© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  47/12 16. November 2012

„Keiner sagt ihnen danke“
Eine Handvoll Afghanistankämpfer gründete 2010 den ersten Veteranenverband der Bundeswehr: Andreas Timmermann-Levanas, Mitgründer und Vorsitzender der Vereinigung, fordert von Politik und Gesellschaft, sich endlich zu ihren Kriegsveteranen zu bekennen.
Moritz Schwarz

Herr Timmermann-Levanas, in Deutschland gibt es wieder Kriegsveteranen.

Timmermann-Levanas: Ja, das sollten sich die Deutschen klarmachen.

Wie war das bei Ihnen?

Timmermann-Levanas: Ich war 1998/99 sechs Monate in Bosnien im Einsatz und habe dort auch brenzlige Situationen erlebt. Dennoch habe ich mich danach nicht als Veteran gefühlt, der Gedanke kam mir gar nicht.

Warum nicht?

Timmermann-Levanas: Ich weiß nicht, vielleicht war die Zeit noch nicht reif. Aber als ich 2006 aus Afghanistan zurückgekommen bin, war alles anders.

Inwiefern?

Timmermann-Levanas: Plötzlich fanden wir uns in einem echten Krieg wieder, plötzlich gehörte es dazu, daß Kameraden fallen. Ich selbst kam traumatisiert in die Heimat zurück.

Deshalb haben Sie den Bund Deutscher Veteranen (BDV), den ersten Veteranenverband der Bundeswehr, gegründet?

Timmermann-Levanas: Nein, es gibt viel mehr Soldaten, die gesund und munter aus dem Einsatz zurückkommen, als Traumatisierte – aber keiner sagt ihnen danke, darum ging es mir!

Nun fordern Sie die Einrichtung eines nationalen Tages der Veteranen. Warum? Dazu haben wir doch den Volkstrauertag am kommenden Sonntag.

Timmermann-Levanas: Der Volkstrauertag ist sehr wichtig, viele von uns haben in Afghanistan Kameraden verloren, oder sie haben selbst Todesgefahr im Einsatz erlebt. Unser Gedenken am Volkstrauertag ist daher nicht nur rituelle Pflicht, sondern persönlich und intensiv. Und dennoch, der Volkstrauertag kann einen Veteranentag nicht ersetzen.

Warum nicht?

Timmermann-Levanas: Der Volkstrauertag gilt den Gefallenen und Hinterbliebenen. Aber es gibt auch noch die Überlebenden – und davon Zigtausende. Sie alle haben etwas für ihr Vaterland geleistet und dabei Leben und Gesundheit riskiert. Erstens ist es angebracht, daß die Gesellschaft ihnen dafür auch einmal Dank und Anerkennung ausdrückt. Zweitens soll der Tag der Gesellschaft ins Bewußtsein rufen, daß auch jetzt gerade Tausende von Männern und Frauen an den entlegensten Orten der Welt für Deutschland im Einsatz sind: Fragen Sie mal auf der Straße, wie viele Bürger wissen, daß für sie derzeit deutsche Soldaten etwa in Dschibuti stationiert sind.

Zudem möchten Sie den Veteranentag anders begehen.

Timmermann-Levanas: Ja, im Gegensatz zum Volkstrauertag, der ein stiller Tag der Einkehr ist, wünschen wir uns, daß am Veteranentag auch gefeiert wird. Deshalb plädieren wir dafür, ihn nicht auf ein festes Datum, sondern immer auf einen Samstag zu legen, der an ein fixes Datum gekoppelt ist. Konkret auf den ersten Samstag im Juli.

Warum?

Timmermann-Levanas: Am 1. Juli 1992 nahm das deutsche Feldlazarett in Phnom Penh im südostasiatischen Kambodscha den Dienst auf – dieses Datum symbolisiert daher treffend den Beginn der Auslandseinsätze der Bundeswehr. In der Diskussion sind ja alle möglichen Vorschläge, etwa der 22. Mai, an dem 1956 die wehrverfassungsrechtlichen Grundlagen für die Bundeswehr in Kraft getreten sind, oder der 7. Juni, als 2003 in Kabul ein Selbstmordattentäter einen Bundeswehrbus in die Luft sprengte und vier Kameraden in den Tod riß. Auch der 2. April ist vorgeschlagen worden, als 2010 im sogenannten Karfreitagsgefecht in der Provinz Kundus drei deutsche Soldaten fielen, oder aber der 3. Oktober, unser Nationalfeiertag. Wir halten hingegen den Beginn der Auslandseinsätze für besser geeignet.

Aber wäre ein emotionales Datum, wie etwa der 2. April, nicht in der Tat besser als ein so technokratischer Termin? Denken Sie an das triste Dasein, das der 3. Oktober als Nationalfeiertag „nach Aktenlage“ gegenüber dem emotionalen 9. November fristet.

Timmermann-Levanas: Sollten wir ein einzelnes Anschlags- oder Einsatzdatum wählen, wird es von seiten der Überlebenden und Hinterbliebenen anderer Einsätze immer zu Recht heißen: „Warum dieses und nicht das unsere?“ Wir brauchen also ein Datum, mit dem sich alle gleichermaßen identifizieren können. Außerdem beinhaltet unser Vorschlag durchaus eine emotionale Komponente: Deutsche Soldaten sind hier erstmals für ihr Vaterland auf Grundlage eines Bundestagsbeschlusses ins Ausland gesandt worden, dort eine offizielle Mission zu erfüllen. Sie dienten ihrem Vaterland in dem Bewußtsein, dabei auch für Deutschland fallen zu können. – Und schließlich endete die Kambodscha-Mission mit dem ersten Gefallenen der Bundeswehr.

Allerdings waren Bundeswehrsoldaten schon ab 1960 immer wieder im Ausland im Einsatz.

Timmermann-Levanas: Das stimmt, meist aber zu humanitären Missionen, wie die Erdbebenhilfe in Marokko, die Versorgung von Hungernden in Äthiopien oder aber die Hilfe für die Waffeninspekteure der Uno im Irak. Diesen Einsätzen soll auch keineswegs die Anerkennung verweigert werden, aber den sozusagen offiziellen Beginn der Auslandseinsätze nach Ende des Kalten Krieges, als Deutschland sich in einer neuen Weltordnung zurrechtfinden mußte, markiert nun einmal der Einsatz in Kambodscha.

Wann kommt der Veteranentag?

Timmermann-Levanas: Wir hoffen 2013.

Wie realistisch ist das?

Timmermann-Levanas: Wir hoffen das Beste, auch wenn wir sehen, daß es noch ein steiniger Weg bis dorthin ist.

Warum?

Timmermann-Levanas: Weil Politik, Bundeswehr und die Gesellschaft noch nicht soweit sind. Die Diskussion wird ja noch kaum geführt, in der Politik nur zaghaft und in der Gesellschaft gar nicht.

Warum ist das so?

Timmermann-Levanas: Immer noch erschrecken viele Deutsche bei dem Wort Veteranen. Die Reaktionen reichen von: „Alles Militaristen, Rechtsradikale oder Nazis“ bis zu „Ist so was nicht seit 1945 verboten?“ Was die Gesellschaft aber vergessen hat ist, daß es bis in die siebziger Jahre hinein über zweitausend Veteranenverbände in Deutschland gab, daß die Veteranenkultur, vor allem lokal unter Einbindung der örtlichen Honoratioren und Institutionen, wie Gemeinden, Kirchen, Vereinen, wirklich gelebt wurde! Diese Kultur war anerkannt und verwurzelt, sie brachte Tausende Menschen auf die Straße. Dann kamen die achtziger Jahre mit der Friedensbewegung und in den Neunzigern fiel der „Mythos von der sauberen Wehrmacht“, es gab die Reemtsma-Ausstellung und den Beschluß des Bundestages, daß der Zweite Weltkrieg ein verbrecherischer Angriffskrieg war. Das hat dazu geführt, daß diejenigen, die zuvor noch stolze Veteranen waren, sich zurückzogen, etliche Veteranenverbände sich einfach auflösten. So haben diese zwei Jahrzehnte – und natürlich das Sterben der Erlebnisgeneration – die Gesellschaft vergessen lassen, was zuvor bei uns einmal selbstverständlich war.

Tatsächlich reicht das deutsche Veteranenwesen bis zu den Reichseinigungskriegen im 19. Jahrhundert zurück. Vereinzelt existieren diese „Kriegervereine“ heute noch, und noch gibt es auch Weltkriegsveteranen. Warum haben Sie nicht dort angeknüpft?

Timmermann-Levanas: Weil von Anfang an klar war, daß die Interessen der Veteranen der Bundeswehr zum größten Teil andere sind als die der noch lebenden Veteranen des Zweiten Weltkriegs. Wir brauchten etwa Neues und Eigenes, um unsere Probleme zu artikulieren. Gleichwohl stehen wir mit Veteranen des Weltkriegs durchaus in Verbindung.

Kann ein Veteran der Wehrmacht Mitglied im BDV werden?

Timmermann-Levanas: Selbstverständlich und davon haben wir auch einige. Außerdem vermitteln wir etwa auch Kontakte zwischen den Generationen, wenn bei manchen Kameraden des Weltkriegs etwa Interesse besteht, sich einmal mit den jüngeren Kameraden aus Afghanistan auszutauschen.

Durch die Medien geistert die Zahl von 300.000 deutschen Afghanistanveteranen.

Timmermann-Levanas: Die Bundeswehr gibt an, daß mehr als 300.000 Soldatinnen und Soldaten bisher im Einsatz waren – da aber einige Kameraden mehrfach eingesetzt wurden, dürfte die tatsächliche Anzahl weit geringer sein.

Wie hoch ist sie tatsächlich?

Timmermann-Levanas: Das kann ich nicht sagen, weil die Bundeswehr keine verläßlichen Zahlen hat.

Was schätzen Sie?

Timmermann-Levanas: 100.000 bis 150.000 – aber nochmal: Das ist wirklich nur eine Schätzung!

Davon sind lediglich knapp tausend im BDV organisiert. Warum so wenige?

Timmermann-Levanas: Wir sind ein junger Verband, gegründet haben wir den BDV mit elf Mann vor zwei Jahren und zwar als private Initiative, finanziert allein durch Spenden. Unterstützung von öffentlicher Seite bekommen wir bis heute nicht, ja zu Beginn wurden wir von offiziellen Stellen sogar ignoriert. Schrieb ich damals etwa als BDV einen Brief an Behörden mit der Bitte um Auskunft, kam es immer wieder vor, daß wir einfach keine Antwort bekamen. Wenn ich also bedenke, was wir unter diesen Bedingungen seitdem auf die Beine gestellt haben, dann ist der BDV eine echte Erfolgsgeschichte.

Die Bundeswehr hat knapp 200.000 aktive Soldaten – wenn es tatsächlich hundert- bis hundertfünfzigtausend Veteranen gibt, ist das eine enorme Zahl. Glauben Sie, das ist den Deutschen bewußt?

Timmermann-Levanas: Nein, und vor allen Dingen ist ihnen nicht bewußt, daß nicht nur die Veteranen betroffen sind, sondern auch ihr soziales Umfeld: Eltern, Geschwister, Ehegatten, Kinder, Freunde, Kollegen, Vereinskameraden, Nachbarn: Die Zahl der direkt und indirekt davon Berührten ist also in der Tat viel, viel größer als die meisten gemeinhin glauben. Um so wichtiger ist es, daß die Gesellschaft endlich akzeptiert, daß es diese Menschen gibt.

In den USA ist die Gesellschaft stolz auf ihre Veteranen.

Timmermann-Levanas: Wir dagegen kämpfen gegen das Desinteresse an. Kommen US-Soldaten aus dem Einsatz nach Hause und am Flughafen an, fangen zivile Reisende am Nachbarschalter mitunter an zu applaudieren! Wir dagegen müssen froh sein, wenn wir zu Hause nicht angespuckt werden. Was wir fordern, ist ja keine Begeisterung wie in den USA, sondern einfach nur Anerkennung, daß wir unseren Dienst für unser Vaterland, das heißt für die Gesellschaft, geleistet und dabei unser Leben riskiert haben.

Da bei den meisten Meinungsmachern in Deutschland ein deutliches Ressentiment gegen Militär vorherrscht, werden Sie wohl aber auch in Zukunft gesellschaftliche Bittsteller bleiben. Verträgt sich das denn mit Ihrem Stolz als Veteran?

Timmermann-Levanas: Wir fordern ja nicht eine heroische Siegesparade mit Leopard-Panzern durchs Brandenburger Tor, aber wir sind stolz und selbstbewußt genug, uns nicht zu verstecken und Respekt und Anerkennung einzufordern.

Denkt man an die öffentlichen Gelöbnisse der Bundeswehr, dann werden Sie wohl den Veteranentag öffentlich vielerorts nur unter Polizeischutz begehen können.

Timmermann-Levanas: Wer vernünftig protestiert, den laden wir gerne ein, mit uns zu diskutieren. Ansonsten: Wir haben Afghanistan durchgestanden, da können uns Chaoten mit Trillerpfeifen, Eiern und Tomaten, die sich nur selbst blamieren, nicht schrecken.

Auf Ihrer Internetseite präsentieren Sie sich allerdings weniger stolz, eher als so etwas wie ein Sozial- oder Opferverband.

Timmermann-Levanas: Inwiefern?

Das Wort dort ist groß: „Hilfe“.

Timmermann-Levanas: Und gleich darunter kann man das Wort „Kameradschaft“ lesen.

Besucht man die Seiten von US-Veteranen wirken diese stolz, wie Sieger, die deutschen dagegen erscheinen gebrochen und hilfsbedürftig.

Timmermann-Levanas: Wir möchten keinen Sieg feiern! Wir haben auch in Afghanistan keinen Krieg gewonnen, sondern als Parlamentsarmee dort unseren Auftrag erfüllt und dabei unser Leben riskiert. Darauf sind wir stolz. Wir haben in unseren Reihen Veteranen, die unter Posttraumatischen Belastungsstörungen leiden und mit dem Einsatz in Afghanistan gebrochen haben, und wir haben solche, die kerngesund sind und sofort wieder an den Hindukusch gehen würden, wenn man ihnen ein Gewehr geben würde. Alle haben sie Dank und Anerkennung verdient und sie alle sind in der Gemeinschaft unseres Verbandes zu Hause.

 

Andreas Timmermann-Levanas, ist Gründer und Vorsitzender des Bundes Deutscher Veteranen (Logo mittig). Der Oberstleutnant a. D. der Luftwaffe diente von 1985 bis 2009 – unter anderem 1998/99 in Bosnien und 2006 in Afghanistan, wo er in Kundus in ein mehrstündiges Gefecht mit den Taliban verwickelt war. Der ehemalige Sprecher der Afghanistanschutztruppe Isaf veröffentlichte 2010 das Buch: „Die reden – wir sterben. Wie unsere Soldaten zu Opfern der deutschen Politik werden“ (Campus Verlag) und rief im selben Jahr mit zehn Kameraden in Berlin den BDV ins Leben. Der etwa gleichzeitig gegründete Deutsche Veteranenverband konnte sich dagegen nicht durchsetzen. Geboren wurde Timmermann-Levanas 1965 in Stuttgart.

www.bund-deutscher-veteranen.de

Foto: Kriegsgräber in Dortmund; Ehrenmal für die Toten der Bundeswehr in Berlin: „Der Volkstrauertag kann einen Tag für die Veteranen nicht ersetzen“

 

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