© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/12 23. November 2012

Am Rande der Pleite
Euro-Krise: Eine Bilanzanalyse des Rettungsfonds EFSF läßt Mißtrauen wachsen / Nur geringes Grundkapital
Wolfgang Philipp

Die Meldungen zur Euro-Krise überschlagen sich, inzwischen wird eine neuer Schuldenschnitt für Griechenland nicht mehr ausgeschlossen. Dabei geraten nur Monate zurückliegende Ereignisse schnell aus dem Blick. Doch den in der Öffentlichkeit bisher übersehenen Jahresabschluß der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) nicht aufzuarbeiten, kann besonders teuer werden: Der in englischer Sprache erschienene Geschäftsbericht für das Jahr 2011 enthält Tatsachen und Verhaltensweisen, die für die Beurteilung dieses ersten Euro-Rettungsschirms von großer Bedeutung sind. Das gilt zugleich auch für die Nachfolgeorganisation, den dauerhaften Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM), der die temporäre EFSF in sich aufnehmen soll.

Die EFSF ist eine Aktiengesellschaft luxemburgischen Rechts (Société Anonyme/S.A.), deren Gesellschafter die 17 Staaten der Euro-Gruppe sind. Das Nominalkapital betrug per 31. Dezember 2011 etwa 28.514.000 Euro. Da in den Jahren 2010 und 2011 Verluste von insgesamt 9.009.000 Euro aufgelaufen sind, bleibt zum Bilanzstichtag nur noch ein Grundkapital von rund 19,5 Millionen Euro. Angesichts des Unternehmensziels, „Stabilitätshilfen“ von bis zu 440 Milliarden Euro an notleidende Euro-Staaten auszureichen, stellt diese winzige „Eigenkapitaldecke“ keine Sicherheit für die Gläubiger der Gesellschaft dar.

Es ist offensichtlich, daß bei dieser Konstellation schon geringe Forderungsausfälle oder Abschreibungen den Zusammenbruch der EFSF herbeiführen müssen, weil das Eigenkapital von rund 19,5 Millionen Euro verloren wäre und wegen Überschuldung Insolvenz angemeldet werden müßte. Daran ändern auch die von den Einzelstaaten zugunsten der Darlehensgeber der EFSF eingegangenen Bürgschaften rechtlich nichts.

Während die EFSF im Jahre 2010 noch keine „Loanes“, das heißt Darlehen an klamme Euro-Staaten, vergeben hat, geschah dies 2011 durch Verträge mit Irland über zwei Darlehen von insgesamt rund 8,137 Milliarden Euro. An Portugal wurden ebenfalls zwei Darlehen gegeben, in Höhe von zusammen rund 8,087 Milliarden Euro. Diese „Loanes“ an Irland und Portugal machen rund 82 Prozent der Bilanzsumme aus, sie bilden also die wesentlichen im Aktivvermögen verbuchten Vermögenswerte. Auf Seite 26 des Rechenschaftsberichts wird mitgeteilt, daß etwa die Ratingagentur Moody’s diese „Loanes“ im Hinblick auf ihre Rückzahlung beziehungsweise Bonität im Falle Portugal nur mit „Ba2“, im Falle Irland nur mit „Ba1“ bewertet. Entsprechend den Moody’s-Ratingcodes zählen diese Bewertungen bereits zum „spekulativen Bereich“ von Investitionen, unterschreiten also die „mittlere Qualität“ von Bewertungen wie „Baa1“.

Auf dem Finanzmarkt hängt die Bewertung von Schuldverschreibungen, welche die jeweiligen Länder ausgegeben haben, auch von deren Laufzeit ab. Per Ende 2011 wurde etwa für Irland eine mit 4,7 Prozent verzinsliche Anleihe, fällig im April 2016, mit 92,19 Prozent, eine andere mit 5,9 Prozent verzinsliche Anleihe, fällig im Oktober 2019, mit 87,10 Prozent gehandelt. Für Portugal betrug der Kurs einer mit 5,450 Prozent verzinslichen Anleihe, fällig 23. September 2013, 86 Prozent, andere portugiesische Anleihen mit Fälligkeiten in 2017 und 2037 wurden mit 61,45 bzw. 47,2 Prozent notiert.

Da die von der EFSF gegebenen Loanes noch niedriger verzinslich sind als die im Markt umlaufenden Papiere (der Rettungsfonds soll ja die Zinslast der notleidenden Euro-Staaten senken), müßten sie noch schlechter bewertet werden als die höher verzinslichen unter anderem von Banken gekauften Anteilsscheine dieser beiden Staaten. Nach deutschem Handelsrecht wären solche im Aktivvermögen befindlichen Anleihen zum Bilanzstichtag mit den jeweiligen Markt- oder Börsenpreisen zu bewerten (§ 253 Abs. 3 HGB).

Jedenfalls ist wirtschaftlich eine entsprechende Abschreibung geboten. Es ist bekannt, daß aus diesem Grunde etwa Banken, welche Griechenland und anderen Ländern Kredite gegeben haben, die im Markt weit unter dem Emissionskurs gehandelt wurden, diese entsprechend teilweise abgeschrieben haben. Da die Bilanz der EFSF per 31. Dezember 2011 solche Abschreibungen nicht vorsieht wird verschleiert, daß sie in Wirklichkeit längst überschuldet ist. Schon geringfügige Abschreibungen würden das winzige Grundkapital aufzehren und die Überschuldung sichtbar machen.

Das Problem ist bei der EFSF und offenbar auch der sie prüfenden Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Pricewaterhouse durchaus gesehen worden. Deshalb steht in dem Geschäftsbericht auf Seite 26 ein Satz, der den deutschen Bilanzleser das Staunen lehrt: Es heißt dort, im Hinblick darauf, daß EFSF beabsichtige, ihre Darlehensforderungen gegen die beiden Staaten bis zur Rückzahlungsreife zu halten, habe die Fluktuation von Marktpreisen auf diese Vermögensgegenstände keine Auswirkungen, das heißt, es werden keine Abschreibungen vorgenommen. Dieser Satz ist bemerkenswert, denn das schlechte Rating der von den betreffenden Ländern ausgegebenen Darlehen beruht ja gerade darauf, daß die Ratingagenturen befürchten, diese Darlehen würden nicht oder nicht rechtzeitig oder nicht vollständig zurückgezahlt.

Bemerkenswert ist auch folgendes: Die EFSF genießt im Markt noch aufgrund verschiedener Maßnahmen, insbesondere auch überhöhter Haftungsgarantien ihrer Mitgliedsstaaten, das Spitzenrating AAA. Da aber die wesentlichen Vermögenswerte der EFSF nach dem gleichen Geschäftsbericht bei Moody’s nur mit Ba2 bzw. Ba1 zu bewerten sind, ist es nicht schlüssig, dem Ganzen noch das Spitzenrating zu lassen.

Aus dem schlechten Rating einerseits und der normalen Buchhaltungsregeln widersprechenden Bilanzierung ist der Schluß zu ziehen, daß die wirkliche Vermögenslage der EFSF mit ihrem Jahresbericht nicht wiedergegeben wird, eine aussagefähige Rechenschaft also nicht vorliegt: Ein Grund, der ganzen Unternehmung mit noch mehr Mißtrauen zu begegnen.

 

Erster Euro-Rettungsfonds EFSF

Im Rahmen der ersten Euro-Rettungsmaßnahmen wurde im Juni 2010 die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (European Financial Stability Facility/EFSF) in Luxemburg gegründet. Gesellschafter sind die Euro-Mitgliedsländer. Im Zuge der Irland-Hilfe wurde die EFSF erstmals aktiv. Später wurden Kredite an Portugal vergeben. Der Zinssatz liegt dabei unter dem Zins, den die notleidenden Euro-Länder ansonsten auf dem freien Kapitalmarkt zu zahlen hätten. Das Geld der EFSF wird am Kapitalmarkt aufgenommen. Die EFSF legt dazu Anleihen auf, deren Verzinsung wesentlich niedriger ist, als die, die Irland oder Portugal aktuell zu zahlen hätten. Das so eingenommene Geld wird dann an die zu „rettenden“ Länder wie Irland mit einem Zinssaufschlag weitergereicht. Die EFSF-Staaten haften jeweils als „Teilbürgen“ für den Darlehensbetrag – Deutschland ist mit 27,1 Prozent größter Bürge, gefolgt von Frankreich mit 20,3 Prozent. 2013 soll die EFSF in den dauerhaften Rettungsfonds ESM überführt werden.

European Financial Stability Facility (EFSF): www.efsf.europa.eu

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