© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  47/12 16. November 2012

Verfechter des Kapitalismus
Vordenker der Konservativen: der Wirtschaftswissenschaftler Ludwig Heinrich Edler von Mises / JF-Serie, Teil III
Jörg Guido Hülsmann

Von Mises hat die theoretische Nationalökonomie von Grund auf reformiert und sie zum Kernstück einer allgemeinen Theorie politischer Systeme gemacht.

Von Mises stammte aus einer jüdischen Kaufmannsfamilie. Das Elternhaus war gemäßigt religiös und politisch liberal, patriotisch, habsburgfreundlich und kulturell kosmopolitisch. Sein jüngerer Bruder Richard war ein bekannter Mathematiker, der später in Berlin und Harvard lehrte. Ludwig besuchte das Akademische Gymnasium in Wien und interessierte sich früh für Geschichte und Politik. Nach der Matura begann er das Studium an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Wiener Universität. Unter den Fittichen von Carl Grünberg (dem späteren Gründer des neo-marxistischen Instituts für Sozialforschung in Frankfurt am Main) entwickelte er sich zunächst zu einem eifrigen Jünger der damals modernen „Historischen Schule“ und glaubte an die Ersprießlichkeit staatlicher Interventionen.

Kurz vor Weihnachten 1903 begann eine wissenschaftliche und politische Neubesinnung, als er die Grundsätze der Volkswirtschaftslehre von Carl Menger studierte. Von Mises erkannte nun die große Bedeutung der ökonomischen Theorie für die historische Forschung und die politische Praxis. Statt weiter die Archive zu durchforsten, begann er die Lektüre der klassischen Nationalökonomen. Es war der Beginn des langen Weges, auf dem sich der junge Historizist und Etatist zu einem leidenschaftlichen Gegner des allmächtigen Staates wandelte.

Seine geldtheoretische Habilitationsschrift von 1912 war ein wichtiger Meilenstein auf diesem Weg. Von Mises erläutert hier die Vorteile der Goldwährung und ihre Rolle als demokratisches Bollwerk gegen die Versuchung des Staates, seine Bürger auszuplündern. Er entwickelt hier auch seine berühmte Konjunkturtheorie, die die Krisen der kapitalistischen Wirtschaft auf die Inflation der Geldmenge durch den vom Staat privilegierten Bankenapparat zurückführt. Die angemessene Lösung des Problems der Wirtschaftskrisen sah er in der Abschaffung dieser Privilegien und in der Wiederherstellung völliger Freiheit in der Bankwirtschaft.

Spielarten des Sozialismus systematisch zerpflückt

Im Ersten Weltkrieg kämpfte von Mises fast zwei Jahre als Artillerieoffizier an der „Nordfront“ gegen die Russen. Die übrige Zeit diente er in verschiedenen Wiener Stäben. Dort erlebte er den Schlamassel der Zentralplanwirtschaft, die im etatistischen Geiste der Zeit eingeführt wurde, um die Wehrbereitschaft zu stärken. Noch während des Krieges machte er sich daran, den „Kriegssozialismus“ ökonomisch zu sezieren. In seinem Werk „Staat, Nation und Wirtschaft“ (1919) bewies er, daß die freie Konkurrenz gerade im Krieg unerläßlich sei. Jede planwirtschaftliche Ineffizienz mußte sich an der Front rächen.

Ein paar Monate später gelang ihm sein wohl größter wissenschaftlicher Coup. In einem Aufsatz über „Die Wirtschaftsrechnung im sozialistischen Gemeinwesen“ (1920) griff er die Sozialisten und Zentralplaner von einer völlig unerwarteten Seite an. Eine rationale Wirtschaftslenkung, so führte er aus, bedürfe eines Kriteriums, anhand dessen sie die Investitionsalternativen miteinander vergleichen könne. In der Marktwirtschaft wird dieses Problem durch eine in Geldpreisen geführte Rentabilitätsrechnung gelöst. Aber im Sozialismus ist das nicht möglich. Marktpreise setzen nämlich voraus, daß es zumindest zwei Eigentümer gibt, während der Sozialismus sich doch gerade dadurch auszeichnet, daß die Produktionsmittel nur einen Eigentümer haben können, nämlich das Kollektiv. Wenn es aber zur Bildung von Marktpreisen für Produktionsmittel nicht kommen kann, dann können auch keine Rentabilitäten berechnet werden. Die physisch heterogenen Investitionsalternativen können wirtschaftlich nicht miteinander verglichen werden, und eine rationale Wirtschaftsführung ist nicht möglich. Die Vergesellschaftung der Produktionsmittel nimmt somit der Gesellschaft das einzige bekannte Mittel der rationalen Wirtschaftsführung. Sie überwindet nicht die vermeintliche „Anarchie des Marktes“, sondern begründet eine tatsächliche Anarchie („geplantes Chaos“) der politischen Willkür.

Wenig später veröffentlichte von Mises „Die Gemeinwirtschaft“ (1922), eine Abhandlung, in der er alle Spielarten des Sozialismus systematisch zerpflückte und auch eine neue Begründung der auf Privateigentum und Demokratie gegründeten liberalen Gesellschaft vorstellte. Seine Darlegungen hatten großen Einfluß auf eine ganze Generation junger Intellektueller, die zuvor mit dem Sozialismus geliebäugelt hatten. Friedrich August von Hayek, Wilhelm Röpke, Lionel Robbins und Eric Voegelin – um nur einige der bekannteren Köpfe zu nennen – begannen nun, sich für den Liberalismus zu interessieren.

In den Zwischenkriegsjahren war von Mises eine unbestrittene Autorität auf dem Gebiet der Geld- und Währungspolitik. Seiner Überzeugungsarbeit war es unter anderem zu verdanken, daß Österreich im Jahre 1922 der Zusammenbruch der Währung erspart blieb. Im Frühjahr 1934 bekam er eine Professur an der Hochschule des Völkerbundes in Genf angeboten. Dort blieb er bis 1940 und arbeitete an seinem Hauptwerk, „Nationalökonomie“ (1940), das neun Jahre später in einer erweiterten amerikanischen Ausgabe – „Human Action“ (1949) – erschien. 1940 faßte er den Entschluß, in die USA zu emigrieren, wo er im August 1940 ankam.

Im Herbst 1945 erhielt von Mises, der im Gegensatz zur herrschenden Meinung stand, lediglich eine privatfinanzierte Gastprofessur an der New York University, deren „Gast“ er dann während der nächsten 24 Jahre bleiben sollte. In seinem Seminar zog er eine Generation von Intellektuellen heran, die seine Ideen bis in die Gegenwart getragen haben, darunter Hans Sennholz, Murray Rothbard, Ralph Raico und George Reisman. Sie stehen für einen frischen, radikalen und intellektuellen Liberalismus, der sich deutlich vom Neoliberalismus abhebt, wie er etwa in den Schriften Hayeks und Milton Friedmans vertreten wird.

Der wachsende geistige Einfluß von Mises’ in unseren Tagen beruht auf der bereits erwähnten Schrift „Human Action“. Dieses 900seitige Werk ist mit gutem Recht als das prokapitalistische Gegenstück zu Marxens „Kapital“ gefeiert worden. Von Mises analysiert hier die Funktionsweise der auf Privateigentum, Arbeitsteilung und Geldgebrauch beruhenden kapitalistischen Wirtschaft. Er zeigt, wie diese Wirtschaft letztlich von den Konsumenten gelenkt wird – die Unternehmer sind nur die „Steuermänner“, die den Befehlen der Konsumenten-„Kapitäne“ gehorchen.

Der Staat hat die Rolle eines Sicherheitsproduzenten, das heißt, er sorgt für die allseitige Beachtung der Eigentumsrechte. Von Mises weist nach, daß jede darüber hinausgehende Staatstätigkeit kontraproduktiv ist. Wirtschaftspolitik mindert die Effizienz der Produktion und somit die Güterversorgung der Bürger. Den allergrößten Schaden verursachen die heutigen Papierwährungen, für die es keine ökonomische Berechtigung gibt und die auch politisch völlig unakzeptabel sind, zumindest aus freiheitlicher Perspektive.

Der große Apologet des Kapitalismus starb 1973 in der Hauptstadt der Weltwirtschaft. Weltliche Güter hinterließ er nicht. Seine Frau mußte die Bibliothek und die Korrespondenz veräußern, um über die Runden zu kommen. Aber Ludwig von Mises hinterließ ein gewaltiges geistiges Erbe, von dem die freie Welt noch lange zehren wird und das fast vierzig Jahre nach seinem Tod eine große Zahl junger Forscher inspiriert.

 

Vordenker

Das Institut für Staatspolitik (IfS) hat den dritten Band seines „Staatspolitischen Handbuchs“ vorgelegt. Nach den „Leitbegriffen“ (2009) und den „Schlüsselwerken“ (2011) werden nun die konservativen „Vordenker“ präsentiert. Der von Erik Lehnert und Karlheinz Weißmann herausgegebene Band versammelt in alphabetischer Reihenfolge 129 Personen, „die der konservativen Sache wichtige Impulse gegeben haben“. In einer Serie stellt die JUNGE FREIHEIT einige dieser „Vordenker“-Porträts vor. Bisher erschienen: Irenäus Eibl-Eibesfeldt (JF 45/12) und Arthur Koestler (JF 46/12).

Erik Lehnert / Karlheinz Weißmann (Hrsg.): Staatspolitisches Handbuch, Band 3: Vordenker. Edition Antaios, Schnellroda 2012, gebunden, 256 Seiten, 15 Euro

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