© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/12 23. November 2012

Grüße aus Moskau
Dissens statt Dialog
Thomas Fasbender

Nach dem jüngsten Petersburger Dialog – der dieses Jahr in Moskau stattfand und weiß Gott kein Dialog war – kann man die deutsch-russischen Beziehungen getrost in dunklen Farben malen. Berlin gibt den moralischen Oberlehrer, Moskau den beleidigten Brummbären. Hüben die bekannten Vorwürfe in Sachen Pussy Riot, Hochverratsgesetz und Auflagen für Nichtregierungsorganisationen, drüben der Hinweis, vor der eigenen Tür zu kehren. Was nur hat Berlin geritten, eine der funktionierenden „special relationships“ der europäischen Politik dem Zeitgeist der öffentlichen Meinung zu opfern? So nimmt die Angst, mit demokratisch nicht lupenreinen ausländischen Regierungen beim Kungeln ertappt zu werden, der deutschen Außenpolitik jeden Spielraum.

Für die „neuen“ Rußlanddeutschen zwischen Königsberg und Wladiwostok sind das Nebensächlichkeiten. Wichtiger als die Befindlichkeiten der Kanzlerin ist das reale Befinden des Zaren. Vor allem das gesundheitliche. Seit Anfang Oktober hat Präsident Putin keine Reise mehr unternommen; Staatsbesuche im Ausland wurden abgesagt. Die meiste Zeit verbringt er in seiner Residenz vor den Toren der Hauptstadt. Videos zeigen einen leicht hinkenden, sich hölzern bewegenden Präsidenten. Öffentliche Auftritte absolviert er im Sitzen.

Angeblich hat sich eine alte Sportverletzung zurückgemeldet. Doch ob Hexenschuß oder Bandscheibe, in der Gerüchteküche kocht es über. Die traditionelle Geheimniskrämerei der Kremloberen heizt die Spekulationen an. Etwa die unglückliche Erklärung, der Präsident lasse sich aus Rücksicht gegenüber den Moskauer Autofahrern in jüngster Zeit kaum noch in den Kreml chauffieren.

Derweilen schreitet die Modernisierung des Landes à la russe fort. So in Form der Einrichtung eines Lehrstuhls für Theologie an der Moskauer Nationalen Forschungsuniversität für Kerntechnik. An dem Institut selbst ist die Maßnahme umstritten, nicht zuletzt weil sie „von oben“ oktroyiert erscheint. Dennoch ist sie charakteristisch für die russische Gesellschaft, die zwanzig Jahre nach Ende des Kommunismus mit der Säkularisierung ringt. Und auch ein Beleg dafür, daß die konservative Kirche unter dem Patriarchen Kyrill sich der Gegenwart nicht verschließt. Durchaus im Sinne des Physikers Max Planck: „Die Naturwissenschaft braucht der Mensch zum Erkennen, die Religion aber braucht er zum Handeln.“

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen