© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  47/12 16. November 2012

Pankraz,
T. Vermes und Hitler als Talkshowmaster

Im Klappentext heißt es keß: „Der Leser ertappt sich zunehmend dabei, wie er nicht mehr über Hitler lacht. Sondern mit ihm. Lachen mit Hitler – geht das? Darf man das überhaupt? Finden Sie’s selbst raus. Dies ist schließlich ein freies Land. Noch.“

Die Probe aufs Exempel der letzten beiden Behauptungen steht noch aus. Nicht zuletzt das Schicksal dieses Buches wird darüber Auskunft geben. Es ist eine Hitler-Persiflage, eine umfängliche Hitler-Satire („Er ist wieder da“, Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2012, 396 Seiten, 19,33 Euro), aber es lacht tatsächlich „mit“ Hitler, nicht über ihn. Es ist durchgehend in der Ichform, erste Person Einzahl, geschrieben, Hitler allein hat das Wort – und es ist dennoch streckenweise sehr erheiternd, der Leser muß ziemlich oft lachen.

Schon die Ouvertüre gibt vielerlei Anlaß dazu. Adolf Hitler erwacht im August 2011 auf einer Berliner Baubrache wieder zum Leben, unerschossen und unverbrannt, körperlich völlig intakt, nur die Uniform, die er 1945 zuletzt trug, ist ein bißchen verschmutzt und riecht intensiv nach Benzin. Doch er läßt sich’s nicht verdrießen, staunt natürlich über die vielen neuartigen Eindrücke, doch als geborener Mann der Tat schreitet er umgehend zu derselben und sinnt unverzüglich über neue Methoden zur Rettung des Vaterlands nach.

Natürlich „erkennen“ ihn sofort alle Passanten, sie halten ihn für einen „Comedian“ und als solchen für einen außerordentlich gekonnten Darsteller seiner selbst. Schnell findet er den Weg ins Studio und in die Medien, wird zum Star einer populären Frage-Antwort-Sendung und erzielt dort derart hohe Quoten, daß er bald seine eigene Talkshow erhält, zum Talkmaster à la Günther Jauch aufsteigt und als solcher nun aktuelle politische TV-Dauergäste wie Renate Künast von den Grünen oder Sigmar Gabriel von der SPD interviewen kann.

Ein medienbegleiteter Auftritt im Berliner Hauptquartier der NPD, wo er deren Vorsitzenden Holger Apfel als unappetitlich wackelndes Weichei beschimpft und den ganzen Verein „eine Schande für jede echte nationale Bewegung“ nennt, erhält umgehend den in der Branche heiß begehrten Grimme-Preis. Und als ihn daraufhin einige Typen (ungeklärter Herkunft) auf offener Straße als Judensau beschimpfen und brutal zusammenschlagen, rückt er endgültig zur medialen Berühmtheit allererster Klasse auf. Er beschließt, seine eigene Partei (neu) zu gründen und läßt schon einmal die entsprechenden Plakate für das Großereignis drucken. Damit endet das Buch des 45jährigen Journalisten Timur Vermes.

Leser können nun darüber rätseln, ob und wann denn endlich der Verfassungsschutz eingreifen und dem Treiben um den Comedian A. H. ein Ende machen wird. Sie haben sich schon vorher oft in dieser Richtung gewundert, zum Beispiel als der berühmte Talkmaster auf dem Münchner Oktoberfest einem silikonprallen Promi-Dirndl mit dem Filzstift als Scherz ein Hakenkreuz auf den nackten Busen malt. Für so etwas gibt es hierzulande doch mindestens drei Jahre! Aber offenbar hat der Autor keine beißende Realsatire schreiben wollen, lediglich eine augenzwinkernde Polit-Idylle.

Trotzdem ist sein Buch in vieler Hinsicht lesenswert und verdient seinen hohen Platz auf den laufenden Bestsellerlisten durchaus. Soweit Pankraz sieht, hat es bisher noch keine treffendere Beschreibung der Zustände gegeben, wie sie in unseren diversen TV-Sendern oder in der Bild-Zeitung und verwandten Printmedien herrschen. Die einschlägigen Seiten sind schlicht meisterhaft, gerade weil sie nicht nur Spaß, sondern auch Verdrießlichkeit bereiten. Sie spiegeln paßgenau unsere „moderne Medienwelt“, und die besteht in vielem aus puren Lügen und spinnerten Übertreibungen. Man muß kein A. H. sein, um das degoutant zu finden.

Vermes, der den Forschungsstand in Sachen Hitler kennt, läßt seinen Protagonisten, wie gesagt, im Dauermonolog sprechen, mischt auch sich selbst mit keinem Wort ein, und A. H. denkt nicht daran, mit seiner „stählernen“, brutalen Rhetorik zurückzuhalten und seine imperialen Absichten zu verschweigen. Aber er sagt eben, wie er auch schon zu seinen realen Lebzeiten gesagt hat, manch Richtiges, etwa über die Natur und den Umgang mit ihr oder über die An- und Absichten seiner Kriegsgegner. Und Vermes läßt ihn auch hier reden. Dazu gehört Mut.

Üblich und vorgeschrieben ist ja, wenn man sich über A. H. äußert, in jedem Fall eine Dauerrhetorik des Entsetzens und des Abscheus, so wie man früher in katholischen Gegenden, sobald das Gespräch auf den Teufel kam, hinter jedem Satz ein rituelles Gott-sei-bei-uns! erklingen ließ. Hitler ist für die medial und politpädagogisch verantwortlichen Kreise heute der Teufel, eine mythische Figur, der man sich nur unter feststehenden Wort- und Gestenritualen nähern darf.

Die Figur des Hitler wurde von interessierten Kräften derart radikal aus allen konkreten historischen Lebensbezügen herausgelöst, daß sie kaum noch als real existiert habende Person wahrnehmbar ist, sondern eben nur noch als der Teufel höchstpersönlich. Natürlich ist der Mann auch Gegenstand seriöser historischer Forschungen; es werden Real-Biographien über ihn verfaßt, man analysiert ihn, mag sein, als besonders deutlich vom Bösen geleiteten Menschen, aber immerhin als Menschen. An der gegenwärtigen, von oben gewünschten öffentlichen Grundeinstellung ändert das nichts.

Es müssen wohl erst populäre Erzähler wie Timur Vermes kommen, damit sich etwas ändert. Geändert werden aber sollte auf jeden Fall etwas; die Deutschen wollen doch nicht für immer und ewig als voll automatisierte Ritualtrottel herumlaufen. Wenn das Buch „Er ist wieder da“ zur Zeit so erfolgreich ist, so nicht deshalb, weil angeblich viele wieder dem Comedian Adolf H. nachlaufen wollen, sondern einzig weil es ihnen Spaß und Genugtuung bereitet, daß sie hier auf unterhaltsame Art über gewisse Tatbestände in Politik, Wirtschaft und Medien aufgeklärt werden.

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