© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/12 23. November 2012

Der Baumeister Preußens
Gewaltiger Schaffensrausch: Zwei Ausstellungen in Berlin widmen sich Karl Friedrich Schinkel
Fabian Schmidt-Ahmad

Von allen Künstlern besitzt der Architekt und Stadtplaner wohl die größte gestalterische Macht über das Selbstverständnis einer Gesellschaft. Verwirklicht er in seinem Schaffen doch nicht nur sich selbst als einzelnen, sondern gibt er zugleich die Formen vor, in welchen das soziale Miteinander fließt. Das Bild Preußens wäre daher unvollständig, würde man seinen führenden Baumeister ignorieren – Karl Friedrich Schinkel (1781–1841). Denn der Staat Preußen und das künstlerische Schaffen Schinkels, der ganze Architektengenerationen prägte, sind zu einem nicht geringen Teil ein und dasselbe.

Im Zeitalter von Massendemokratie und allgemeiner Individualisierung, wo sich ein jeder als Künstler betrachten darf, kann die preußische Gesellschaft nur als Gegenbild erscheinen. Aber doch, man betrachte nur ihre kulturellen Erzeugnisse, ihre Architektur, ihre Ästhetik, und vergleiche sie mit demjenigen, was Schinkel und seine Schüler als äußeren Ausdruck Preußens hinterlassen haben: Jeder mag für sich selbst entscheiden, in wessen Werk er sich mehr als Individualität empfindet.

Schinkel, er stellt sich in seinem Wirken scheinbar widersprüchlich dar. Einerseits sehen wir einen Architekten, der Bauelemente der griechischen Antike aufgreift und – nun ins Ewige entrückt – in ihrem Spiel von tragenden und lastenden Kräften neu umsetzt. Hier ist er ganz Vertreter der Deutschen Klassik mit ihrer Begeisterung für die hellenische Kultur. Andererseits sehen wir auch einen Maler, der sich – durch französische Besatzung zur baulichen Untätigkeit genötigt – in Bildphantasien flüchtet. Hier ist er ganz Vertreter der Deutschen Romantik mit ihrer Begeisterung für die deutsche Kultur. Die immer wiederkehrenden Motive von Naturerfahrung, Entrückung, Grenzüberschreitung – sie passen scheinbar nicht so recht zueinander.

In den beiden Berliner Ausstellungen im Kupferstichkabinett und in der Alten Nationalgalerie kann man nun diesem Widerspruch nachspüren und erahnen, wie dieser ganz im Sinne des von Schinkel verehrten Johann Wolfgang von Goethe als Polarität und Steigerung verstanden werden muß. Der Klassizist und der Romantiker, Apollon und Dionysos, sie ergänzen, sie bedingen sich gegenseitig und ermöglichen überhaupt erst jenen gewaltigen Schaffensrausch, angesichts dessen man sich fragen muß, was in Preußen überhaupt noch ohne Mitwirkung Schinkels gebaut wurde.

Schinkels Rolle in der romantischen Malerei ist Thema der Ausstellung in der Alten Nationalgalerie. Gerade im Kontrast zu Romantikern wie Caspar David Friedrich sehen wir bei Schinkel stets das scharfe Auge des Zeichners, wie er das Dargestellte in Formen reißt, die eigentlich kein entrückendes Abschweifen zulassen wollen und damit dem Impuls der Romantik widerstreben. Nur die gemalte Ruine lädt die Phantasie zur tätigen Beihilfe ein, hier wird Schinkel wirklich zum Grenzgänger.

Als Maler übt sich der Architekt in Formen ein, die später gewissermaßen zur baulichen Antwort auf das werden, was als neue, französische Revolutionsarchitektur vor das Auge hingestellt wurde und die den jungen Schinkel in dem Entschluß bestärkt hatte, Architekt zu werden. Es ist die Rückbesinnung auf das alte Europa, auf den gotischen Stil, der sich nicht auf das antikisierende Spiel von tragenden und lastenden Kräften beschränkt, sondern auflösende und erstarrende, kurzum unmittelbar lebendige Prozesse selbst in das Mauerwerk bannen will.

Die dreihundert Exponate umfassende Ausstellung im Kupferstichkabinett widmet sich neben Schinkels großen Bauprojekten wie dem Schauspielhaus am Gendarmenmarkt, dem Alten Museum, der Friedrichswerderschen Kirche auch seinen nicht verwirklichten Architekturplänen als eigenständigen Kunstwerken. Zudem zeigt sie Schinkel als im genauen Sinne bildenden Künstler, der die soziale Idee des Werkbundes vorweggreifend, hochwertige Gebrauchskunst mit den Anforderungen der aufkommenden industriellen Massenproduktion versöhnte.

Hier liegt die Stärke der Ausstellung, die einen Blick auf den Gestalter wirft, von dem man gewöhnlich wenig mehr als das berühmte Bühnenbild der Sternenhalle in der „Zauberflöte“ kennt. Nicht nur Schinkels kühnem Plan der Bauakademie mit ihren schlichten, die Architektur revolutionierenden Formen, auch seinen Entwürfen zu alltäglichen Gebrauchsgegenständen wie Sesseln, Stühlen oder Trinkbechern haftet, wie Schinkels antikem Vorbild, so die Aura des zeitlos Gültigen an. Wie eine Zusammenfassung einer originär preußischen Idee mutet da Schinkels Entwurf des Eisernen Kreuzes an: einfach sowohl von der Form als auch von der Herstellung, aber durch und durch gestaltet von meisterlicher Hand einer schöpferischen Individualität.

Schinkels Konstruktionszeichnungen werden so zu ästhetischen Ereignissen. Der Architekt, wir sehen bei aller Strenge der Form doch in seinen Entwürfen die Freude am Spiel, den Reichtum an Phantasie aufblitzen, wie er von einfachen Grundformen ausgehend immer neue und mannigfaltigere Figuren schafft, die doch stets die elegante Schlichtheit des Ursprungs bewahren.

Das Genie Schinkels ermöglicht einem so den Blick auf ein anderes Preußen. Einem „ästhetischen Staat“, der in sich die Worte Friedrich Schillers verwirklichen wollte, daß hier – und nur hier – sich Menschen als Objekt des freien Spiels gegenüberstehen. „Freiheit zu geben durch Freiheit ist das Grundgesetz dieses Reichs.“

Die Ausstellung „Karl Friedrich Schinkel. Geschichte und Poesie“ ist bis zum 6. Januar 2013 im Berliner Kupferstichkabinett, Matthäikirchplatz, täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr, Do. bis 20 Uhr, zu sehen. Telefon: 030 / 2 66 42 42 42

Vom 1. Februar bis 12. Mai 2013 wird sie dann in der Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung München gezeigt.

Die Ausstellung „Romantik und Mittelalter. Architektur und Natur in der Malerei nach Schinkel“ ist bis zum 6. Januar 2013 in der Alten Nationalgalerie Berlin, Bodestraße 1-3, zu sehen.

www.smb.museum

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