© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  47/12 16. November 2012

Abschaffung der Familie
In der verbissenen Debatte um das Betreuungsgeld offenbart sich ein Kulturkampf
Michael Paulwitz

Schwachsinn!“ – „Katastrophe!“ – „Biedermeier-Idylle!“ – Mit einem Phrasengewitter von Injurien und ideologischen Kampfbegriffen drosch die Opposition im Bundestag auf das Betreuungsgeld ein. Triebfeder der Haßausbrüche war nicht die vorgeschobene Sorge um die Staatsfinanzen, sondern die unduldsame Wut eifernder Kulturkämpfer auf all jene Eltern, die sich dem als alleinseligmachend ausgegebenen „modernen Familienbild“ verweigern: Eltern Vollzeit berufstätig, Kind Vollzeit in Krippe, Kita und Ganztagsschule verwahrt.

Viel Aufregung um eine Sozialleistung, die mit einem erwarteten Jahresvolumen zwischen ein und zwei Milliarden Euro fürwahr nicht zu den dramatischsten gehört, die der Bundestag je beschlossen hätte. Kindertagesstätten und Krippen, für deren massiven Ausbau ein Milliardenprogramm nach dem anderen einmütig beschlossen wird, werden von der öffentlichen Hand pro Monat und Kind mit etwa dem Zehnfachen des Betreuungsgelds subventioniert.

Gegen letzteres aber wollen die rot-grünen Kulturkämpfer vor das Bundesverfassungsgericht ziehen und die eben beschlossene Leistung, Vertrauensschutz hin oder her, nach einem Wahlsieg im nächsten Herbst sofort wieder abschaffen. Noch im Sommer hatten sie die Abstimmung über das Betreuungsgeld über Verfahrenstricks und die Sprengung einer Bundestagssitzung sabotiert. Solche Ausbrüche von Kampfgeist erstaunen in einem Parlament, das sonst Euro-„Rettungsschirme“ und Schuldenhaftungs-Blankoschecks in Fantastillionenhöhe ungerührt und ohne großes Auflehnen durchzuwinken pflegt.

Aber freilich, beim Betreuungsgeld geht es nicht um aus Politikersicht vergleichsweise nebensächliche Dinge wie die Ausplünderung der Steuerzahler zum höheren Ruhme Europas, sondern um die Macht im Lande, genauer: um die kulturelle Hegemonie im politischen Diskurs. Die rot-grüne Lufthoheit über den Kinderbetten scheint vollkommen, seit auch die Merkel-CDU sich das „moderne“ und „fortschrittliche“ Frauen- und Familienbild zu eigen gemacht hat, dessen Glaubenssätze lauten: Frauen sind nur dann „gleichgestellt“ und vollwertig, wenn sie hauptberuflich einer bezahlten Erwerbstätigkeit nachgehen; und Kinder sind folgerichtig nur dann optimal „betreut“, wenn sie schnellstmöglich und ganztags in einer staatlichen Anstalt abgegeben werden.

Es ist eine ganz große Koalition, die mit Klauen und Zähnen und gedeckt von massivem medialem Sperrfeuer für dieses Modell kämpft und dabei höchst unterschiedliche Interessen verfolgt: Das gleichmacherische Ziel linker Wohlfahrtsstaat-Sozialisten und Gender-Ideologen, die Familie als staatsfreien Raum zurückzudrängen und Erziehung und Bildung möglichst weitgehend unter staatliche Kontrolle zu bringen und zu kollektivieren, trifft sich mit dem ökonomistischen Kalkül von Wirtschaftslobbyisten, die Frauen und Mütter allein nach ihrem volkswirtschaftlichen Nutzwert taxieren und über sie auf dem Arbeitsmarkt uneingeschränkt verfügen wollen – steigt das Angebot an Arbeitskraft, sinkt ihr Preis. Am Ende geißelt dann Arbeitgeberpräsident Hundt das Betreuungsgeld als „gesellschaftlich rückwärtsgewandt“, im schönsten Einklang mit Trittin, Steinbrück und Genossen, die sich diese Schützenhilfe triumphierend an die Brust heften.

Das links-ökonomistische Frauen- und Familienbild ist potentiell totalitär, es duldet keinen anderen Weg, kein Sowohl-Als-auch und keinen Widerspruch. Nicht nur vermeintliche und tatsächliche Abweichler aus den eigenen Reihen der politisch-medialen Klasse werden aggressiv ausgestoßen und verächtlich gemacht; Eva Herman oder Kristina Schröder können ein Lied davon singen. Auch Eltern, die nicht spuren und ihre Kinder lieber selbst erziehen, müssen sich rüde Beschimpfungen und pauschale Abqualifizierungen anhören: Der böse – und schon einmal zum „Unwort des Jahres“ erklärte – Kampfbegriff von der „Herdprämie“ macht aus jeder nichtberufstätigen Mutter das einfältige „Heimchen“, man rechnet sie automatisch, wie Neuköllns Bürgermeister Buschkowsky, der – deutschen oder „migrantischen“ – Unterschicht zu, wo das Geld doch nur „versoffen“ werde und die Kinder – es geht um Ein- bis Dreijährige, wohlgemerkt – um lebenswichtige „Bildungschancen“ gebracht werden; ohnehin seien die Eltern mit der Erziehung „überfordert“, da muß der bevormundende Sozialstaat mit „Fachkräften“ ran, die die Kinder nicht bloß vor die Glotze setzen oder gar mißhandeln, wie die NRW-Grünen-Chefin Löhrmann indirekt unterstellt.

Die Agitationstechnik ist durchsichtig: Der extreme Sonderfall wird zum Maßstab erhoben und muß als Vorwand für die Entmündigung aller herhalten. Von der Lebenswirklichkeit der Familien, die mehrheitlich ihre Kinder nicht in Krippen stecken wollen, von den Wünschen der Frauen, die in der übergroßen Mehrheit lieber Teilzeit arbeiten würden, um Zeit für ihre Kinder zu haben, und vom Wohl der Kinder, für deren Entwicklung in den ersten drei Jahren die feste häusliche Bezugsperson unersetzlich ist, ist das meilenweit entfernt. Wie weit, hat der badische FDP-Abgeordnete Patrick Meinhardt dem SPD-Kanzlerkandidaten Steinbrück vorgerechnet, der das geschmähte Betreuungsgeld noch vier Jahre zuvor als Finanzminister einen „vernünftigen Kompromiß“ genannt hatte.

Die Wahlfreiheit für Familien, die damals auch die SPD-Spitze hervorhob, ist heute unerwünscht. Das Betreuungsgeld wird deshalb so wütend bekämpft, weil es den gesellschaftlichen Umerziehungsgroßversuch relativiert, der die reale Vielfalt in den Familien unter den Deckel der Kita- und Krippen-Ideologie zwingen will. Der grünlinke Haß auf die Familie, der auch weite Teile von Union und FDP längst erfaßt hat, ist ideologischer Natur. Man muß ihm schon deshalb grundsätzlich entgegentreten.

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