde. Teilnehmer waren unter anderem Jean Piaget, Jérôme Bruner und Ludwig von Bertalanffy. Es erschien eine Reihe von Büchern, die gleichermaßen den Materialismus wie den Freudianismus attackierten, kulminierend in „Der Mensch, Irrläufer der Evolution“ (1978).

Erkrankt an Leukämie und am Parkinson-Syndrom, nahm er sich 1983 das Leben, zusammen mit seiner dritten Ehefrau Cynthia Jefferies, nach dem Vorbild von Stefan Zweig und seiner Frau. Als Verteidiger der Euthanasie war er zwei Jahre zuvor Vizepräsident der Gesellschaft für freiwillige Euthanasie (Voluntary Euthanasia Society) geworden.

 

Vordenker

Das Institut für Staatspolitik (IfS) hat den dritten Band seines „Staatspolitischen Handbuchs“ vorgelegt. Nach den „Leitbegriffen“ (2009) und den „Schlüsselwerken“ (2011) werden nun die konservativen „Vordenker“ präsentiert. Der von IfS-Geschäftsführer Erik Lehnert und dem Historiker Karlheinz Weißmann herausgegebene Band versammelt in alphabetischer Reihenfolge 129 Personen, „die der konservativen Sache wichtige Impulse gegeben haben“. In einer Serie stellt die JUNGE FREIHEIT einige „Vordenker“-Porträts vor, zuletzt in der vorigen Woche Irenäus Eibl-Eibesfeldt (JF 45/12).

Erik Lehnert / Karlheinz Weißmann (Hrsg.): Staatspolitisches Handbuch, Band 3: Vordenker. Edition Antaios, Schnellroda 2012, geb., 256 Seiten, 15 Euro

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