© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  46/12 09. November 2012

Der Staat greift nach Paßwörtern
Big Brother: Behörden sollen Zugriff auf alle deutschen Kunden-Paßwörter bekommen / Erstaunlich wenig Widerstand
Ronald Gläser

Die Stellungnahme der Bundesregierung war eindeutig: Das geht so nicht. Gleich zwei Ministerien (Wirtschaft und Verbraucherschutz) warnten Telefónica Ende Oktober vor einer Verletzung der Privatsphäre. Der spanische Telefonriese und seine deutsche Tochterfirma O2 planen nämlich den Handel mit Bewegungsdaten ihrer Kunden. Der Mobilfunkbetreiber erhofft sich, diese Standortdaten versilbern zu können.

Die prompte Reaktion der Regierung: Solche Geschäfte sind grundsätzlich verboten. Die Daten dürfen nur mit Zustimmung des Nutzers oder anonym weitergegeben, keinesfalls aber über den Kopf der Betroffenen hinweg vermarktet werden. Das Telekommunikationsgesetz (TKG) sei da eindeutig.

Diese datenschutzfreundliche Haltung wird aber konterkariert durch ein Vorhaben, das einen immensen Einschnitt in die Privatphäre der Deutschen bedeuten würde: nämlich die geplante Neufassung ebenjenes TKG. Der Entwurf sieht vor, daß Telekomfirmen sämtliche Kunden-Paßwörter für Behördenanfragen bereithalten müssen. Unternehmen mit mindestens 100.000 Kunden sollen verpflichtet werden, eine „elektronische Schnittstelle“ zu folgenden Stellen zu schaffen: Ordnungsämter, Polizei, Justiz, Geheimdienste.

Über diese Schnittstelle sollen den Ämtern Kundendaten mitgeteilt werden – und zwar nicht nur der Name und die Nummer. Wörtlich heißt es in dem Gesetzesvorhaben: „Dies gilt auch für Daten mittels derer der Zugriff auf Endgeräte oder auf Speichereinrichtungen geschützt wird.“

Das heißt, der Handy-Pincode ist davon genauso betroffen wie das Paßwort eines GMX-E-Mail-Kontos. Bundestag und Bundesrat, die noch zustimmen müssen, haben bis Juni 2013 Zeit, die TKG-Neuregelung zu fassen. Betroffene Unternehmen und einzelne Politiker haben sich kritisch dazu geäußert. Insgesamt sind die Reaktionen der Netzgemeinde jedoch schwach ausgefallen. Das könnte sich ändern, wenn das Gesetz in der vorliegenden Form in den Bundestag eingebracht wird.

Siehe auch Meinungsbeitrag Seite 2

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