© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/12 23. November 2012

Trittins rote Vergangenheit
Bundestagswahl: Der Spitzenkandidat der Grünen versucht seine Karriere im Kommunistischen Bund hinter der SS-Mitgliedschaft seines Vaters zu verstecken
Hans Becker von Sothen

Jürgen Trittin ist der kommende Mann. Bei der Wahl der grünen Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl führt er mit 72 Prozent die Ergebnisliste einsam an. Gegenkandidatin Claudia Roth erhielt von den grünen Parteimitglieden mit 26 Prozent das, was sie selbst gern als „Klatsche“ bezeichnet. Da geriet selbst die Bild-Zeitung ins Schwärmen: „Trittin ist vermutlich der ausgebuffteste Spitzen-Grüne. Er bringt reichlich politische Erfahrung mit und ist unumstritten die linke Führungsfigur der Partei.“

Auf den Mann warten große Aufgaben. Bundeswirtschaftsminister soll er werden in einer rot-grünen Regierung. Und er arbeitet sich schon ein: Es heißt, er habe sich einen Mann von der Bundesbank „geholt“, der ihn in das Thema Finanzpolitik einarbeite – denn da, so weiß Trittin seit dem Bankencrash, findet die eigentliche Machtpolitik statt. Doch der Grüne hat einen schlechten Ruf. Noch immer hängt ihm seine Vergangenheit als kommunistischer Kleingruppen-Funktionär aus seiner Studentenzeit an.

Da wird es eigentlich Zeit für eine Homestory, die den oft herrisch und naßforsch wirkenden Trittin einmal so recht von seiner menschlichen Seite zeigt. Dieser Aufgabe hat sich vor einigen Tagen die Hamburger Illustrierte Stern verschrieben. Zwar gibt es keinen Hausbesuch, aber dem Magazin wird doch immerhin ein Gespräch im Zug-abteil gewährt. Und – als ob es ganz ungewollt und nebenbei geschehen sei – Trittin gibt dabei zu Protokoll, daß sein Vater bei der Waffen-SS gewesen sei. In Ostpreußen habe er noch am Tage der Kapitulation der Wehrmacht gegen die Russen gekämpft. Und schließlich – viele Jahre später habe er seine Söhne, darunter den 15jährigen Jürgen, ins Konzentrationslager Bergen-Belsen mitgenommen und ihm eingeschärft: „Guckt euch an, was wir verbrochen haben. So etwas dürft ihr nie wieder zulassen.“ Eine Geschichte, die der Spiegel übrigens bereits 1998 berichtet hat, allerdings ohne den Hinweis auf die SS-Zugehörigkeit des Vaters.

Was sagt das über Jürgen Trittin aus? Möglicherweise nichts, weil Taten der Eltern im Guten wie im Bösen nicht über deren Kinder beurteilt werden. Möglicherweise aber auch eine Menge, weil sie, sollten sie so passiert sein, einen Schlüssel für die sich entwickelnden politischen Ansichten des Sohnes geben könnten. Denn der Stern ordnet Trittins politische Vergangenheit so ein: „Was in Trittin und seiner kommunistischen Splittergruppe allerdings auch wuchs, war der Generalverdacht gegen Deutschland. In einer Zeit, in der man ‘die republikanischen Bürgerrechte verteidigen mußte’, wie Trittin heute sagt, sah er überall die Gefahr eines neuen Faschismus heraufziehen. Das könnte mit seinem Vater zu tun haben.“ Die republikanischen Tugenden verteidigen? Das hört sich an, als ob da ein Voltaire oder ein Condorcet spräche. Und das war Jürgen Trittin in jenen siebziger Jahren durchaus nicht. Was aber war Jürgen Trittin tatsächlich – und vor allem: was ist er heute? Der Artikel des Stern bringt keine Antwort.

Was das Hamburger Blatt nur andeutet: Es gibt ein politisches Vorleben Trittins. Es beginnt 1976, als der junge Mann zum Studium der Politikwissenschaften nach Göttingen wechselte. Dort fand man auf kleinstem Raum alles: eine Hausbesetzerszene, die sich gerade bildende Umweltschutz- und die Anti-Atomkraftwerk-Bewegung. Und an allem nimmt er teil. Er wird Mitglied beim Kommunistischen Bund (KB), den er im Fachschaftsrat an der Göttinger Universität vertritt. Und er zieht in ein besetztes Haus, in dem er einige Jahre lebt. In seinem ersten Jahr in Göttingen gibt es den berühmten „Mescalero“-Skandal, der auch Trittin noch lange nachhängen wird. In der AStA-Zeitung Göttinger Nachrichten kritisierte ein Student aus der Sponti-Szene den (wohl noch immer nicht vollständig geklärten) RAF-Mord an Generalbundesanwalt Siegfried Buback, schrieb aber auch über seine „klammheimliche Freude“ über die Tat, was einen bundesweiten Aufschrei verursacht.

Das Jahr 1977 wird das der endgültigen Politisierung und Radikalisierung Trittins sein: Eine Anti-AKW-Demo jagt die nächste: Brokdorf, Kalkar, Grohnde. Und überall sind die Leute vom KB vor Ort und versuchen mit ihrer Militanz dazu beizutragen, eine Bürgerkriegssituation zu schaffen. 1977 ist auch das Jahr, das die Linken bis heute den „deutschen Herbst“ nennen. In jenem Jahr wird der Chef der Dresdner Bank, Jürgen Ponto, umgebracht, später Arbeitgeberpräsident Hanns-Martin Schleyer. Die Kritik des KB bleibt eine rein taktische.

Als wenig später, nach der mißlungenen Entführung der Lufthansa-Maschine „Landshut“ in Mogadischu die Mitglieder der RAF im Gefängnis tot aufgefunden werden, ist es wiederum der KB, der kräftig an der Verschwörungstheorie der Ermordung der Häftlinge durch den Staat mitdreht. Wer die KB-Postille Arbeiterkampf aus jenen Tagen liest, ist schockiert über den vulgären und gewalttätigen Ton dieses Blatts; doch der wird von allen Mitgliedern getragen. Eine Distanzierung? Fehlanzeige.

Aus heutiger Sicht ein schlechtes Krisenmanagement, als Trittin erst vor wenigen Jahren dem Sohn des von der RAF ermordeten Generalbundesanwalts Buback barsch beschied, er habe sich für nichts zu entschuldigen. Das bringt auch heute bei den Nachfolgern von Ponto und Schleyer keine Pluspunkte. Trittin wird noch bis zum Jahr 2001 brauchen, als er sich nach mehrfachen Aufforderungen wenigstens ein „Es tut mir leid für die Angehörigen“ herausquält.

Trittin wird Mitglied des AStA, und 1979 und 1980 ist er immerhin Vorsitzender des Göttinger Studentenparlaments – also auch dort nicht mehr das „kleine Licht“, als das man später versucht ihn darzustellen. In dieser Zeit unterwanderte eine Gruppe des Kommunistischen Bundes planmäßig die Grünen. Anfang 1980 ist Trittin bereits in die Leitung der „Gruppe Z“ aufgerückt, die diese Unterwanderung bundesweit organisiert. Eine einzigartige Erfolgsgeschichte. Holger Strohm, Chef der ersten Hamburger grün-alternativen Partei, über das Vorgehen des KB: Alles sei in der neuen Partei binnen kurzem von den Leuten des KB beherrscht gewesen: „das Podium, die Tagesordnung, die Arbeitsgruppen und ihre Sprecher“. Konservative wurden aus den Grünen herausgedrängt. Bürgerliche, soweit sie sich vereinnahmen ließen, durften bleiben.

Trittins politische Heimat, der Kommunistische Bund, hat ihn für sein Leben geprägt. Vor allem seine Mentalität, seine Art zu denken und Probleme zu lösen. Aber auch seine Einstellung zu seinem Land. Denn der KB hatte im Gegensatz zu den anderen K-Gruppen ein politisches Alleinstellungsmerkmal: seinen Haß auf alles Nationale im allgemeinen und alles Deutsche im besonderen. Der „Faschismus“ sei den Deutschen von Natur aus innewohnend, hieß es später. Und deutsche Interessen müßten niedergehalten werden, eben weil sie deutsch sind.

So verfocht Trittin 1997 in einer Diskussion mit anderen Linken vehement die Einführung des Euro und die Abschaffung der Bundesbank. Mit bemerkenswerten Gründen. Denn was das Volk dazu zu sagen habe, so Trittin damals in der Jungle World, sei irrelevant, ja, potentiell gefährlich: „Es ist relativ einfach, warum Grüne (…) für Europa sind – schlicht und ergreifend, weil sie keine Nationalisten sind. (…) Die Abkehr von jeglicher Form von Sonderweg in Europa ist eine historische Leistung, die ich mir nicht kaputtreden lasse. Ich bin und bleibe Antifaschist, und für mich ist Linkssein gleichzusetzen mit Antinationalismus, und das ist nicht vereinbar mit Protektionismus.“

Die Geschichte mit seinem Vater, die jetzt punktgenau in der Presse erscheint, wirkt so eher wie ein Ablenkungsmanöver. Tatsächlich scheint das Ganze auf ein neues, „menschlicheres“ Erklärungsmodell für Trittins Handeln hinauszulaufen. Eines, das auch von den Bürgerlichen und seinen künftigen Partnern in der Finanzwelt akzeptabel zu sein scheint. Denn Trittins antideutscher Impetus ist mit den antinationalen Teilen der politischen Klasse in Brüssel und der internationalen Wirtschafts- und Finanzwelt durchaus kompatibel. Wenn er seiner politischen Herkunft noch ein wenig mehr human touch verleihen könnte, dann könnte endlich zusammenwachsen, was zusammengehört.

 

Kommunistischer Bund

Der Kommunistische Bund (KB), dem Jürgen Trittin während seiner Studentenzeit angehörte, wurde 1971 in Hamburg als Zusammenschluß mehrerer linksradikaler Splittergruppen gegründet. Inhaltlich vertrat die Gruppe, der zeitweise bis zu 2.500 Mitglieder angehörten, die These von der fortschreitenden „Faschisierung“ von Staat und Gesellschaft in der Bundesrepublik. Mit dem Aufstieg der Grünen in den achtziger Jahren, an dem viele KB-Mitglieder aktiv beteiligt waren, nahm der Einfluß der Organisation innerhalb der linksradikalen Szene stetig ab. Schließlich wurde der KB 1991 aufgelöst. Neben Trittin gehörten auch die ehemalige Grünen- und jetzige Piratenpartei-Politikerin Angelika Beer und die frühere Grünen- und heutige Linkspartei-Politikerin Ulla Jelpke dem Kommunistischen Bund an.

Foto: Jürgen Trittin am vergangenen Wochenende auf der Bundesdelegiertenkonferenz von Bündnis 90/Die Grünen: Nicht mehr als eine gequälte Entschuldigung

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