© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  46/12 09. November 2012

Alles steuert auf den Tag der Wahrheit zu
Tabufreie Geschichtswissenschaften: Der Historiker Ernst Nolte sieht in seinen „Letzten Reden“ Grund zum Optimismus
Wolfgang Kaufmann

Am 19. November 2011 erhielt der Historiker und Geschichtsphilosoph Ernst Nolte den Gerhard-Löwenthal-Ehrenpreis der Förderstiftung Konservative Bildung und Forschung (JF 48/11). Aus diesem Anlaß trug er eine Dankesrede vor, die nun zusammen mit zwei weiteren Ansprachen aus der Zeit zwischen November 2011 und Juni 2012 veröffentlicht wurde. In allen drei Fällen griff Nolte noch einmal seine ebenso kontinuierlich wie konsequent vertretene Hauptthese auf, daß es einen „kausalen Nexus“ der antibolschewistische politische Bewegung wie dem Nationalsozialismus und dem Bolschewismus gäbe, weil dieser systematisch Klassenmord begangen habe, und zwar lange bevor die Nationalsozialisten ihrerseits – eindeutig in Reaktion auf das bolschewistische Wüten – zum Rassenmord schritten.

Ebenso stellt Nolte den deutschen Neuzeithistorikern, die ihn im Zuge des „Historikerstreites“ wegen genau solcher Behauptungen aus ihrer Zunft exkludierten, ein nachgerade vernichtendes Zeugnis aus: Vom Virus des Opportunismus befallen, produzierten sie inzwischen mehr politisch korrekte Wunschresultate als echte historische Erkenntnisse, was bedeute, daß es ihrem Tun gravierend an Wissenschaftlichkeit ermangele.

Außerdem formuliert der fast Neunzigjährige in seinen sogenannten „Letzten Reden“ diverse Erwartungen an die Zukunft, die aus zweierlei Gründen Beachtung verdienen. Zum einen zeigt sich hier wieder einmal die menschliche Größe Noltes: Obwohl er wahrlich genügend Gründe hätte, bestimmte Fachkollegen wegen ihrer mediokren „Leistungen“ bloßzustellen und zu prophezeien, daß die Nachwelt ein vernichtendes Urteil über das zeitgeisthörige Œuvre der Konjunkturritter fällen werde, verzichtet er wie immer auf persönliche Boshaftigkeiten und hämisches Nachtreten – selbst wenn Nolte-Kritiker (man denke hier nur an seinen Ex-Doktoranden und -Habilitanden Wolfgang Wippermann) dadurch hervorstachen, daß sie oft völlig unsachliche, teilweise sogar an Schäbigkeit grenzende Breitseiten gegen ihn abgefeuert haben. Zum anderen lohnt es sich aber auch, zur Kenntnis zu nehmen, was einer der größten deutschen Historiker des zwanzigsten Jahrhunderts an der Schwelle zum dritten Jahrtausend über die kommenden Zeiten denkt.

So glaubt Nolte nicht an eine künftige „gleichmäßige und graue ‘Weltzivilisation’“ im Multikulti-Rausch, sondern geht vom Fortbestehen der „nach Nationen und Kulturen gegliederten Menschenwelt“ aus. Darüber hinaus stellt er fest: „Eine in diesem Sinne existierende Menschheit wird, wenn die politischen Begriffe von einst noch verwendbar sein sollten, eher eine ‘rechte’ als eine ‘linke’ sein.“ Denn über kurz oder lang komme die Zeit, in der die Linke es nicht länger schaffe, sich über jedwede Kritik zu erheben, während die Rechte unisono als verdammenswert hingestellt werde.

Eine Rechte mit „gewiß nicht fraglos zu übernehmenden Traditionen“ werde also in Zukunft „ebenso notwendig zu der ‘westlichen Demokratie’ hinzugehören wie die Linke und deren Traditionen“. Dies schon deshalb, weil die Rechte all die linken Utopien hinterfrage, in denen das Nationalbewußtsein und der Kulturstolz auf dem Altar eines zutiefst primitiven Universalismus geopfert werden. Letzterer nämlich sei den meisten Menschen doch längst zuwider, was sie zu einem natürlichen Verbündeten der Rechten mache – auch wenn sie dies noch nicht mehrheitlich erkannt hätten.

Auf dem Weg zur Rehabilitation und Neuformierung der Rechten müsse es natürlich zwingend zu einer tabufreien wissenschaftlichen Interpretation des Nationalsozialismus kommen – dazu gehöre insbesondere auch die Beantwortung der Frage, wie viele linke Charakterzüge der Nationalsozialismus eigentlich in sich aufgenommen habe. Erst dann nämlich würde die naive Masse das ganze Ausmaß der Unredlichkeit der Agitation gegen „Rechts“ begreifen und sich mit der Kraft solidarisieren, die ihre wahren Interessen vertrete.

Dieser Umschwung erfordere allerdings „ein freies Denken, das sich an den Maximen einer reflektierenden Wissenschaft orientiert“. Könne sich ein solches nicht durchsetzen, drohe „ein dogmatischer ‘Absolutismus’ des Geschichtsverständnisses“, welcher dann die vielfältigen negativen Entwicklungen „kröne“, die gegenwärtig vor allem in der Beschäftigung mit der Neueren Geschichte zu beobachten seien. Dabei strahlt Nolte aber die Zuversicht aus, daß es wohl kaum so weit kommen werde, „obgleich Geduld das erste Erfordernis bleibt“.

Ungeachtet dieser Einsicht beklagt Nolte freilich auch, wie schnell die Zeit ihm ganz persönlich davonlaufe: „So muß ich heute im Endstadium meines Lebens einsehen, daß jener so naheliegende und wissenschaftsgerechte Wunsch nach einer genuinen Debatte sich zu meinen Lebzeiten nicht erfüllen wird – jedenfalls nicht in der ‘politisch korrekten’ Öffentlichkeit.“ Das ist wohl leider richtig, aber trotzdem steuert alles auf den Tag der Wahrheit zu, an dem die singuläre Bedeutung von Ernst Noltes historiographischem und geschichtsphilosophischem Lebenswerk von niemandem mehr abgestritten werden kann.

Ernst Nolte: Am Ende eines Lebenswerks. Letzte Reden 2011/12. Kaplaken Band 31. Edition Antaios, Schnellroda 2012, gebunden, 94 Seiten, 8,50 Euro

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