© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/12 23. November 2012

Die Grünen und das neue Bürgertum
Orientierungslose Konservative
Klaus Hornung

Die Grünen verfolgen offenbar eine Doppelstrategie: Trittin vetritt den harten Kern der Umwelt- und Klimapolitik, der auch den Ökosozialismus selbst mit diktatorischen Zielen nicht ausschließt. Das geschickt verschleiernde Wort vom „grünen Wirtschaftwunder“ soll dabei lediglich von der überraschenden Kostenexplosion der „Energiewende“ ablenken. Der Ex-Kommunist hat mit dem angelsächsischen Finanzkapitalismus längst seinen Frieden geschlossen und sich dessen Zustimmung zu seinem Ziel, Bundesfinanzminister, wenn nicht gar Kanzler zu werden, verschafft.

Frau Göring-Eckardt kommt die Aufgabe zu, endlich die evangelische Kirche vollends grün gleichzuschalten. Hunderte von evangelischen Kanzeln werden ihr im nächsten Jahr wohl Wahlkampfhilfe leisten, um die orientierungslos gewordenen bürgerlichen Reste für die Grünen zu mobilisieren. Die grüne Kirchenfrau soll den geistig und politisch weithin entkernten Merkel-Wahlverein in die richtige Richtung entsorgen. „Stuttgart 21“, so die grüne Hoffnung, hat dazu, trotz Niederlage bei der Volksabstimmung, die Steilvorlage für die Bundeswahl geliefert. Die berüchtigten Stuttgarter bürgerlichen Halbhöhenlagen wird es auch anderswo geben.

Am Ende von vier Jahren Schwarz-Gelb bietet das bürgerliche Lager ein ziemlich trostloses Bild. Nach sechzig Jahren mit bedeutenden Repräsentanten der deutschen Zeitgeschichte von Konrad Adenauer bis Franz Josef Strauß, von Theodor Heuss bis Erich Mende und Hans-Dietrich Genscher bietet die bürgerliche Koalition heute einen Eindruck, der eher an die bürgerliche Welt von 1932 erinnert. Vor allem seit den achtziger Jahren wurden zu viele Kompromisse mit dem Zeitgeist geschlossen, der nur noch wenig Ahnung von den fundamentalen deutschen Interessen hat und dessen heutige Vertreter von einer neuen Republik träumen, sei sie nun ökosozialistisch, finanzkapitalistisch oder gleich islamisch geprägt.

Freilich: 1989 hat gezeigt, daß die Geschichte in der Lage ist, überraschende Richtungen einzuschlagen. Auch heute ist nicht auszuschließen, daß der „Mantel Gottes“ aus ganz anderen als den erwarteten Richtungen wehen kann. Dann wird es darauf ankommen, daß eine neue, junge Generation fähig, intelligent und geschichtsbewußt genug ist, ihn auch zu ergreifen.

 

Prof. Dr. Klaus Hornung lehrte Politikwissenschaft an der Universität Hohenheim.

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