© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  47/12 16. November 2012

„Bitte kommen!“
Faszination Amateurfunk: unabhängig von Handy-Netzen und Providern kommunizieren
Paul Leonhard

In diesen Tagen sind vermehrt gute Ausbreitungsbedingungen auf den UKW-Bändern, unter anderem durch herrschende Inversionswetterlagen, zu beobachten. Besonders im 2-Meter-Band lohnt sich die Beobachtung der Relaisfunkstellen, die durch ihre teilweise exponierte Lage oberhalb der Inversionszonen liegen und QSO-Partner übertragen, die im Alltagsbetrieb nicht zu hören sind.“ Es sind Hinweise wie diese, die die rund 80.000 deutschen Funkamateure auf die Internetseite des seit 1950 bestehenden Deutschen Amateur-Radio-Clubs (DARC) locken.

Auch Hans-Georg gehört zu diesen. Zwar ist er weder organisiert noch Amateurfunker, aber dafür ein um so leidenschaftlicherer Empfänger. Und auf den Amateurfunkbändern darf jeder zuhören. Man kann gewiß sein, daß er morgen detailliert berichten wird, welchen afrikanische und karibische Station er vom Dachzimmer empfangen hat. Hans-Georg dürfte in puncto Amateurfunk klassischer deutscher Durchschnitt sein, männlich, knapp 60 Jahre alt, die letzte Karrierestufe im Berufsleben erreicht, das Eigenheim abgezahlt, technisch interessiert, aber skeptisch. Wenn er jetzt noch selbst funken würde, wäre er ein typischer „OM“ (von old man, wie man im Jargon der Szene sagt).

Funkamateure gelten heute fälschlicherweise als eine aussterbende Spezies, dabei sind sie meistens die ersten, wenn es darum geht, neu Entwickeltes einzusetzen. Ob der Amateurfunk angesichts von Funktelefonen, mobilem Internet, ständiger gezielter Erreichbarkeit, Sparverbindungen und anderer Angebote eine Zukunft hat, ist eine Frage, die auch den DARC-Ortsverband Meiningen (Codierung: X37) beschäftigt hat. Und deutet auf die Achillesferse der Moderne. Denn all deren Angebote sind an technische Einrichtungen gebunden, die von anderen für den jeweiligen Nutzer bereitgestellt werden: „Ein Handy ohne Netz, ein Internet-PC ohne Provider funktionieren nun mal nicht.“ Es sei die Unabhängigkeit von diesen Vorleistern, die es spannend macht, mit einem Draht, fünf Watt und selbstgebauter Technik mit fremden Kontinenten in Kontakt zu treten, vollkommen ohne Zutun anderer, nur mit eigener Kraft, Wissen und Technik.

Fitte Gymnasial- und Berufsschullehrer nutzen diese Möglichkeit längst, um Jugendliche für Technik zu interessieren. Im Internet berichtet der 18jährige Dominik stolz, wie er mit 14 Jahren seine Amateurfunkprüfung Klasse A bestand. Noch immer fasziniere ihn die Vielfalt, seien es Experimente mit Amateurfunkfernsehen oder das Bauen von Funkgeräten und Antennen: „Echt toll, mit Sendeleistungen von 300 Milliwatt eine Verbindung von Deutschland nach Hawaii zu ermöglichen.“ Und ein 15jähriger Schüler beschreibt, wie er mit anderen 20 Funkbegeisterten in einer Arbeitsgemeinschaft für die DO-Lizenz lernte: „Das Internet einschalten oder mit Skype telefonieren kann ja wohl jeder.“

Tatsächlich ist das Gejammer um das angebliche Sterben des Amateurfunks ein speziell deutsches. „Die Bänder sind voll – genauso voll wie in meiner Anfangszeit vor 20 Jahren“, schreibt ein Nutzer auf www.amateurfunk-forum.de. Man dürfe sich nur nicht an den Mitgliederzahlen des Deutschen Amateur-RadioClubs (41.962 Mitglieder im Jahr 2010) orientieren, sondern am weltweiten Interesse. Und das sei steigend: „Wenn sich Deutschland zur technikfeindlichen Müsli-Gesellschaft entwickeln sollte, dann funken halt die Russen mehr, so gleicht sich das aus.“

Aktuell gibt es weltweit 2,8 Millionen Funkamateure. Damit auch in Deutschland deren Zahl wieder steigt, macht sich so mancher „OM“ seine Gedanken: „Wir müssen den Amateurfunk viel stärker als Spielwiese für Experimente präsentieren“, regt User Chris im Internet an. Um zum Beispiel die automatischen Amateurfunkeinrichtungen von der Erde aus zu benutzen, die auf der internationalen Raumstation ISS installiert sind. Und der Ortsverband Meiningen X37 erinnert daran, daß bei vielen der heute üblichen Techniken Funkamateure an der Entwicklung und Perfektionierung beteiligt waren.

Ephraim Kishon widmete den Funkamateuren als einer „kleinen Gruppe von Leuten, die ein recht beneidenswertes Leben führt“, einst eine kurze Betrachtung: „Sie formen sich in kleinen Cliquen irgendwo zwischen 1256 und 1270 kHz, und führen faszinierende Zwiegespräche, wie zum Beispiel das folgende: ‘Hallo! Hallo! Hier spricht Gamma-0-Delta Doppelzwölf Westminster Niagara. Ich rufe Micro-2-Macro Intercom Rappaport. Ich wiederhole.’ (Und genau das tut er.) ‘Bitte kommen. Bitte kommen. Hier spricht Gamma-0-Delta Doppelzwölf Westminster Niagara, bitte sprechen!’“

www.darc.de

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