© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/12 23. November 2012

Die Lichter der Großstadt
CDU: Eine Gruppe um den Hamburger Landeschef Marcus Weinberg hat eine Debatte über die Modernisierung der Union ausgelöst
Paul Rosen

Wie Phönix aus der Asche steigt die Debatte über die Wandlung der CDU zur modernen Großstadtpartei wieder hervor. Eine Gruppe um den Hamburger CDU-Landesvorsitzenden Marcus Weinberg will die Partei dahin bringen, wo sie unter dem früheren Bürgermeister Ole von Beust gewesen sei. Dieser habe bewiesen: „Die CDU kann auch Großstadt“, meint Weinberg, der seine Partei in den Augen vieler Wähler immer noch mit einer konservativen Grundausrichtung verbunden sieht.

Wie könnte nun der „urbane Masterplan“ zum CDU-Erfolg aussehen? Die Zeit, das Zentralorgan für alle grün-urbanen Stände, nennt die heutigen Wertpräferenzen: „Gleichberechtigung, Pluralität, Individualismus, Hedonismus, flexible Familienbilder, Migration, multikulturelle Identitäten und gleichgeschlechtliche Partnerschaften mit starkem Hang zur Kindesadoption.“

Während Kritiker in der angeblich modernen Großstadtgesellschaft nur „ethisches Allerlei“ erkennen und sich über die Schnelligkeit des Verfalls ethischer Normen wundern, sind die Propagandisten vom Berliner Prenzlauer Berg oder der Hamburger Hafencity, Stadtteilen, wo es besonders modern zugeht, stolz darauf, wie die Zeit am Beispiel der Patchwork-Familie erläutert. Diese sei ein „hochkomplexes Sozialgebilde, das von Top-Performern mit Stolz und Anmut ausbalanciert wird“. Bindung gebe es genauso wie früher: „Nur ist Bindung heute mehr Ergebnis freier Entscheidungen als familiärer Herkünfte. Das biologisch Gewachsene wird vom individuell Gewählten abgelöst.“ Wie diese Bindungen in der Not funktionieren, mußte in Berlin-Mitte und in Prenzlauer Berg, wo alle fröhliche Angehörige der Zivilgesellschaft sind und „irgendwas mit Medien“ machen, noch niemand ausprobieren.

Die politischen Stichwortgeber für die Wandlung der CDU sind bereits zur Stelle. Selbstsicher erklärt der frühere Umweltminister Norbert Röttgen, der die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen haushoch verlor, die alten ideologischen Kämpfe zwischen Union und Grünen für beendet. „Aus einigen traditionellen politischen Kampfthemen sind inzwischen Konsensthemen geworden“, freut sich Röttgen und skizziert Atomenergie, Energiewende und Homo-Ehe als Wertegerüst, das das anvisierte Bündnis mit den Grünen tragen soll.

Röttgens Nachfolger als CDU-Landesvorsitzender, Armin Laschet, als ehemaliger Integrationsminister mit seiner auf Multikulturalismus ausgerichteten Politik für die CDU-Niederlage in NRW mitverantwortlich, nennt die Grünen bereits den „Hauptgegner im Kampf um die Mitte der Gesellschaft“ – ein klarer Beleg, wie sich die Koordinaten nach links verschieben. Und natürlich werden die Grünen für eine gewandelte CDU zum idealen Koalitionspartner. So ist für Laschet die Wahl von Katrin Göring-Eckardt zur Ko-Spitzenkandidatin der Grünen „ein Zeichen, daß sich die Grünen nicht mehr an die SPD ketten und aus der babylonischen Gefangenschaft ausbrechen wollen“.

Es sind zwei Dinge, die von den Apologeten der modernen Großstadtpartei ignoriert werden. Erstens verfallen die traditionsreichen Normen in den Großstädten so schnell, daß CDU und CSU keine Chance haben, ein verbindliches Programm für die dort lebende gesamt-europäisch-diffuse Wählerschaft anzubieten. Die in Großstädten stattfindende „unbegrenzt individuelle Auslegung des Wertekanons“ (Georg Paul Hefty) konnte man zuletzt in Stuttgart wie unter einer Lupe beobachten, wo die CDU trotz des modern ausgerichteten Kandidaten Sebastian Turner keine Chance gegen den Grünen Fritz Kuhn hatte.

Natürlich seien die Grünen die neue CDU, hat TV-Entertainer Harald Schmidt beobachtet, der von einer ökologischen CDU mit Olivenöl spricht und das Fazit zieht, die CDU habe kein überzeugendes Personal: „Die Grünen stehen hingegen für niedrigere CO2-Werte und höhere Altbaudecken. In Stuttgart und Baden-Württemberg heißt das vor allem: Wir fahren Porsche, aber langsam.“ Und wertkonservativ sei heute schon, wer der Frau auf dem Wochenmarkt den Einkaufskorb trage.

Die CDU hat noch aus einem zweiten Grund keine Chance, mit einer Ausrichtung auf moderne Großstadtpartei erfolgreich zu sein. Wie Harald Schmidt stellt auch Jan Fleischhauer auf Spiegel online fest, daß nur 15 Prozent der Walberechtigten in Städten über 400.000 Einwohnern leben, also in Gebieten, die gemeinhin als richtige Großstadt gelten. Wollte die CDU hier noch zu punkten versuchen, müßte sie alle konservativen Positionen konsequent streichen und selbst sonntägliche christlich-konservative Lippenbekenntnisse vermeiden. Die Personifizierung dieses „christdemokratischen Wahns“ heißt für das liberal ausgerichtete Internet-Blog „Freunde der offenen Gesellschaft“ Ursula von der Leyen. Wegen der Arbeitsministerin, heißt es mit Blick auf den Machtverlust der CDU 2010 in NRW, „geht kein Münsterländer Bauer zur Wahl. Und weil die Münsterländer nicht zur Wahl gingen, habe etwa Rüttgers die Wahl verloren.“ Das gilt natürlich genauso für Nachfolger Röttgen und das „fortwährende Öko-Appeasement der CDU, der beim Bestechen großstädtischer Milieus die Stammklientel abhanden kam“.

Man kann auch sagen: Die CDU hat in den neugroßbürgerlichen Milieus von Berlin-Mitte mit ihren Gendermuttis und hetero-schwulen „Kochen-mit-Freunden“-Zirkeln den Blick für die Realität in Deutschland verloren. Und wird dafür die Quittung vom Wähler erhalten.

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