© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/12 23. November 2012

Ein Hort der Leere
Politische Bildung: Vom Pluralismus früherer Jahre ist nichts mehr übrig
Karlheinz Weissmann

Der Philosoph und Pädagoge Theodor Litt schrieb 1954: „Wenn es nun einmal so ist, daß unsere Zeit nur die Wahl läßt zwischen einer Uniformität der Gesinnung, die nicht anders als durch Einsatz der Gewalt zu bewirken ist, und einer Polyphonie der Überzeugungen, die unweigerlich laut wird, wo die Gewalt sich der Einmischung enthält, dann kann doch echter Erziehergeist am wenigsten im Zweifel sein, für welche Seite er zu optieren hat. Und wenn es das Lebensprinzip dieser freien Welt ist, dem Menschen die ihm obliegende Entscheidung nicht durch den Spruch der politischen Macht abzunehmen, sondern durch Verweisung an sich selbst erst recht zur Pflicht zu machen, dann besteht zwischen dem Geist der Erziehung und dem Lebensprinzip dieser freien Welt das Verhältnis der denkbar engsten Solidarität.“

Die Sätze stammen aus dem ersten Band der Schriftenreihe der „Bundeszentrale für Heimatdienst“, später „Bundeszentrale für politische Bildung“, und sie klingen uns so fremd wie der Titel des Buches: „Die politische Selbsterziehung des deutschen Volkes“. Aber diese Fremdheit kann doch nicht darüber hinwegtäuschen, daß politische Bildung, die den Namen verdient, eingespannt bleibt zwischen Individuum und Gemeinschaft, zwischen dem einzelnen und seinem Volk, daß sie mithin der Selbsterziehung und der Volkserziehung zu dienen hat. Wenn sie diese Bezugspunkte verliert, wird sie entweder belanglos oder Propaganda. Das waren Gefahren, die man bei der Gründung der Bundeszentrale vor 60 Jahren sehr genau im Blick hatte.

Denn der Entschluß, an die Tradition der „Reichszentrale für Heimatdienst“ der Weimarer Republik anzuknüpfen, sollte nicht nur deutlich machen, daß man die Indoktrination der NS-Zeit hinter sich ließ, sondern sollte auch ein Gegenmodell zur Agitation der kommunistischen Systeme bieten, die in der Zeit des Kalten Krieges einen schwer kalkulierbaren Einfluß besaß (siehe Seite 7).

Gleichzeitig wollte man den Fehler vermeiden, überhaupt auf Werbung für die junge Republik zu verzichten. Männern wie Litt, der zu den wichtigen Beratern der Bundeszentrale in ihren Anfangsjahren gehörte und eine wache Erinnerung an den Untergang Weimars hatte, ging es darum, an Traditionen anzuknüpfen, die in der Pädagogik des deutschen Idealismus wurzelten und geeignet schienen, die Einseitigkeit, Dummheit und Oberflächlichkeit alliierter „Reeducation“ (Umerziehung) zu korrigieren. Der deutsche Staatsbürger sollte durchaus für Demokratie, Parlamentarismus und Menschenrechte gewonnen werden, aber eben mit dem Argument, daß das alles auch zu seiner politischen Überlieferung gehörte und nicht wieder als Zwang der Siegermächte mißverstanden werden dürfe.

Selbstverständlich war die Bundeszentrale von Anfang an ein Produkt des Parteienstaates, aber die Befürchtung, hier verschaffe sich die Regierung ein willfähriges Instrument, das Reklame für sie treibe, erwies sich doch als übertrieben. Die Bundeszentrale hat immer versucht, den schmalen Grat zwischen staatlicher „Public Relation“ und wissenschaftlicher Neutralität zu halten. Das ist ihr in den ersten Jahrzehnten ihrer Existenz auch überzeugend gelungen. Wer heute die älteren Ausgaben der „Schwarzen Hefte“ – der vor allem für den Schulunterricht wichtigen Informationen zur politischen Bildung – in die Hand nimmt oder die Qualität der Beiträge in der Zeitschrift Aus Politik und Zeitgeschichte prüft oder die unglaubliche Breite weltanschaulicher Positionen in den Schriftenreihen oder sonstigen Publikationen der Bundeszentrale zur Kenntnis nimmt, der muß beeindruckt sein. Wer sich erinnert, wie kontrovers und auf welchem Niveau Fortbildungsveranstaltungen für Lehrer, Pfarrer oder Bundeswehroffiziere durchgeführt wurden, wird zu demselben Urteil kommen. Und wer die Möglichkeit hat, das Gestern mit dem Heute zu vergleichen, muß mit Erstaunen den Grad des Verfalls feststellen: die Einseitigkeit der Darstellungen, die jetzt gedruckt oder im Netz angeboten werden, den linken Konformismus, die Jämmerlichkeit vieler Produkte, die unter der Marke „Bundeszentrale für politische Bildung“ laufen.

Es zeigt sich auch in diesem Fall, daß Freiheit und Mäßigung nur dann in einem Gemeinwesen vorherrschen, wenn die Erinnerung an die Unfreiheit lebendig ist und verschiedene Meinungslager miteinander konkurrieren. Nur dann bedeutet Pluralismus mehr als eine Leerformel. Die kulturrevolutionären Prozesse nach ’68 haben dazu beigetragen, diese Bedingungen zu zerstören, alle Bemühungen um eine Korrektur nach der „Wende“ von 1982 sind gescheitert. Das hat selbstverständlich mit der Aggressivität der Kulturlinken zu tun, aber mehr noch mit der Feigheit und dem Opportunismus der Bürgerlichen und deren tiefverwurzelter Überzeugung, daß alles Geistige belanglos ist.

Nur so ist zu erklären, daß schon in der Endphase der Ära Kohl und erst recht in der Folgezeit unter dem Zugriff eines Innenminister Schily aus der Bundeszentrale genau das gemacht wurde, was sie niemals sein sollte: eine Propagandastelle für jene Ideologie, die eine bestimmte Gruppe von Gesellschaftsingenieuren richtig findet, und die sie mit einer Rücksichtslosigkeit durchsetzt, die unter den Bedingungen eines Verfassungsstaates ihresgleichen sucht.

 

Dr. Karlheinz Weißmann ist Wissenschaftlicher Leiter des Instituts für Staatspolitik (IfS).

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