© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/12 23. November 2012

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Ganz nah dran
Christian Dorn

Der Rücktritt des CSU-Pressesprechers Hans Michael Strepp wegen versuchter Einflußnahme auf die ZDF-Nachrichtensendung „heute“ zeigte erneut das ambivalente Verhältnis zwischen Politik und Medien. Gekennzeichnet ist diese ganz besondere Beziehung auch durch eine veränderte journalistische Praxis, deren Standards andere seien als noch in Bonn, wie der Leiter des ARD-Hauptstadtstudios, Ulrich Deppendorf, berichtet. Die frühere Vertraulichkeit „unter drei“ sei in der Berliner Republik Geschichte. Bestätigt wurde dies auf der von Thomas Leif moderierten Veranstaltung „Unter drei – Politiker und Journalisten in einem Boot?“ in der Landesvertretung Rheinland-Pfalz vom Berater des SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück, dem Medienmanager Hans-Roland Fäßler. Eine ganz andere Einflußnahme, vielmehr Schwäche der Politik benannte der frühere Erste Bürgermeister Hamburgs, Ole von Beust (CDU), der unlängst in einer Autobio-grahie seine „Mutproben“ reflektierte.

Von Beust, dessen absolute Mehrheit der zweiten Amtszeit – zumindest aus Kritikersicht – einer Kampagne der Bild-Zeitung zu verdanken war, erklärte, daß die Politik das Fällen von Entscheidungen oder die Vertagung derselben wesentlich abhängig mache von der antizipierten Reaktion in den Medien. Bezeichnend war darauf das – wohl als Widerspruch gedachte – Bekenntnis der Korrespondentin der Financial Times Deutschland, Claudia Kade: „Bei Fukushima hatten wir gar keine Zeit, Merkel den Atomausstieg nahezulegen.“ Die Journalistin lieferte unfreiwillig das Beispiel für ein symbiotisches Verhältnis zum Kanzleramt, indem sie von Merkels Medienberaterin Eva Christiansen als einer perfekten Spin-Doktorin schwärmte und ergänzte: „Die Arbeit funktioniert, wenn man sich die Bälle zuschiebt.“ Für Steinbrück-Berater Fäßler zeigte dies einen „gefährlichen Wald“, in den sich die Parlamentskorrespondentin begeben habe, sekundiert von Spiegel-Autor Dirk Kurbjuweit, der darin eine „korrumpierende Nähe“ sah. Freilich mußte sich auch der frühere Leiter des Spiegel-Hauptstadtbüros durch den Schweizer Publizisten Frank A. Meyer eine intime Nähe zur Kanzlerin vorwerfen lassen.

Meyers Blick von außen brachte wohltuende Unruhe in die Runde. Die moralische Anmaßung der deutschen Medien, über die Höhe von Steinbrücks Honoraren zu urteilen, zeihte er der Lächerlichkeit: „Ihr bezahlt ja nicht mal eure Bundeskanzlerin anständig.“ Im Verhalten der Presse – wie auch bei Wulff, Guttenberg oder Köhler – sah er eine „intuitive Gruppendynamik, plötzlich auf jemanden loszugehen“.

Tatsächlich diene dieses „Schwarmverhalten“ einer Art „Psychohygiene“, mit der die Presse „ihre Unabhängigkeit demonstrieren“ wolle, die sie in in dem Milieu der Bundeshauptstadt schon längst verloren habe. So deutete auch Moderator Leif die Empörung des ZDF gegen die CSU als eine Art „Rache“ und „Selbstentlastung“, da die öffentlich-rechtlichen Medien über die Gremienbesetzung schon längst der politischen Einflußnahme unterworfen seien.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen