© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  47/12 16. November 2012

Verspannte Halssehnen, bebende Nasenflügel
Auf psychologisch nuancierte Filmrollen spezialisiert: Die US-Schauspielerin Jodie Foster wird fünfzig
Silke Lührmann

Die zwölfjährige Prostituierte in „Taxi Driver“ (1976); das wenig sympathische Flittchen, das in „Angeklagt“ (1988) brutal vergewaltigt wird; die zierliche FBI-Agentin, die es in „Das Schweigen der Lämmer“ (1991) mit dem Menschenfresser aufnimmt; die nach dem Mord an ihrem Verlobten zum Racheengel gewordene New Yorkerin in „Die Fremde in dir“ (2007): So verstörend diese Figuren die Zuschauerin berühren, muß die Erfahrung, sie vor laufender Kamera zu verkörpern, um ein Vielfaches intensiver gewesen sein.

Daß die ersten zwanzig Jahre ihres Lebens dem Drehbuch für eine schräge Parodie auf die Alptraumfabrik Hollywood glichen, prädestinierte Jodie Foster gewissermaßen für derlei ikonische Inszenierungen passiv-aggressiver Weiblichkeit. Daß sie die folgenden dreißig Jahre im Panikraum einer hermetisch abgeschirmten Privatsphäre gelebt hat, konnte ihrer Leinwandpräsenz nichts anhaben.

Am 19. November 1962 in Los Angeles zur Welt gekommen, brachte sie seit ihrem Fernsehdebüt im Alter von drei Jahren mit Rollen in Werbespots, Fernsehserien und Filmen die alleinerziehende Mutter und drei ältere Geschwister durch. Im Dezember 1982 entblößte sie in dem gediegenen Herrenmagazin Esquire ihre Seele und beschrieb diese Kindheit, die sich aus der hart erkämpften Distanz einer Literaturstudentin an der Elite-Universität Yale geradezu exotisch ausnimmt: „Ich wußte alles über Vertriebsgewinne und wie man sich bei Meetings in der Polo Lounge in Beverly Hills verkauft. (…) Hier war ich nun, hatte niemals länger als drei Monate am selben Ort verbracht, hatte niemals Freundschaften mit Gleichaltrigen kultivieren müssen.“

Daß Fosters damaliger Wunsch, in der Anonymität der privilegierten Intelligenzija unterzugehen, nicht in Erfüllung gehen konnte, lag vor allem an einem Mann: John Warnock Hinckley jr., ein Studienabbrecher und gescheiterter Musiker aus bestem Hause, der am 30. März 1981 vor dem Hilton-Hotel in Washington sechs Schüsse auf den amtierenden Präsidenten Ronald Reagan abgab und dabei dessen Pressesprecher James Brady schwer verwundete. Hinckley, der seither in psychiatrischer Sicherungsverwahrung einsitzt, gab als Tatmotiv an, er habe Jodie Foster beeindrucken wollen: Deren Darbietung als Iris in „Taxi Driver“ gefiel ihm so gut, daß er nicht nur Martin Scorseses Film über einen Vietnam-Veteranen und vereitelten Attentäter 15mal hintereinander ansah, sondern der Schauspielerin in Briefen, Gedichten und Telefonaten seine ewige Liebe erklärte.

Das Erlebnis, wie schnell der schöne Schein in häßlichsten Wahn umschlägt, reflektierte die gerade Zwanzigjährige mit der Abgeklärtheit eines Vollblutprofis: „Gute Schauspieler sind im wesentlichen gute Lügner. Ich ziehe meine Augenbrauen hoch, schon halten Sie mich für sexy. Ich lasse meinen Blick hierhin und dorthin wandern, schon halten Sie mich für clever. (…) Das Beängstigende daran ist jedoch, daß wir, wenn wir uns der Kamera zuwenden – wenn wir sie beleidigen, ihr Zärtlichkeit oder Trost spenden – nicht nur eine Linse und ein paar Glassplitter manipulieren. Wir sprechen zehn, zwanzig oder vielleicht sogar dreißig Millionen Menschen an. Wir manipulieren und beeinflussen sie alle mit jeder achtlosen Geste und jedem strahlenden Lächeln. So ist die Kunst. So sind die Massenmedien. Ein Mann kann sich ein Plakat kaufen, es in seinem Schließfach aufhängen und sich das aufreizende Filmsternchen bis ins kleinste Detail vorstellen. So kann er sie durch und durch kennen. So kann er ihre äußerliche Realität besitzen. Natürlich ‘kannte’ Hinckley mich. Diese Frau auf der Leinwand hat in ihrer Trickkiste gewühlt und sich zur Schau gestellt, so daß jeder sich ein Urteil über sie bilden, sie kennenlernen und mit nach Hause nehmen kann.“

Foster überlebte sowohl das nicht enden wollende Blitzlichtgewitter der Medien als auch den angedrohten Mordversuch eines weiteren Besessenen, der in letzter Sekunde entschied, sie sei „zu hübsch“, um zu sterben. Ihr Studium schloß sie mit Bravour und einer Arbeit über die afroamerikanische Autorin Toni Morrison ab, kehrte dann nach Los Angeles zurück und versuchte zunächst vergebens, in ihrem alten Leben wieder Fuß zu fassen. „Von nun an gewahrte ich den Tod in den banalsten und doch erschreckenden Ereignissen“, resümiert sie in Esquire. „Wenn man mich fotografierte, fühlte es sich an, als ob ich erschossen würde; das ist heute noch so. In einer Menschenmenge glaubte ich, daß alle Augen auf mich blickten; vielleicht war es wirklich so. Ich machte es mir zur Gewohnheit, jeden kranken Brief, den ich bekam, zu lesen, darüber zu lachen, ihn noch einmal zu lesen. (…) Die Worte, die Drohungen, die Bezichtigungen waren irrelevant. Sie wollten alle, daß ich reagierte, daß ich aufhörte, den tapferen Cowboy zu spielen; sie wollten mich von der Erhabenheit der Leinwand auf ihr Niveau herunterziehen.“

Seither hat sie sich auf psychologisch nuancierte Figuren spezialisiert, deren verspannte Halssehnen und bebende Nasenflügel in jeder Naheinstellung um Kontrolle ringen, zuletzt als angestrengt gutmenschliche Mutter in Roman Polanskis Kammerspiel „Der Gott des Gemetzels“ (2011). Das Thema John Hinckley ist in Interviews ebenso strikt tabu wie jede Anspielung auf ihr eigenes Privatleben, einschließlich der Vaterschaft ihrer beiden Söhne und der Natur ihrer jahrelangen Beziehung zu der Produzentin Cydney Bernard.

Neben zwei Oscars, zwei Golden Globes, einer im Januar bevorstehenden Auszeichnung für ihr Lebenswerk und einem nach ihr benannten Asteroid erhielt Foster 1997 einen Ehrendoktortitel von ihrer Alma mater für die „moralische Intelligenz, Würde, Authentizität und besonnene Sinnträchtigkeit“ ihres filmischen Werks als Darstellerin, Regisseurin und Produzentin. Daß Foster ihre lange gehegten Pläne für eine Verfilmung von Leni Riefenstahls Leben im März 2011 mit der Begründung, sie sei mittlerweile „zu alt“, um selber die Hauptrolle zu übernehmen, endgültig begrub, ist nicht zuletzt deswegen zu bedauern.

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