© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  46/12 09. November 2012

Streit um Wind und Sonne
Deutscher Ökostrom belastet das polnische und tschechische Netz / Stromsperren angedroht
Paul Leonhard

Seit 1. November bekommen die Betreiber neuer Photovoltaikanlagen weniger Geld für ihre Stromeinspeisung: Ihre Vergütungssätze nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) werden bis kommenden Januar jeweils zum Monatsersten um 2,5 Prozent gekürzt. Dennoch kamen allein im September fast ein Gigawatt Sonnenstromleistung neu ans Netz – doppelt soviel wie prognostiziert. Gleichzeitig stieg auch die deutsche Windstromproduktion in den ersten neun Monaten dieses Jahres um sieben Prozent.

Und daher dürften die Drohungen aus Warschau und Prag in diesem Herbst noch schärfer formuliert werden: Sollte Deutschland seine Windstromerzeugung im Norden nicht drosseln, würden Polen und die Tschechei das grenzüberschreitende Stromnetz notfalls unterbrechen. Gleichzeitig machen die beiden Regierungen gegenüber ihren Bürgern deutlich: Sollte es im Winter zu Stromausfällen kommen, seien nicht die eigenen Energieversorger schuld, sondern der deutsche Nachbar. Der verstopft, um die eigenen Stomleitungen zu schonen und das deutsche, unzureichende Netz nicht ausbauen zu müssen, mit seinem Ökostrom das dafür nicht ausgelegte polnische und tschechische Netz.

Ganz so einfach ist es zwar nicht, denn es spielen auch die wirtschaftlichen Interessen der polnischen Kohlestromanbieter eine wichtige Rolle. Aber in der Tat nutzen deutsche Stromerzeuger die Hochspannungsleitungen der Nachbarländer, um in norddeutschen Windkraftanlagen produzierte Energie zu den industriellen Verbrauchern nach Süddeutschland zu transportieren. Durch die Nutzung der ausländischen Transitleitungen schützen sie die Stabilität des deutschen Netzes.

„Wenn überschüssiger Wind- und Solarstrom nicht mehr ins Ausland abgeführt werden kann, dann wird das deutsche Stromnetz instabiler“, warnte bereits vor zwei Jahren Stephan Kohler, Chef der Deutschen Energie-Agentur (Dena). Ende November 2011 wurde dabei im tschechischen Netz die Grenze von 3.500 Megawatt (MW) erreicht. Der sonst bei 1.000 MW liegende Lastfluß verdreifachte sich plötzlich für eine Zeit von drei Wochen. Das ist nach Aussage von Pavel Šolc von der tschechischen Stromnetzbehörde ČEPS der „derzeitige Grenzwert für Transitstrom, den unsere Leitungen ohne Risiko eines Blackouts durchleiten können“.

Sowohl ČEPS als auch der polnische Netzbetreiber PSE Operator planen daher den Bau von Phasenschiebertransformatoren an der Grenze zu Deutschland. Derartige Anlagen sind faktisch Stromsperren. Sie wiegen etwa 250 Tonnen und sind 90 Meter lang. In den Wechselstromnetzen dienen sie dazu, den elektrischen Lastfluß bei parallel verlaufenden Leistungen gezielt zu steuern. Zur Zeit gibt es bereits Phasenschiebertransformatoren im 400-Kilovolt-Netz zwischen den Niederlanden und Belgien sowie an der Grenze zwischen Deutschland und den Niederlanden.

Vor der Umsetzung ihrer Pläne schreckten Polen und Tschechen bislang zurück. Immerhin wäre pro Transformator eine Investition von 80 Millionen Euro nötig. Auch würden bis zur Inbetriebnahme mehrere Jahre vergehen. Hinzu kommt die festgeschriebene Freizügigkeit im europäischen Energienetz. Nach der muß der Stromtransport innerhalb der EU kostenlos erfolgen. Insbesondere ČEPS setzte deswegen lange auf eine internationale Lösung des Ökostromproblems. Dena-Chef Kohler regte sowohl den schnellen Ausbau von Stromtrassen von Ost- nach Süddeutschland als auch eine europäische Abstimmung der deutschen Energiewende an. Dazu ist es bisher nicht gekommen.

Zwar gründeten im Mai 2010 die deutsche Vattenfall-Tochter 50-Hertz-Transmission und PSE Operator eine gemeinsame Gesellschaft, um neue Hochspannungsleitungen zu bauen. Deren Kapazität sollte ausreichen, um die Kapazität eines Atomkraftwerks zu transportieren und das polnische Netz zu stabilisieren. Doch um dieses Vorhaben ist es recht leise geworden. Auch steht es konträr zu den polnischen Stromsperrplänen. Auch von der 2010 beschlossenen Zehnjahresstrategie für eine nachhaltige EU-Energieversorgung ist bisher kaum etwas umgesetzt. Diese sieht vor, alle nationalen Energiemarktschranken abzubauen sowie Solar- und Windkraftanlagen besser mit dem Netz zu verbinden. Die Kosten für einen modernen EU-Stromverbund wurden auf „etwa eine Billion Euro“ taxiert.

Die deutschen Netzbetreiber seien bislang nur verpflichtet, die Produktion zu drosseln, wenn das deutsche Netz in Gefahr sei, klagte Pavel Šolc gegenüber Radio Prag: „Aber derzeit ist unser Netz bedroht, und in dem Fall geben uns die internationalen Regelungen momentan noch keine Möglichkeiten, die jeweiligen Firmen in die Verantwortung zu nehmen.“ Andererseits weigert sich die tschechische Regierung, nur wegen der deutschen Ökostromtransits das eigene Netz zu Lasten des Staatshaushalts auszubauen, man setzt auf Restriktionen.

Eine Anordnung, die es im Notfall ermöglichen soll, das grenzüberschreitende Stromnetz abzuschalten, hat das zuständige Industrieministerium bereits im Oktober dem Kabinett in Prag vorgelegt. Noch in diesem Winter soll die neue Notverordnung in Kraft treten. Polen setzt auf den Bau eines Phasenschiebertransformators. Dessen Bau sei letztlich billiger, als auf Dauer die jährlichen Verluste von 40 Millionen Euro hinzunehmen, die polnischen Energieversorgern entstünden, wenn sie wegen der deutschen Ökoüberkapazitäten ihre eigenen Kraftwerke herunterfahren müssen, rechnete ein polnischer Energiewissenschaftler kürzlich im Mitteldeutschen Rundfunk vor. Die Sperranlage solle 2014 in Betrieb gehen.

 

Herkulesaufgabe Stromnetzausbau

Windstrom wird vor allem im Osten und Norden Deutschlands erzeugt. Wegen der deutschen Teilung verbinden aber nur drei große Stromtrassen die einst getrennten Netze. Daher fließt ein Teil des Windstroms über den früheren Ostblockstromverbund nach Polen und in die Tschechei. Von dort gelangt der Windstrom über den EU-Netzverbund nach Bayern und Baden-Württemberg, weil dort die energiehungrigen Industrieverbraucher sitzen. Die Netze sind dafür nicht ausgelegt. Deshalb kommt es seit Jahren zu Zwangsabschaltungen von deutschen Windkraftanlagen. Die Deutsche Energie-Agentur GmbH (Dena) fordert daher einen schnellen innerdeutschen Netzausbau und Netzumbau: „Die Aufgabe der Stromverteilnetze wandelt sich von einer ehemals unidirektionalen reinen Verteilung des Stroms an die Endkunden hin zu einer multidirektionalen Ein- und Ausspeisung von Strom unter Einbindung verschiedenster Marktakteure“, heißt es ein einer aktuellen Dena-Netzverteilstudie.

Deutsche Energie-Agentur GmbH (Dena): www.dena.de

Statistiken zur Energiewirtschaft:  www.ag-energiebilanzen.de

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