© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  47/12 16. November 2012

Grüße aus Athen
Verkehrte Welt
Panayotis Doumas

Verkehrte Welt. Chrysi-Avgi-Aktivisten sorgen in Athener Einkaufsstraßen für Ordnung und vertreiben allein mit ihrem Auftreten aufmüpfige griechische und ausländische Straßenhändler. Sie begleiten ältere Athener, die per Telefon um Hilfe gebeten haben, zum Einkaufen, zum Geldautomaten und wieder zurück nach Hause. Sicher ist sicher.

Über Jahre hat sich die NS-nostalgische Partei einen ordnungspolitischen Ruf erarbeitet, der sich durch die Wahlerfolge – bei den letzten Wahlen im Juni erzielte sie 6,9 Prozent – noch potenzierte. Was die Polizei nicht tun durfte, machten die Uniformierten von Chrysi Avgi (Goldene Morgenröte). Mit Brutalität gingen und gehen sie gegen illegale Einwanderer vor und sorgen so „für Ruhe“ in Athener Innenstadtvierteln. Selbst linksorientierte Einwohner fingen an, von „den Jungs“ zu sprechen. Entsprechend selbstbewußt malte Parteichef Nikos Michaloliakos ein Bild von neuen Sturmabteilungen, die ihre Aktionen erweitern würden, falls die Polizei weiter ihre Pflichten nur halbherzig erfülle.

Das gewalttätige Law-and-Order-Auftreten verknüpft Chrysi Avgi mit der Schärfung ihres sozialen Profils. Spendenaktionen, Benefizveranstaltungen und Suppenküchen werden organisiert. Selbst eine Arbeitsagentur ist im Aufbau. Der Knackpunkt hierbei: Voraussetzung für jemanden, diese Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen, ist der griechische Personalausweis.

Die rechtsextreme Partei ist in aller Munde. Sie ist Topthema bei Privatgesprächen und fast täglich in den Schlagzeilen. Doch die breite, zumeist kritische Berichterstattung über die Inanspruchnahme von NS-Nostalgie in der Partei, über deren martialisches Auftreten in der Öffentlichkeit oder deren „rassistische Gewalt“ (Athens Bürgermeister Giorgos Kaminis) schaden der Goldenen Morgenröte nicht. Ebensowenig Medienberichte über Ohrfeigen gegen mißliebige Politiker im Fernsehen oder die absolute Inkompatibilität der Chrysi-Avgi-Abgeordneten mit den übrigen Parlamentsabgeordneten – kein einziger von ihnen hat politische Erfahrung und erhält zudem aus seinem üppigen Abgeordnetensalär nur den Lohn eines Feldwebels der Armee, der Rest geht an die Partei.

Im Gegenteil. Jüngste Umfragen, zu Beginn dieser Woche von der Tageszeitung Kathimerini und dem Radio- und Fernsehsender Skai veröffentlicht, sehen Chrysi Avgi mittlerweile bei 16 Prozent.

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