© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/12 23. November 2012

Enteignung der Sparer
Euro-Krise: Die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank bringt für Geldanleger eine negative reale Rendite
Thorsten Polleit

Um die Finanz- und Wirtschaftskrise zu „bekämpfen“, haben die Zentralbanken, einschließlich der Europäischen Zentralbank (EZB), die kurzfristigen Zinsen auf de facto null Prozent gesenkt. Zudem manipulieren sie die längerfristigen Kapitalmarktzinsen ebenfalls auf historische Tiefstände – eine ruinöse, geradezu perverse Politik. Während strauchelnde Schuldner sich darüber freuen werden, weil sie so entlastet werden, ist diese Geldpolitik für die Sparer ein Desaster. Denn sie läuft darauf hinaus, die Zinsen so weit herunterzumanipulieren, bis die nominalen Zinsen niedriger sind als die laufende Teuerungsrate der Lebenshaltung.

Und die laufende Teuerung wird absehbar ansteigen, weil der EZB-Rat immer mehr Staats- und Bankschuldverschreibungen aufkaufen und mit neu gedrucktem Geld bezahlen wird. Steigt die Geldmenge in der Volkswirtschaft, ist es nur eine Frage der Zeit, bis auch die Preise der Güter in die Höhe schnellen. Steigt nun die Teuerungsrate an, und drückt der EZB-Rat durch seine Marktinterventionen die Rendite der Schuldtitel auf künstlich tiefe Niveaus, so wird die inflationsbereinigte oder: reale Rendite – also Nominalrendite minus Teuerungsrate – negativ. Eine negative reale Rendite zerstört die Ersparnisse der Bürger, läßt sie verarmen.

Man mache sich nur folgendes klar: Wenn der reale Zins minus zwei Prozent beträgt (also die nominale Rendite null Prozent und die laufende Teuerungsrate zwei Prozent beträgt), so hat der Sparer 18 Prozent seiner Ersparnisse nach zehn Jahren und 33 Prozent nach 20 Jahren verloren. Beträgt der Zins minus fünf Prozent, so erleidet er einen Verlust in Höhe von 40 Prozent nach zehn Jahren und 64 Prozent nach 20 Jahren.

Die Geldpolitik des EZB-Rates wird für die Mehrheit der Bürger im Euroraum schädlich sein, sie wird aber auch die Nationen im Euroraum unterschiedlich treffen. So werden vor allem die deutschen Sparer bluten. Denn sie setzen traditionell – aufgrund der „D-Mark-Erfahrung“ – nach wie vor auf festverzinsliche Anlagen in Form von Termin- und Spareinlagen, aber auch in Form von Bank- und Staatsschuldverschreibungen. Die deutschen Verwalter der Spar- und Altersvorsorge – wie vor allem (Lebens-)Versicherungen, Pensionskassen und Investmentgesellschaften – legen das Geld nach wie vor in „klassischen Anlageformen“ – wie Term- und Spareinlagen und Bank- und Staatschuldverschreibungen – an. Die die deutschen institutionellen Kapitalanleger werden vom deutschen Staat quasi gezwungen, vor allem in fälschlicherweise als „sicher“ angesehene Anlagen wie zum Beispiel Staatsanleihen und Bankverbindlichkeiten zu investieren.

Erschwerend kommt nun hinzu, daß die deutschen Schuldtitel eine vergleichsweise niedrige Nominalverzinsung aufweisen: Sie genießen seit jeher mit die beste Reputation. Und daher trifft die Politik des negativen Zinses vor allem die Halter deutscher Wertpapiere. Zum Beispiel beträgt derzeit die Verzinsung für zehnjährige Bundesanleihen etwa minus 0,6 Prozent pro Jahr, während sich die Rendite für italienische Staatsanleihen auf plus 2,6 Prozent pro Jahr beläuft.

Die Politik des EZB-Rates entwertet damit nicht nur das Finanzvermögen – was schlimm genug ist –, enteignet werden zudem auch noch die Sparer einiger Nationen zugunsten anderer Nationen. Das bleibt nicht folgenlos, politisch wie wirtschaftlich. Das Einheitswährungsprojekt Euro wird die Prosperitätsträume schwer enttäuschen und sich als für viele Bürger sogar als Vermögenszerstörung entpuppen. Die Warnung von Lord Ralf Dahrendorf aus dem Spiegel vom Dezember 1995 scheint sich zu bestätigen: „Die Währungsunion ist ein großer Irrtum, ein abenteuerliches, waghalsiges und verfehltes Ziel, das Europa nicht eint, sondern spaltet.“

 

Prof. Dr. Thorsten Polleit ist Chefökonom von Degussa und Präsident des Ludwig von Mises Instituts Deutschland.

www.thorsten-polleit.com

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