© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/12 23. November 2012

Die Attraktivität der Freiheit
Katalonien: Der lange Kampf um Unabhängigkeit findet in der Parlamentswahl seinen Höhepunkt
Michael Ludwig

Das katalanische Problem läßt sich nicht lösen, es läßt sich nur ertragen; es ist ein sich ständig wiederholendes Problem und das wird es bleiben, solange Spanien besteht.“ Diese Sätze stammen nicht aus dem Mund eines konservativen spanischen Politikers kurz vor den mit Spannung erwarteten Parlamentswahlen in Katalonien, sondern von dem Philosophen Ortega y Gasset im Jahr 1932.

Wer in Madrid nach Barcelona fragt, erhält in der Regel die Antwort, wenn die Katalanen nicht wären, wäre es eine wunderschöne Stadt, in der sich gut leben ließe. Umgekehrt heißt es, die Madrider seien schon immer größenwahnsinnig gewesen, und wer das nicht glaube, brauche nur einen Blick auf ihren Fußballverein Real werfen, der mit seiner Großmannsucht alle Maßstäbe sprenge. Und es ist sicherlich kein Zufall, daß in Barcelona kein einziges Schild die Fahrtrichtung Madrid anzeigt, das mit seinen fast vier Millionen Einwohnern nahezu doppelt so groß ist wie seine attraktive Schwester am Mittelmeer.

Wer den Grund für die Entfremdung zwischen beiden iberischen Volksstämmen erfahren will, muß zurück bis zum Spanischen Erbfolgekrieg (1701–1714) gehen. Der französischstämmige Bourbone Philipp V. von Anjou stieg auf den spanischen Königsthron, aber eine Koalition aus Österreich, Großbritannien und den Niederlanden machte ihm dieses Recht streitig – sie fürchteten, Frankreich könnte zu mächtig werden, wenn es auch noch Spanien kontrollierte. In dieser Krisensituation schlug sich Katalonien auf die Seite Wiens. 1714 kam es zur letzten Schlacht. Die Truppen Philipps stürmten nach einer 14monatigen Belagerung Barcelona und nahmen es ein. Die Folge war, daß die Katalanen ihre Selbstverwaltung verloren, ihre Sprache in den Schulen und bei Gericht durch das Kastilische ersetzt wurde und sie enorme Steuern zahlen mußten.

Seit dieser Zeit herrscht in vielen Fällen Antipathie, manchmal sogar Haß. Die Situation änderte sich erst nach dem Tod Francos (1975), der jedweder Eigenständigkeitsbestrebung mit eisener Faust begegnete. 1979 erhielt Katalonien ein Autonomiestatut, das 2006 neu gefaßt wurde. Viele Angelegenheiten können die Katalanen selbst regeln, bis auf eine, allerdings sehr wichtige – die Kompetenz, selbst Steuern festzusetzen und einzutreiben.

Um auch diese zugesprochen zu bekommen, gingen im September mehr als eine Million Menschen auf die Straßen Barcelonas (JF 40/12). Sie forderten aber nicht nur Steuerautonomie, sondern auch die Abtrennung ihrer Provinz vom Mutterland. Die Begründung hierfür ist klar: Um die sechzehn Milliarden Euro würden aus katalanischen Kassen, so heißt es immer wieder, in die ärmeren Regionen fließen, ohne daß auch nur ein einziger Cent zurückkäme.

Nachdem ein Gespräch zwischen dem Ministerpräsidenten Kataloniens, Artur Mas, und Spaniens Regierungschef Mariano Rajoy über eine Neufassung des Finanzausgleichs gescheitert war, kündigte Mas Neuwahlen für Katalonien am 25. November an. Außerdem will er ein Referendum auf den Weg bringen, bei dem die Bevölkerung über einen Verbleib bei Madrid abstimmen soll.

Dieser Plan in Richtung Unabhängigkeit wurde schon einmal von einer Provinz verfolgt, nämlich dem Baskenland. Allerdings scheiterte er an der Verfassungswirklichkeit, denn ein Referendum, das einen Austritt aus dem spanischen Staatsverband vorsieht, bedarf der Zustimmung Madrids. Im Jahr 2008 erklärte Madrid das baskische Ansinnen für verfassungswidrig.

Im Juni ergab eine Umfrage, daß 51 Prozent aller Katalanen für die Unabhängigkeit stimmen würden, 42 Prozent sind dagegen, haben diesbezüglich keine Meinung oder würden nicht zur Stimm- abgabe gehen. Böte das Referendum andere staatliche Modelle an, so würden nur noch 34 Prozent eine Sezession von Spanien befürworten; 28,7 Prozent hielten einen eigenen Staat innerhalb einer spanischen Föderation für erstrebenswert, 25,4 sind für den Status Quo und 5,7 halten es für ausreichend, wenn sich Katalonien lediglich als Region definiert.

Ein noch vielseitigeres und widersprüchlicheres Bild bietet sich, wenn man sich auf die Seelenlage der Katalanen einläßt – die Mehrheit, nämlich 37,3 Prozent, fühlt sich gleichermaßen dem Katalanischen wie dem Spanischen zugehörig, 30,2 Prozent fühlen sich mehr katalanisch.

Der Weg in die Unabhängigkeit führt aber vor allem durch wirtschaftliches Gelände. Ist Katalonien ökonomisch überhaupt dazu in der Lage, Spanien zu verlassen? Viele Wirtschaftsexperten bezweifeln dies. Ihrer Überzeugung nach würde dieser Marsch direkt in die Katastrophe führen, denn die durchaus reiche Provinz im Nordosten des Landes mit ihren 7,5 Millionen Einwohnern ist zu sehr mit dem restlichen Spanien und der EU verflochten. Die Ausrufung eines eigenen Staates würde zwangsläufig dazu führen, daß Katalonien vorerst aus der EU und der Eurozone ausscheiden müßte. Die Folgen wären eine eigene Währung und Zölle auf exportierte Waren. Nach Angaben des baskischen Wirtschaftsprofessors Mikel Buesa würden etwa 1.300 größere Unternehmen einen neuen Standort suchen. Das bedeutete einen Verlust von rund 136.000 Arbeitsplätzen.

Dieser Aderlaß und der Verlust an Wettbewerbsfähigkeit ließe auch die Steuereinnahmen sinken. Gegenwärtig liegen sie bei 77 Milliarden Euro. Sollte der Ernstfall der Unabhängigkeit eintreten, wären es schätzungsweise nur noch sechzig Milliarden. Nach Angaben der angesehenen Tageszeitung El Mundo schätzen Wissenschaftler, daß Katalonien jährlich etwa 82 Milliarden braucht, um seinen Verpflichtungen nachzukommen. Barcelona hätte über Nacht ein zusätzlich gewachsenes strukturelles Defizit von etwa 22 Milliarden Euro im Jahr zu verkraften.

In dieser Horrorliste fehlen noch zwei wichtige Posten – die aktuellen Schulden, die Barcelona bis heute angesammelt hat (44 Milliarden Euro), und der Anteil an der Gesamtverschuldung Spaniens, was geschätzte weitere 100 Milliarden ausmachen dürfte.

Doch die Zahlen scheinen die Katalanen wenig zu schrecken. Umfragen zufolge hat die regierende bürgerlich-nationalistische Convergencia i Unio (CiU) Chancen, die absolute Mehrheit zu erringen. Möglich ist zudem, daß die drei Parteien, die eine Volksbefragung zur Unabhängigkeit Kataloniens anstreben (das sind neben der CiU die Esquerra Republicana de Catalunya und die Iniciativa per Catalunya Verds), eine Zweidrittelmehrheit erhalten.

Foto: Formel-1-Grand-Prix in Barcelona: Selbstbewußt wird die katalanische Flagge neben der spanischen präsentiert – wird letztere demnächst fehlen?

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