© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  47/12 16. November 2012

Ford bleibt hier
Autoindustrie: Die Ableger der US-Konzerne wollen in Europa drastische Sparmaßnahmen durchsetzen
Christian Schreiber

Randale bei Ford in Köln, brennende Autoreifen, zertrümmerte Fensterscheiben und aggressive Demonstranten“, meldete die Boulevardpresse. Polizeisprecher erklärten hinterher, daß sie die Art der Brutalität sehr überrascht habe. Alleine dies zeigt wohl die Verzweiflung der Betroffenen.

Ungefähr 200 Arbeiter aus einem belgischen Werk des US-Konzerns hatten am vergangenen Mittwoch vor der Ford-Europazentrale protestiert. Einige Protestierer waren gewaltsam auf das Firmengelände gestürmt, hatten Scheiben zu Bruch gehen lassen und selbstgebastelte Sprengkörper gezündet. Drei Polizisten erlitten dadurch ein Knalltrauma. Zahlreiche Arbeiter hatten sich vermummt, legten Reifen auf die Fahrbahn und zündeten diese an.

Exakt 50 Jahre nach der Eröffnung des Ford-Werks in Genk erhielten die Arbeiter kürzlich die schlimme Kunde: Ihre Fabrik wird Ende 2014 wegen mangelnder Auslastung geschlossen. Betroffen sind etwa 4.500 Mitarbeiter des Werks in Genk sowie weitere 5.000 bei Zulieferern. Außerhalb der USA leidet Ford seit einiger Zeit unter massiven Absatzeinbrüchen. Im Europageschäft, das ein Viertel des Umsatzes ausmacht, rechnet Ford für dieses Jahr mit einem Verlust von über einer Milliarde Dollar.

„Die vorgeschlagene Restrukturierung unserer europaweiten Herstellung ist ein wichtiger Kern unseres Plans, das Geschäft in Europa zu stärken“, kauderwelschte Ford-Europachef Stephen Odell im Hamburger Abendblatt. Konzernchef Alan Mulally verteidigte die Schließung von zwei Werken in Großbritannien und dem in Genk in Klartext: „Das wird viele Menschen betreffen, und wir sind uns dessen bewußt“, sagte er bei seinem ersten öffentlichen Auftritt in Europa seit Bekanntgabe der Entscheidung, die insgesamt 6.200 Stellen kosten dürfte. Zu den Schließungen gebe es aber keine Alternative. Profitieren könnten die Fordwerke in Köln und in Saarlouis. Mulally bekräftige, daß es Pläne gebe, die Produktion der Großraumlimousinen C-Max und Grand C-Max aus dem spanischen Almussafes (Provinz Valencia) ins Saarland zu verlegen.

Ford hatte bereits 2011 betriebsbedingte Kündigungen für seine deutschen Standorte bis 2017 ausgeschlossen. Außerdem gab es langfristige Produktionszusagen für Köln und Saarlouis. Die deutschen Standorte spielten schon seit den Zeiten von Henry Ford eine große Rolle. In der Zentrale in Dearborn/Michigan schätzt man die Ausbildung der deutschen Facharbeiter und die Flexibilität der Gewerkschaften.

Doch allein das US-Geschäft hat dem Autobauer bisher die Bilanz und den Aktionären die Dividende retten können. Dank höherer Preise und gesunkener Kosten hat Ford in Nordamerika im dritten Quartal mehr verdient und auch mehr umgesetzt als von Experten vorab geschätzt. Der für deutsche Verhältnisse riesige und durstige Pritschengeländewagen (Pickup) aus der F-Serie ist dort bereits im 34. Jahr hintereinander das meistverkaufte Auto in den USA.

Bei der Modellpflege setzt Ford auf Größe und Motorenleistung. Da das Fahrzeug als Lkw angeboten wird, sind die Emissions- und Umweltauflagen weniger streng. In Europa muß Ford hingegen einen Zweifrontenkrieg führen: Von oben bedrängt durch deutsche Premiumanbieter, von unten durch Škoda, asiatische Anbieter und Billigmarken wie dem Renault-Ableger Dacia.

Noch größer sind die Sorgen bei Opel. Dort dreht der Mutterkonzern General Motors von Detroit aus weiter an der Kostenschraube: „Wir werden mit einer kleineren Zahl von Mitarbeitern leben müssen“, sagte GM-Vize Steve Girsky der Welt. Der Opel-Interimschef verspricht aber Milliardeninvestitionen und betont: „GM steht voll und ganz hinter Opel“ – trotz der hohen Verluste. Branchenkenner glauben aber, daß Ford besser reüssieren kann, weil der Mutterkonzern wirklich hinter dem Europageschäft stehe. Opel fehle dagegen die bedingungslose Unterstützung durch GM. Ob Opel bis 2015 wieder in die Gewinnzone kommt, wie Girsky verkündet, ist fraglich. Auf jeden Fall sollen die Fixkosten um weitere 500 Millionen Dollar gesenkt werden – was viel Ärger geben dürfte. Schon im laufenden Jahr sind bei Opel in Deutschland 2.600 Stellen weggefallen. Die Geschäftsverlagerung nach Osteuropa hält an. Ab 2016 soll die Astra-Produktion vom Mutterhaus im hessischen Rüsselsheim ins oberschlesische Opelwerk in Gleiwitz verlagert werden. Spätestens dann dürfte das Aus des Traditionswerks in Bochum besiegelt sein. Dort könnten 3.200 Arbeitsplätze wegfallen. „Uns geht es nicht um Entlassungen, sondern um Kosteneinsparungen. Wer gute Ideen hat, ist willkommen“, meinte Girsky etwas sarkastisch.

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