© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/12 23. November 2012

Desinformationen zur politischen Bildung 0815
Hinterher ist man immer Krüger
Erik Lehnert

Wer sich den derzeitigen Zustand und die Ausrichtung der Bundeszentrale für politische Bildung (BpB) unvoreingenommen anschaut, wird sich vermutlich darüber wundern, daß anläßlich des 60jährigen Jubiläums keine politische Debatte über Sinn und Zweck dieser Institution stattfindet. Dabei ist die politische Bildung für die Zukunft Deutschlands von entscheidender Bedeutung. Denn zumindest theoretisch setzt Demokratie voraus, daß sich der Souverän, das Volk und damit jeder einzelne mündige Bürger, den Konsequenzen seines Handelns und der Verantwortung für das Ganze bewußt ist. Politische Bildung soll jeden einzelnen für seine Partizipation und die damit zusammenhängende Verantwortung sensibilisieren.

Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern sieht sich in Deutschland hier der Staat in der Pflicht, die er insbesondere durch die BpB wahrnimmt. Es gibt zwar auch entsprechende Einrichtungen (Stiftungen, Vereine) der gesellschaftlichen Gruppen (Parteien, Kirchen, Gewerkschaften), doch an erster Stelle steht die BpB, mit der jeder, zumindest in seiner Schulzeit, schon einmal in Kontakt gekommen ist. Der Gedanke, der hinter der staatlichen politischen Bildung steckt, ist naheliegend: Der Staat ist, im Gegensatz zu den gesellschaftlichen Gruppen mit ihren Partikularinteressen, neutral, steht für das Ganze ein und beteiligt sich nicht am Kampf der Lobbygruppen. Aus diesen Überlegungen heraus ist im Frühjahr 1918 der kurzlebige Vorläufer der heutigen BpB, die „Zentralstelle für Heimatdienst“ entstanden.

Die Niederlage im Ersten Weltkrieg wurde nicht zuletzt daran festgemacht, daß Deutschland im Gegensatz zu Frankreich und England „eine die gesamten nationalen Bedürfnisse einheitlich zusammenfassende und zugleich sittlich verklärende Ideologie“ (Paul Lensch, 1920) fehlte. Damit war nichts anderes gemeint als das bekannte „Right or wrong, my country“. Gleichzeitig machten die erfolglosen Bemühungen des letzten Kriegsjahres deutlich, daß sich die Realität nicht mit politischer Bildung bewältigen läßt. Dennoch wurde die Zentralstelle weitergeführt und 1919 in Reichszentrale für Heimatdienst umbenannt. Schon damals tat man sich mit der Forderung nach parteipolitischer Neutralität schwer.

Man nahm die existierenden Strukturen dankbar auf und nutzte diese zunächst vor allem dazu, Propaganda im Sinne von SPD und USPD zu betreiben. Schon früh taucht hier eine Art Umerziehungsgedanke auf, der die Demokratie in den Köpfen als linke Wahloption etablieren sollte. Nach der Einsicht, daß dieses Vorgehen als zu plump empfunden wurde, um eine entsprechende Wirkung zu erzielen, kam es zur Neuausrichtung der Reichszentrale, die jetzt in einem überparteilichen Sinne das republikanische Bewußtsein (wozu auch die Kritik am Versailler Vertrag gehörte) stärken sollte. Insbesondere den zunehmenden Verwerfungen der späten Jahre der Republik konnte die Reichszentrale nichts entgegensetzen.

Daß die Bundeszentrale für Heimatdienst, so der damalige Name, am 25. November 1952 gegründet wurde, ist zu einem nicht geringen Teil der Tatsache geschuldet, daß die Nationalsozialisten die Reichzentrale auflösten und ihre Aufgaben ganz konsequent dem Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda zuordneten. So war die Reichszentrale eine der wenigen Institutionen, die sich nicht zu entnazifizieren brauchte. Aus der Tatsache, daß sich eine Partei den Staat zur Beute gemacht hatte und in der Propaganda kein Unterschied zwischen Partei und Staat mehr zu erkennen war, ergab sich nach Kriegsende allerdings eine grundsätzliche Skepsis gegenüber solcherlei Bemühungen. Der Hintergrund der Gründung der BpB war deshalb nicht zuletzt die „Reeducation“ (Umerziehung) der Siegermächte, die in der Bevölkerung einen Überdruß zur Folge hatte. Es wurde befürchtet, daß die damit zur erreichenden Idee, Demokratisierung und Europäisierung, als Ganzes diskreditiert würde. Da man den gesellschaftlichen Gruppen die Entfaltung einer Gegenkraft nicht zutraute, setzte man auf ein Gegenstück von staatlicher Seite.

Die Skepsis und Politikmüdigkeit der Bevölkerung sollte zugunsten der Loyalität gegenüber dem neuen Teilstaat bekämpft werden. Gleichzeitig etablierte man die Bundeszentrale als Instrument der Aufklärung über den Totalitarismus. Historisch stand dabei die Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus im Vordergrund. Die „Politische Selbsterziehung des deutschen Volkes“ (Theodor Litt) war der programmatische Hintergrund, der sich allerdings den Zwängen der politischen Lage angleichen mußte. Politisch war die Arbeit an der aktuellen Frontstellung gegen den Kommunismus ausgerichtet, wofür man 1958 eine eigene Institution, das Ostkolleg, ins Leben rief.

Da die Bundeszentrale als nachgeordnete Behörde im Bundesinnenministerium angesiedelt wurde, lag der Verdacht nahe, daß sich die Adenauer-Regierung ein zusätzliches Kommunikationsmittel geschaffen hatte. Diesem Verdacht versuchte man durch die Etablierung eines parlamentarischen Kontrollgremiums, des Kuratoriums, zu begegnen, in dem alle Bundestagsparteien vertreten waren und bis heute sind. Adenauer erklärte ausdrücklich: „An der Arbeit der Bundeszentrale für Heimatdienst sollen möglichst alle staatstragenden politischen Parteien, gleichgültig, ob sie die Regierung unterstützen oder in Opposition zu ihr stehen, teilnehmen.“ Während das Kuratorium die parteipolitische Neutralität garantieren soll, ist der wissenschaftliche Beirat für die Wissenschaftlichkeit der Arbeit zuständig. Beide Einrichtungen haben eine Wächterfunktion, deren Möglichkeiten der Einflußnahme von Beginn an begrenzt waren. Die Bundeszentrale differenzierte sich in rascher Folge aus, so daß nach wenigen Jahren bereits zehn Abteilungen bestanden und eine breite Palette an Schriften und Schriftenreihen angeboten werden konnte. Dazu gehörten insbesondere die Wochenzeitung Das Parlament (die mittlerweile vom Bundestag herausgegeben wird), die bis heute existierende Beilage Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ) und die insbesondere für den Einsatz an Schulen konzipierten Informationen zur politischen Bildung („Schwarze Reihe“), von denen mittlerweile über 300 verschiedene Nummern vorliegen. In der Schriftenreihe der Bundeszentrale sind im Laufe der Jahre über 1.000 Titel veröffentlicht worden. Dabei handelt es sich vor allem um Lizenzdrucke von wissenschaftlichen Büchern, die weiteste Verbreitung fanden, weil diese früher kostenlos und heute gegen eine Schutzgebühr, die weit unter dem Ladenpreis liegt, abgegeben werden. Mit dem Internetauftritt und dem Jugendmagazin fluter sind in den letzten Jahren neue Produkte etabliert worden.

1963 erfolgte die Umbenennung in Bundeszentrale für politische Bildung (BpB), ohne daß sich aus dieser Modernisierung sofort eine inhaltliche Neuausrichtung ergeben hätte. Diese erfolgte erst durch die sozialliberale Koalition. Auch wenn die neue Bundesregierung den Ruf parteipolitischer Instrumentalisierung vermeiden wollte und durch die neue Ostpolitik den Antikommunismus aufzugeben schien, setzte die BpB selbt mit einem SPD-Chef durchaus noch konservative Gegentöne. Vor allem der gewandelte Zeitgeist hat bald dazu geführt, daß sich grundsätzliche Akzentverschiebungen ergaben, die sich insbesondere in der Haltung zur eigenen Nation und der zunehmenden Distanz zum Wiedervereinigungsgebot zeigten. Insofern war nach der erneuten Machtwechsel 1982 eine gewisse Kurskorrektur auszumachen, die dazu führte, daß es vereinzelt Vorstöße gab, die nationale Frage in der politischen Bildung wieder auf die Agenda zu setzen.

Aus heutiger Sicht nehmen sich diese Bemühungen wie ein Rückzugsgefecht aus, da sie bereits damals massiv von den Medien und dem politischen Gegner skandalisiert wurden. Das führte schließlich dazu, daß selbst die Wiedervereinigung, von einzelnen Ausnahmen abgesehen, keine Renaissance der nationalen Identität als Grundlage der Politik zur Folge hatte.

Insofern war der Übergang zum jetzigen Präsidenten, Thomas Krüger, nicht von einem signifikanten Richtungswechsel begleitet. Eher wurden bereits existierende Tendenzen verstärkt. Allerdings waren die Umstände der Berufung von Krüger ein Novum in der Geschichte der BpB. Der damalige Bundesinnenminister Otto Schily setzte Krüger 2000 gegen den Willen des Kuratoriums als alleinigen Präsidenten durch. Er brach damit mit der seit 1973 bestehenden Praxis, daß es immer drei Präsidenten gab, die verschiedenen Parteien angehörten. Jetzt gab es nur noch Krüger (und einen nichtgleichberechtigten Stellvertreter), dessen Vertrag, ebenso einmalig, kurz vor Ende der rot-grünen Koalition 2005 entfristet wurde. Krüger ist damit Präsident auf Lebenszeit. Das wäre nicht weiter schlimm, wenn Krüger sein Amt im Sinne der Wissenschaftlichkeit und „politischen Ausgewogenheit“ ausüben würde. Diese wird zwar im letzten Erlaß zur politischen Bildung aus dem Jahr 2001 gefordert, doch offensichtlich orientiert sich die Praxis daran nicht.

Die Liste der Merkwürdigkeiten und Skandale der „Ära Krüger“ ist lang und hat mit dazu beigetragen, die Glaubwürdigkeit der BpB und damit der staatlichen politischen Bildung nachhaltig zu beschädigen. Dabei stehen nicht einmal offensichtliche Mängel der Amtsführung wie Vetternwirtschaft, in deren Zuge Krüger einige alte Weggefährten mit Posten versorgt hat und deren Publikationen fördert, im Vordergrund (JF 50/10). Vielmehr geht es um die inhaltlichen Fragen, die Krüger ganz konsequent im Sinne eines linken Geschichts-, Politik- und Menschenbildes ausrichtet.

Dazu gehört nicht nur die mangelnde Abgrenzung und sogar mitunter lobende Bezugnahme auf linksextreme Internetseiten wie „indymedia“, mit der die BpB die Einschätzung des Verfassungsschutzes konterkariert, sondern auch eine mangelnde Urteilsfähigkeit über extremistische Bestrebungen überhaupt. Die einseitige Fixierung auf den Rechtsextremismus und die wohlwollende Behandlung der linken Variante als auch des Islamismus wurde Krüger deshalb auch wiederholt vorgeworfen, ohne daß dies zu einer grundsätzlichen Debatte über die Ausrichtung der BpB geführt hätte. Die erfolgte selbst dann nicht, als vom Bundesverfassungsgericht im August 2010 festgestellt wurde, daß die BpB unter der Leitung Krügers „ihrer Aufgabe, die Bürger mit Informationen zu versorgen und dabei Ausgewogenheit und rechtsstaatliche Distanz zu wahren, nicht gerecht“ werde.

Es soll nicht verschwiegen werden, daß insbesondere die unkritische Haltung zum Linksextremismus und auch die Propagierung der Gender-Ideologie durch Krüger von einigen CDU-Politikern und auch Ministern öffentlich angeprangert wurde. Dabei sollte jedoch nicht vergessen werden, daß Krüger seit 2005 unter einer unionsgeführten Regierung dient, so daß sich Beschwerden über Krüger doch eher wie ein konservatives Feigenblatt darstellen, das die grundsätzliche Übereinstimmung der Merkel-Regierung mit dem Kurs der BpB nicht verdecken kann. Zwar wurde Thomas Krüger auf Lebenszeit berufen, doch diese Regelung ließe sich durchaus wieder rückgängig machen.

Daß es am Willen dazu mangelt, zeigt vor allem eins: Es gibt zwischen den politisch relevanten Kräften, die sich in den Parteien finden, keine inhaltliche Opposition zu dem eingeschlagenen Kurs. Es ist nicht zuletzt der unhinterfragte Prozeß europäischer Einigung, der in Deutschland zur umfassenden Aufgabe nationalstaatlicher Bezüge geführt hat und damit der politischen Bildung den Maßstab genommen hat. Alle Fragen, die diese Zukunft betreffen, werden durch die Konformität auf die lange Bank geschoben und eine entscheidungsoffene Debatte verhindert: Bildung, Zuwanderung, Demographie, Sozialstaat, Europa. Insofern darf angesichts des Jubiläums die Frage erlaubt sein, welchen Beitrag die BpB zum „mündigen Bürger“ leistet, wenn es nur eine richtige Antwort auf diese Fragen geben darf.

 

60 Jahre Bundeszentrale

Die Bundeszentrale für politische Bildung (BpB) wurde am 25. November 1952 als Bundeszentrale für Heimatdienst (BfH) gegründet mit dem Zweck, „den demokratischen und den europäischen Gedanken im deutschen Volke zu festigen und zu verbreiten“. Auf diese Weise sollte eine Art „positiver Verfassungsschutz“ geleistet werden.

Präsident der Behörde ist seit 2000 der ehemalige SPD-Bundestags-abgeordnete Thomas Krüger.

Ende November erscheint eine Studie des Instituts für Staatspolitik über die Bundeszentrale: Vom Heimatdienst zur politischen Propaganda Das Heft kostet 5 Euro und kann vorbestellt werden. www.jf-buchdienst.de

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