© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/12 23. November 2012

Bürgerliche Lebenswelten
Vordenker der Konservativen: der Schriftsteller Martin Mosebach / JF-Serie, Teil IV
Felix Dirsch

Martin Mosebach wurde 1980 anläßlich eines Wettbewerbs von Golo Mann entdeckt. Seither hat er ein ebenso umfangreiches wie vielfältiges Œuvre (Prosa, Lyrik, Stücke, Libretti, Drehbücher, kunsttheoretische Reflexionen etc.) vorgelegt. Von seinen Romanen ragen „Die Türkin“, „Der Nebelfürst“ und „Das Beben“ heraus, die allesamt die Faszination von fernen und fiktiven Welten beschreiben. Weltanschauliche Anspielungen finden sich in diesen Werken kaum. Wie Botho Strauß gilt er im zumeist linken und linksliberalen Kulturbetrieb als Außenseiter.

Es wird häufig gerätselt, ob Mosebach als Vertreter der katholischen Literatur zu bezeichnen ist. Er selbst verneint diese Zuschreibung. In den Romanen des Dichters kommt das Katholische höchstens marginal vor. Die bürgerlichen Lebenswelten, die er oft darstellt, haben fast alle die „metaphysischen Antennen“ abmontiert, wie er meint. Es ist wahrscheinlich heute weniger denn je möglich, fromme Existenzen in literarischen Gestalten aufscheinen zu lassen.

Es ist für Mosebach unumgänglich, außerhalb seines belletristischen Werks zu weltanschaulichen Fragen Stellung zu nehmen. Für großes Aufsehen sorgte seine zuerst 2002 erschienene, von Gegnern als „antimodernistisch“ und „fundamentalistisch“ stigmatisierte Schrift „Häresie der Formlosigkeit“. Diese Abhandlung kritisiert die faktische Abschaffung des klassischen Meßritus der katholischen Kirche als „autokratischen Akt“ Papst Pauls VI., der maßgebliche Zerstörungen im künstlerisch-kulturellen Bereich folgen läßt, nicht zuletzt die Beeinträchtigung alter Kirchenräume durch ästhetisch nicht selten unpassende, sogenannte Volksaltäre. Letztere sollen der neuen Communio-Lehre sinnfälligen Ausdruck verleihen.

In seiner Argumentation beruft sich der Verfasser auf ein Wort des damaligen Kurienkardinals Joseph Ratzinger. Dieser stellte die echte katholische Liturgie als „gewachsene“ heraus und gerade nicht als „gemachte“, als die der „Novus Ordo Missae“ von seinen Gegnern betrachtet wird, der 1969 das über Jahrhunderte tradierte Meßbuch (in der Fassung von 1962) ersetzte.

Schon in der Einführung seiner Häresie provoziert Mosebach, wenn er ein Zitat des französischen Schriftstellers und Politikers Charles Maurras („Ich bin Atheist, aber ich bin natürlich Katholik“) zumindest in einer Hinsicht positiv deutet: Dieser betont die Relevanz der Form für den Katholizismus, die den Inhalt des Glaubens maßgeblich bestimme. Somit steht der Gründer der Bewegung Action française in einer längeren Traditionslinie, der sich in Deutschland Gelehrte wie Carl Schmitt und Hans Barion anschließen. Nach den Erklärungen des Zweiten Vatikanums in den 1960er Jahren ist diese Richtung praktisch verschwunden.

Mosebach beleuchtet in dieser Sammlung von Vorträgen scharfsinnig Glaubensleben und liturgische Praxis nach den konziliaren Veränderungen. Immer wieder hebt der Verfasser die Bedeutung der Schönheit für das Glaubensleben hervor, des weiteren Gestik und Zeremoniales.

Aufschlußreich für Mosebachs katholisch-konservative Einstellung ist auch seine Dankesansprache anläßlich der Verleihung des Georg-Büchner-Preises 2007, in der er ausführlich auf den Namensgeber dieser Ehrung einging. Der Redner weiß besser als seine Kritiker, etwa der Historiker Heinrich August Winkler, daß linker Totalitarismus, der sich in seinen frühesten Formen im Jakobiner- Terror äußert, sich mit seinem rechten Pendant im 20. Jahrhundert in einem wichtigen Punkt trifft: in der Annahme seiner Verfechter, sie seien im Besitz des „siegreichen Gesetzes der Geschichte“. Bekanntlich läßt dieser „Historizismus“ (Karl Popper) wesentliche Wurzeln in der Aufklärung erkennen, um dann primär über den Einfluß Hegels im Rahmen kommunistischer und nationalsozialistischer Ideologie wirkmächtig zu werden.

Mosebach parallelisiert vor diesem Hintergrund Saint-Just mit Heinrich Himmler. Beide legitimierten ihre Verbrechen mit dem Hinweis, Exekutoren des Weltgeistes zu sein. Zwischen den Zeilen dieser Ansprache kann man Mosebachs Sympathien für die Monarchie erkennen. Ludwig XVI. ist nicht irgendein König, sondern der letzte seiner Art in Europa, der die Sakralität seines Amtes dadurch zum Ausdruck bringt, daß er Skrofulöse durch Handauflegen heilen will. Mit der Hinrichtung dieses Herrschers stirbt für Mosebach die Monarchie endgültig. Sie ist danach nur noch ein Schatten ihrer selbst. Der französische Monarch fungiere als „letzte … Bastion gegen den Nihilismus“. Luciles Ruf – gemeint ist die Gattin des Camille Desmoulins –, „Es lebe der König!“, in Büchners Drama Dantons Tod deutet der Geehrte als „Zeugnis einer Freiheit, die nicht von der Gesellschaft gewährt werden kann und die mit Ausstoßung und Tod bezahlt wird“. Er rückt den Ausruf Luciles in die Nähe des absurden Exerzitiums Joseph de Maistres, einem der führenden französischen Gegenrevolutionäre, der „systematisch von allem das Gegenteil“ von Voltaire denke. Mosebach betont in seiner Analyse Büchners subtile Erkenntnisse von den Ambivalenzen der Revolution (und nicht nur der Französischen von 1789). Den „großen Mann“ sehen der Frühkommunist und sein Held Danton im revolutionären Geschehen, das von den Massen gesteuert wird, als überflüssig – und das freilich nicht ohne Erschrecken.

Denn hier zeigt sich besonders die „entsetzliche Gleichheit“ der „Menschennatur“, so die Wahrnehmung von „Büchner-Danton“, auf die Mosebach verweist. Selten hat eine Interpretation prägnanter die schlimmen Konsequenzen einer theoretischen Grundhaltung, einer ideologischen Reißbrett-Konstruktion, die mit dem umstürzenden Anspruch „Siehe, ich mache alles neu!“ angetreten ist, aufgezeigt als die Mosebachs. Die Journalistin Karin Fischer erblickt in einer derartigen Sicht ein „sehr konservatives Geschichtsbild“ – ein Geschichtsbild, das bereits von diversen konservativ-katholischen Historikern der unmittelbaren Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, etwa von Christopher Dawson, vertreten wurde. Demnach setzt der Abfall vom Glauben in der frühen Neuzeit (Renaissance, Humanismus, Reformation) ein, findet einen vorläufigen Höhepunkt in Aufklärung und Revolution und endet im Totalitarismus des 20. Jahrhunderts.

In seinen Essays „Schöne Literatur“ geht Mosebach auf seine literarischen Vorbilder ein: an erster Stelle auf Heimito von Doderer; aber auch mit Rudolf Borchardt, Gerhard Nebel, Nicolás Gómez Dávila, Botho Strauß setzt er sich auseinander. Auf diese Weise werden kulturkonservative Traditionslinien sichtbar.

 

Vordenker

Das Institut für Staatspolitik (IfS) hat den dritten Band seines „Staatspolitischen Handbuchs“ vorgelegt. Nach den „Leitbegriffen“ (2009) und den „Schlüsselwerken“ (2011) werden nun die konservativen „Vordenker“ präsentiert. Der von Erik Lehnert und Karlheinz Weißmann herausgegebene Band versammelt in alphabetischer Reihenfolge 129 Personen, „die der konservativen Sache wichtige Impulse gegeben haben“. Einige Porträts aus dem „Vordenker“-Buch werden in den nächsten Wochen in der JUNGEN FREIHEIT vorgestellt. Bisher erschienen: Irenäus Eibl-Eibesfeldt (JF 45/12), Arthur Koestler (JF 46/12) und Ludwig von Mises (JF 47/12).

Erik Lehnert / Karlheinz Weißmann (Hrsg.): Staatspolitisches Handbuch, Band 3: Vordenker. Edition Antaios, Schnellroda 2012, gebunden, 256 Seiten, 15 Euro

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