© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  47/12 16. November 2012

Lauter Einzelteile
Terrorismus II: Bundesanwaltschaft erhebt Anklage gegen Beate Zschäpe und vier mutmaßliche Unterstützer des NSU
Marcus Schmidt

Wenn vermutlich im Frühjahr vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts München der Prozeß gegen Beate Zschäpe und vier mutmaßliche Unterstützer des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) beginnt, steht viel auf dem Spiel. Für die Ermittler, die gerichtsfest den von ihnen rekonstruierten Tathergang beweisen müssen, und für den Rechtsstaat, der den Nachweis erbringen muß, daß er diesen spektakulären Fall der Ermordung von neun Ausländern und einer Polizistin sowie zweier Sprengstoffanschläge unabhängig von dem wachsenden Druck von Politik und Öffentlichkeit aufklären kann.

Während die Justiz in Gestalt des Bundesgerichtshofes in diesem Verfahren bereits mehrfach ihre Unabhängigkeit demonstriert hat und bei drei der nun angeklagten fünf Verdächtigen für die Entlassung aus der Untersuchungshaft sorgte, bewegt sich die Bundesanwaltschaft auf weitaus dünnerem Eis. Wer sich von Generalbundesanwalt Harald Range bei der Vorstellung der Anklage in der vergangenen Woche wesentliche neue Erkenntnisse erwartet hatte, der wurde enttäuscht. Die 37 Jahre alte Zschäpe wird angeklagt wegen Mittäterschaft an den zehn NSU-Morden, wegen Mordversuchs durch die beiden Sprengstoffanschläge in Köln sowie wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung. Zudem ist sie laut Bundesanwaltschaft „hinreichend verdächtig“, als Mittäterin für 15 bewaffnete Raubüberfälle verantwortlich zu sein. Ein weiterer Anklagepunkt wirft Zschäpe besonders schwere Brandstiftung sowie in diesem Zusammenhang versuchten Mord an einer Nachbarin und zwei Handwerkern vor. Zschäpe hatte die gemeinsame Wohnung des Trios in Zwickau nach dem Tod von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt am 4. November 2011 in Brand gesteckt.

Ebenfalls angeklagt sind der 37 Jahre alte frühere NPD-Funktionär Ralf Wohlleben und der 32 Jahre alte Carsten S. Ihnen wird vorgeworfen, sich durch die Beschaffung der Tatwaffe vom Typ Ceska 83 der Beihilfe zum Mord in neun Fällen schuldig gemacht zu haben.

Wegen Beihilfe zum Sprengstoffanschlag in Köln 2001 sowie zum Raub und wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung in jeweils zwei Fällen muß sich der 33 Jahre alte André E. verantworten. Dem 38 Jahre alten Holger G. wird ebenfalls unterstellt, den NSU unterstützt zu haben. Sowohl E. als auch G. sollen Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt dabei geholfen haben, ihre Identität zu verschleiern, unter anderem dadurch, daß sie ihnen Ausweispapiere überlassen haben.

Gegen die übrigen acht als Unterstützer des NSU verdächtigten Beschuldigten wird weiter ermittelt.Die Bundesanwaltschaft geht davon aus, daß die Hauptangeklagte Beate Zschäpe zusammen mit Mundlos und Böhnhardt die „aus drei gleichberechtigten Mitgliedern bestehende Gruppierung“ NSU gegründet hat. Das Trio hätte sich als „ein einheitliches Tötungskommando“ verstanden, „das seine Mordanschläge aus rassistischen und staatsfeindlichen Motiven arbeitsteilig verübt“ habe. Der Unterstützerkreis sei eng begrenzt gewesen, vermutet die Bundesanwaltschaft: „Tatsächliche Anhaltspunkte für eine Beteiligung ortskundiger Dritter an den Anschlägen des ‘NSU’ oder eine organisatorische Verflechtung mit anderen Gruppen haben die Ermittlungen nicht ergeben.“

Die Annahme, daß Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt den NSU gemeinsam gegründet haben und bei den Taten „arbeitsteilig“ vorgegangen sind, ist für die Anklage von zentraler Bedeutung. Denn offenbar ist es den Ermittlern nicht gelungen, eine direkte Tatbeteiligung Zschäpes an den Morden nachzuweisen. Lediglich für den Mord an Ismail Yasar am 9. Juni 2005 in Nürnberg gebe es „Anhaltspunkte“, daß sich Zschäpe in der Nähe des Tatorts aufgehalten habe. Sie sei vielmehr „maßgeblich für die Logistik“ zuständig gewesen und habe das erbeutete Geld verwalte. Zudem habe Zschäpe die Aufgabe gehabt, eine „unauffällige Fassade“ des Trios zu pflegen und sich um die jeweilige Wohnung als Rückzugsort zu kümmern.

Gelingt es nicht, Zschäpe als Teil des NSU zu überführen, bricht der Vorwurf der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, die mindestens aus drei Personen besteht, in sich zusammen. „Wir bezweifeln das“, deutete denn auch der Koblenzer Rechtsanwalt Wolfgang Stahl, einer von drei Verteidigern Zschäpes, im Spiegel die Gegenstrategie an.

Die bislang aus der Anklageschrift bekanntgewordenen Anschuldigungen verstärken den Eindruck, daß die Ermittlungen des BKA in den vergangenen zwölf Monaten nicht den erhofften Durchbruch gebracht haben und es weiterhin „noch unglaublich viele ungeklärte Punkte gibt“, wie der Vizepräsident des BKA, Jürgen Maurer, Ende Oktober vor dem NSU-Untersuchungsausschuß einräumte. Ob die von den Beamten zusammengetragenen zahlreichen Einzelteile am Ende tatsächlich eine schlüssige Beweisführung ergeben wird der mit Spannung erwartete Prozeß zeigen müssen. Vieles wird davon abhängen, ob Zschäpe, der eine lebenslange Haftstrafe droht, ihr Schweigen bricht.

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